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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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oder denen zu folgen versuchen, welche schon auswanderten. In einer früheren
Periode der Hungersnoth nährten sich die Lebenden von den Körpern der
Todten; dann verschlangen die Starken die Schwachen und jetzt hat die all¬
gemeine Zersetzung einen so hohen Grad erreicht, daß die Menschen ihre
nächsten Verwandten verzehren. Die Geschichte hat kein Beispiel von einem
so fürchterlichen und entsetzlichen Zustande der Dinge und wenn nicht schleunigst
Hilfe geschafft wird, so muß die ganze Region menschenleer werden. Die lokalen
Hilfsquellen sind gänzlich erschöpft; die Kornspeicher leer und kein Geld in
den Kassen. Die wenigen reichen Leute der Provinz haben so lange geholfen
und gegeben, bis sie selbst verarmt sind."

Dieser trostlose amtliche Bericht wird dnrch anderweitige Mittheilungen
von Missionären in scho.nsi durchweg bestätigt. Der römisch-katholische Bischof
dieser Provinz, Monsignore Monagatta, der in der Hauptstadt Tai Iren
wohnt, schreibt vou dort am 24. März an den Prokurator der Lazaristen,
welcher ihn: 10,000 Taols (60,000 Mark) für die Nothleidenden übersandt:
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tour los onlÄnts wan^ont lorrrs varonts, oommo l'on ontoncl äiro prss^n.0
olla^no ^our. Das ist doch die fürchterlichste Menschenfresserei!

So erzählt also der katholische Bischof. Die Berichte der protestantischen
Missionäre, die wir eingesehen haben, sind nicht minder grauenvoll. Reverend
Richard, ein englischer Missionär, erzählt, daß er in Schensi die Landstraße
förmlich mit Leichen eingefaßt sah und daß man zu den widerlichsten Nahrungs¬
mitteln griff. Man but Brvdkuchen aus Schiefer, die zermalmt und mit Reis-
und Hirsehülsen versetzt waren. Das so erhaltene "Brod" sieht nicht schlecht
aus, schmeckt aber wie Staub und hat natürlich keinen Nahrungswerth.
"Wölfe, Hunde, Raubvögel halten ihre reiche Ernte an den Todten am Wege"
heißt es im Berichte des Geistlichen.

In der Präfektur, in welcher die Hauptstadt Schansis liegt, ist die Be¬
völkerung von mehr als einer Million ans 160,000 Seelen zusammengeschwun¬
den und nach chinesischen Zeitungen sind während dieser einen Hungersnoth
allein schon fünf Millionen Menschen zu Grunde gegangen.

Die Regierung hat nur sehr wenig bisher gethan, um dem Unglücke ab¬
zuhelfen. Für schaust wurden 500,000 Taels (5 6 Mary und 100,000
Pikul Reis ausgeworfen und -- höchst charakteristisch! -- dabei ein Erlaß
veröffentlicht, in welchem der Kaiser sich als Schuld und Ursache der Hungers¬
noth bekennt. Dieses vom 22. März datirte Edikt lautet: Die Jahreszeit des
Frühlings ist nnn gekommen und noch ist kein Tropfen Feuchtigkeit gefallen.


oder denen zu folgen versuchen, welche schon auswanderten. In einer früheren
Periode der Hungersnoth nährten sich die Lebenden von den Körpern der
Todten; dann verschlangen die Starken die Schwachen und jetzt hat die all¬
gemeine Zersetzung einen so hohen Grad erreicht, daß die Menschen ihre
nächsten Verwandten verzehren. Die Geschichte hat kein Beispiel von einem
so fürchterlichen und entsetzlichen Zustande der Dinge und wenn nicht schleunigst
Hilfe geschafft wird, so muß die ganze Region menschenleer werden. Die lokalen
Hilfsquellen sind gänzlich erschöpft; die Kornspeicher leer und kein Geld in
den Kassen. Die wenigen reichen Leute der Provinz haben so lange geholfen
und gegeben, bis sie selbst verarmt sind."

Dieser trostlose amtliche Bericht wird dnrch anderweitige Mittheilungen
von Missionären in scho.nsi durchweg bestätigt. Der römisch-katholische Bischof
dieser Provinz, Monsignore Monagatta, der in der Hauptstadt Tai Iren
wohnt, schreibt vou dort am 24. März an den Prokurator der Lazaristen,
welcher ihn: 10,000 Taols (60,000 Mark) für die Nothleidenden übersandt:
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olla^no ^our. Das ist doch die fürchterlichste Menschenfresserei!

So erzählt also der katholische Bischof. Die Berichte der protestantischen
Missionäre, die wir eingesehen haben, sind nicht minder grauenvoll. Reverend
Richard, ein englischer Missionär, erzählt, daß er in Schensi die Landstraße
förmlich mit Leichen eingefaßt sah und daß man zu den widerlichsten Nahrungs¬
mitteln griff. Man but Brvdkuchen aus Schiefer, die zermalmt und mit Reis-
und Hirsehülsen versetzt waren. Das so erhaltene „Brod" sieht nicht schlecht
aus, schmeckt aber wie Staub und hat natürlich keinen Nahrungswerth.
„Wölfe, Hunde, Raubvögel halten ihre reiche Ernte an den Todten am Wege"
heißt es im Berichte des Geistlichen.

In der Präfektur, in welcher die Hauptstadt Schansis liegt, ist die Be¬
völkerung von mehr als einer Million ans 160,000 Seelen zusammengeschwun¬
den und nach chinesischen Zeitungen sind während dieser einen Hungersnoth
allein schon fünf Millionen Menschen zu Grunde gegangen.

Die Regierung hat nur sehr wenig bisher gethan, um dem Unglücke ab¬
zuhelfen. Für schaust wurden 500,000 Taels (5 6 Mary und 100,000
Pikul Reis ausgeworfen und — höchst charakteristisch! — dabei ein Erlaß
veröffentlicht, in welchem der Kaiser sich als Schuld und Ursache der Hungers¬
noth bekennt. Dieses vom 22. März datirte Edikt lautet: Die Jahreszeit des
Frühlings ist nnn gekommen und noch ist kein Tropfen Feuchtigkeit gefallen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/83>, abgerufen am 22.07.2024.