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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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die viel geringere durch die mohammedanische Revolution in Amman und
andere Revolutionen. Die Auswanderung ucich fremden Ländern ist zu gering¬
fügig, um in anderer Weise in Betracht zu kommen, als insofern, daß sie dem
Mutterlande junge Leute in ihrer besten Kraft entzieht und dadurch die Ver¬
mehrung der Bevölkerung hemmt. Nimmt man diese verschiedenen Faktoren in
Betracht, so dürfte man, ohne Gefahr der Ueber- oder Unterschätzung 420
Millionen als die gegenwärtige Bevölkerungszahl von China annehmen können.

Die Provinzen der Mitte und des Südens haben durchschnittlich 8500,
die des Nordens K200, die des Westens nur 1800 Seelen auf die Qnadrnt-
meile, doch sind anch ganze große Prvvinzialtvmplexe mit 16,000 und noch
mehr Einwohnern auf die Quadratmeile vorhanden. Die Uebervölkerung,
welche in den großen Ziffern der chinesischen Bevölkerungsangaben sich unver¬
kennbar ausprägt, diese nun ist es, die in Verbindung mit Mißjahreu und
schlechter Verwaltung bei dein vorwiegend ackerbauenden Volke (Reis ist die
Hauptnahrung) so fürchterliche Erscheinungen hervorbringt, wie sie die gegen¬
wärtige Hungersnoth zeigt.

Der vom Hunger heimgesuchte Theil Chinas besteht ans dem großem
Theile der Provinz Schensi, aus dem südwestlichen Tschiki, dem westlichen
Schankung und dem nördlichen Distrikte von Honan. Am schlimmsten sieht
es auf dieser Flüche, die halb so groß wie das deutsche Reich ist, im südlichen
Schausi und dessen Hauptstadt Tai Auen aus; denn hier muß die Bevölkerung,
wenn nicht ein radikaler Wechsel der Umstände eintritt, vollständig aussterben.
Nach deu schrecklichen Einzelheiten, die man erfährt, nach den Berichten der
Missionäre und Beamten ist die jetzt herrschende Hungersnoth bei weitem die
furchtbarste, die je über China gekommen. Die chinesischen Bauern legen uicht
die Hände in den Schoß und sterben uicht ruhig, wie im verflossenen Jahre die
hungernden Jndier; nein, sie verzehren die Todten und erschlagen Lebende, nur
um Fleisch zu bekommen. Daß hier keinerlei Uebertreibung vorliegt, erkennt
man aus einem Berichte der amtlichen Pekinger Zeitung vom 15. März d. A,
in welchem der Gouverneur von Honan, Li Hvuien mit Namen, und der
kaiserliche "Huugerkommissär", Mau mit Namen, die Zustande der heimge¬
suchten Provinzen schildern. Da heißt es: "Die Dürre, mit welcher die Pro¬
vinz durch mehrere Jahre hindurch hintereinander heimgesucht wurde, ist die
Ursache eiuer Hungersnoth geworden, wie sie bisher noch nie existirte. Als der
Herbst zum Winter wurde, wuchs die Zahl jener, die Hilfe suchim von Tag
zu Tage bis sie nach Millionen zählten: die niedrigen Klassen waren die zuerst
ergriffenen; sie verschwanden bald, oder zerstreuten sich ins Land, um sich
Nahrung zu suchen. Dann ergriff die Hungersnoth die Wohlhabenden und
die Reichen, die gleichfalls im äußersten Elende sich befinden, dahinsterben


die viel geringere durch die mohammedanische Revolution in Amman und
andere Revolutionen. Die Auswanderung ucich fremden Ländern ist zu gering¬
fügig, um in anderer Weise in Betracht zu kommen, als insofern, daß sie dem
Mutterlande junge Leute in ihrer besten Kraft entzieht und dadurch die Ver¬
mehrung der Bevölkerung hemmt. Nimmt man diese verschiedenen Faktoren in
Betracht, so dürfte man, ohne Gefahr der Ueber- oder Unterschätzung 420
Millionen als die gegenwärtige Bevölkerungszahl von China annehmen können.

Die Provinzen der Mitte und des Südens haben durchschnittlich 8500,
die des Nordens K200, die des Westens nur 1800 Seelen auf die Qnadrnt-
meile, doch sind anch ganze große Prvvinzialtvmplexe mit 16,000 und noch
mehr Einwohnern auf die Quadratmeile vorhanden. Die Uebervölkerung,
welche in den großen Ziffern der chinesischen Bevölkerungsangaben sich unver¬
kennbar ausprägt, diese nun ist es, die in Verbindung mit Mißjahreu und
schlechter Verwaltung bei dein vorwiegend ackerbauenden Volke (Reis ist die
Hauptnahrung) so fürchterliche Erscheinungen hervorbringt, wie sie die gegen¬
wärtige Hungersnoth zeigt.

Der vom Hunger heimgesuchte Theil Chinas besteht ans dem großem
Theile der Provinz Schensi, aus dem südwestlichen Tschiki, dem westlichen
Schankung und dem nördlichen Distrikte von Honan. Am schlimmsten sieht
es auf dieser Flüche, die halb so groß wie das deutsche Reich ist, im südlichen
Schausi und dessen Hauptstadt Tai Auen aus; denn hier muß die Bevölkerung,
wenn nicht ein radikaler Wechsel der Umstände eintritt, vollständig aussterben.
Nach deu schrecklichen Einzelheiten, die man erfährt, nach den Berichten der
Missionäre und Beamten ist die jetzt herrschende Hungersnoth bei weitem die
furchtbarste, die je über China gekommen. Die chinesischen Bauern legen uicht
die Hände in den Schoß und sterben uicht ruhig, wie im verflossenen Jahre die
hungernden Jndier; nein, sie verzehren die Todten und erschlagen Lebende, nur
um Fleisch zu bekommen. Daß hier keinerlei Uebertreibung vorliegt, erkennt
man aus einem Berichte der amtlichen Pekinger Zeitung vom 15. März d. A,
in welchem der Gouverneur von Honan, Li Hvuien mit Namen, und der
kaiserliche „Huugerkommissär", Mau mit Namen, die Zustande der heimge¬
suchten Provinzen schildern. Da heißt es: „Die Dürre, mit welcher die Pro¬
vinz durch mehrere Jahre hindurch hintereinander heimgesucht wurde, ist die
Ursache eiuer Hungersnoth geworden, wie sie bisher noch nie existirte. Als der
Herbst zum Winter wurde, wuchs die Zahl jener, die Hilfe suchim von Tag
zu Tage bis sie nach Millionen zählten: die niedrigen Klassen waren die zuerst
ergriffenen; sie verschwanden bald, oder zerstreuten sich ins Land, um sich
Nahrung zu suchen. Dann ergriff die Hungersnoth die Wohlhabenden und
die Reichen, die gleichfalls im äußersten Elende sich befinden, dahinsterben


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[0082] die viel geringere durch die mohammedanische Revolution in Amman und andere Revolutionen. Die Auswanderung ucich fremden Ländern ist zu gering¬ fügig, um in anderer Weise in Betracht zu kommen, als insofern, daß sie dem Mutterlande junge Leute in ihrer besten Kraft entzieht und dadurch die Ver¬ mehrung der Bevölkerung hemmt. Nimmt man diese verschiedenen Faktoren in Betracht, so dürfte man, ohne Gefahr der Ueber- oder Unterschätzung 420 Millionen als die gegenwärtige Bevölkerungszahl von China annehmen können. Die Provinzen der Mitte und des Südens haben durchschnittlich 8500, die des Nordens K200, die des Westens nur 1800 Seelen auf die Qnadrnt- meile, doch sind anch ganze große Prvvinzialtvmplexe mit 16,000 und noch mehr Einwohnern auf die Quadratmeile vorhanden. Die Uebervölkerung, welche in den großen Ziffern der chinesischen Bevölkerungsangaben sich unver¬ kennbar ausprägt, diese nun ist es, die in Verbindung mit Mißjahreu und schlechter Verwaltung bei dein vorwiegend ackerbauenden Volke (Reis ist die Hauptnahrung) so fürchterliche Erscheinungen hervorbringt, wie sie die gegen¬ wärtige Hungersnoth zeigt. Der vom Hunger heimgesuchte Theil Chinas besteht ans dem großem Theile der Provinz Schensi, aus dem südwestlichen Tschiki, dem westlichen Schankung und dem nördlichen Distrikte von Honan. Am schlimmsten sieht es auf dieser Flüche, die halb so groß wie das deutsche Reich ist, im südlichen Schausi und dessen Hauptstadt Tai Auen aus; denn hier muß die Bevölkerung, wenn nicht ein radikaler Wechsel der Umstände eintritt, vollständig aussterben. Nach deu schrecklichen Einzelheiten, die man erfährt, nach den Berichten der Missionäre und Beamten ist die jetzt herrschende Hungersnoth bei weitem die furchtbarste, die je über China gekommen. Die chinesischen Bauern legen uicht die Hände in den Schoß und sterben uicht ruhig, wie im verflossenen Jahre die hungernden Jndier; nein, sie verzehren die Todten und erschlagen Lebende, nur um Fleisch zu bekommen. Daß hier keinerlei Uebertreibung vorliegt, erkennt man aus einem Berichte der amtlichen Pekinger Zeitung vom 15. März d. A, in welchem der Gouverneur von Honan, Li Hvuien mit Namen, und der kaiserliche „Huugerkommissär", Mau mit Namen, die Zustande der heimge¬ suchten Provinzen schildern. Da heißt es: „Die Dürre, mit welcher die Pro¬ vinz durch mehrere Jahre hindurch hintereinander heimgesucht wurde, ist die Ursache eiuer Hungersnoth geworden, wie sie bisher noch nie existirte. Als der Herbst zum Winter wurde, wuchs die Zahl jener, die Hilfe suchim von Tag zu Tage bis sie nach Millionen zählten: die niedrigen Klassen waren die zuerst ergriffenen; sie verschwanden bald, oder zerstreuten sich ins Land, um sich Nahrung zu suchen. Dann ergriff die Hungersnoth die Wohlhabenden und die Reichen, die gleichfalls im äußersten Elende sich befinden, dahinsterben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/82>, abgerufen am 25.08.2024.