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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Mutterlande. Als Anlagekosten bei der Gründung einer neuen Kolonie sind
diejenigen anzusehen, welche aus der Einrichtung vou Baulichkeiten zur Auf¬
nahme der Deportirten und aus der Differenz erwachsen, welche der Unterhalt
der Sträflinge in den Kolonien im Vergleich zu ihrem Aufenthalte in der
Heimath erfordert, wesentlich also die Fracht für die nach den neugegründeten
Kolonien zu schaffenden Lebensbedürfnisse; endlich auch jene Kosten, welche
etwa zu besondern militärischen Sicherheitszwecken gegenüber einer eingeborenen
Bevölkerung, nicht aber zur Behauptung einer politischen Machtstellung ver¬
wendet werden müssen. Diese Anlagekosten erreichen ihr Ende in dem Augen¬
blicke, wo die äußere Selbständigkeit der Kolonie in ihren nothwendigen
Existenzbedingungen erzielt, wo sie ökonomisch vom Mutterlands unabhängig
geworden ist und der Werth ihrer eigenen Produkte genügt, um die Mehrkosten
für den Unterhalt der Sträflinge im allgemeinen zu decken. Je günstiger die
geographischen Bedingungen der Kolonisation sind, je vortheilhafter die han¬
delspolitische Stellung und die produktiven Kräfte erscheinen, desto schneller
werden die Anlagekosten ihr Ende nehmen und sich im Verhältniß, als der
Geldwerth des kultivirten Bodens steigt und die Möglichkeit, dessen Produkte
durch den Handel zu verwerthen, wächst, durch ihre Resultate kompensiren.

Wir wollen hier nicht weiter auf die Einzelnheiten des Deportatious-
systems und seine Kosten eingehen; mehr mag bei Holtzendorff nachgelesen
werden; aber uns erscheint dasselbe das schicklichste Mittel, um uns jener Sozia¬
listen zu entledigen, die mit dem Strafgesetzbuche in Kollision gerathen. Täuschen
wir uns doch nicht! Wir stehen erst in den Anfänge" dieser Bewegung und
sie wird sicher noch höhere Wellen schlagen, auch wenn jetzt Staat und Ge¬
sellschaft noch so kräftig gegen diese Pest vorgehen. Damit aber bei Zeiten
der nöthige Abzugskanal vorhanden ist, und nicht erst eine Ueberfüllung der Ge¬
fängnisse uns auf die richtigen Wege führt, muß das Reich schon jetzt zugreifen
und sich einen überseeischen Besitz sichern, auf dem es seine mißrathenen Söhne
unterbringen kann. Dort mögen auch alle die übrigen sozialdemokratischen
Elemente eine Unterkunft finden, die mit dem alten Staate und der alten
Ordnung unzufrieden sind.

So viel auch schon von der Welt vergeben ist, so groß der britische, fran¬
zösische, spanische, portugiesische Kolonialbesitz auch ist, so sind doch immer noch
ungeheure Strecken vorhanden, die, ohne europäische Besitzer, Produktenreich,
gesund und in herrlicher Lage, sich zu einer deutschen Kolonisation und Besitz¬
ergreifung eignen. Dahin gehört ein Theil der ostasiatischen Inseln, dahin
gehören die Um-Hebriden, Salcnnonen und Santa Cruz-Inseln im Stillen
Ocean, dahin gehören aber auch vorzüglich manche afrikanische Gebiete.

Die neuen Entdeckungen eines Stanley, Cameron u. s. w. haben der


Grenzboten III. 1873. 7

Mutterlande. Als Anlagekosten bei der Gründung einer neuen Kolonie sind
diejenigen anzusehen, welche aus der Einrichtung vou Baulichkeiten zur Auf¬
nahme der Deportirten und aus der Differenz erwachsen, welche der Unterhalt
der Sträflinge in den Kolonien im Vergleich zu ihrem Aufenthalte in der
Heimath erfordert, wesentlich also die Fracht für die nach den neugegründeten
Kolonien zu schaffenden Lebensbedürfnisse; endlich auch jene Kosten, welche
etwa zu besondern militärischen Sicherheitszwecken gegenüber einer eingeborenen
Bevölkerung, nicht aber zur Behauptung einer politischen Machtstellung ver¬
wendet werden müssen. Diese Anlagekosten erreichen ihr Ende in dem Augen¬
blicke, wo die äußere Selbständigkeit der Kolonie in ihren nothwendigen
Existenzbedingungen erzielt, wo sie ökonomisch vom Mutterlands unabhängig
geworden ist und der Werth ihrer eigenen Produkte genügt, um die Mehrkosten
für den Unterhalt der Sträflinge im allgemeinen zu decken. Je günstiger die
geographischen Bedingungen der Kolonisation sind, je vortheilhafter die han¬
delspolitische Stellung und die produktiven Kräfte erscheinen, desto schneller
werden die Anlagekosten ihr Ende nehmen und sich im Verhältniß, als der
Geldwerth des kultivirten Bodens steigt und die Möglichkeit, dessen Produkte
durch den Handel zu verwerthen, wächst, durch ihre Resultate kompensiren.

Wir wollen hier nicht weiter auf die Einzelnheiten des Deportatious-
systems und seine Kosten eingehen; mehr mag bei Holtzendorff nachgelesen
werden; aber uns erscheint dasselbe das schicklichste Mittel, um uns jener Sozia¬
listen zu entledigen, die mit dem Strafgesetzbuche in Kollision gerathen. Täuschen
wir uns doch nicht! Wir stehen erst in den Anfänge» dieser Bewegung und
sie wird sicher noch höhere Wellen schlagen, auch wenn jetzt Staat und Ge¬
sellschaft noch so kräftig gegen diese Pest vorgehen. Damit aber bei Zeiten
der nöthige Abzugskanal vorhanden ist, und nicht erst eine Ueberfüllung der Ge¬
fängnisse uns auf die richtigen Wege führt, muß das Reich schon jetzt zugreifen
und sich einen überseeischen Besitz sichern, auf dem es seine mißrathenen Söhne
unterbringen kann. Dort mögen auch alle die übrigen sozialdemokratischen
Elemente eine Unterkunft finden, die mit dem alten Staate und der alten
Ordnung unzufrieden sind.

So viel auch schon von der Welt vergeben ist, so groß der britische, fran¬
zösische, spanische, portugiesische Kolonialbesitz auch ist, so sind doch immer noch
ungeheure Strecken vorhanden, die, ohne europäische Besitzer, Produktenreich,
gesund und in herrlicher Lage, sich zu einer deutschen Kolonisation und Besitz¬
ergreifung eignen. Dahin gehört ein Theil der ostasiatischen Inseln, dahin
gehören die Um-Hebriden, Salcnnonen und Santa Cruz-Inseln im Stillen
Ocean, dahin gehören aber auch vorzüglich manche afrikanische Gebiete.

Die neuen Entdeckungen eines Stanley, Cameron u. s. w. haben der


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[0057] Mutterlande. Als Anlagekosten bei der Gründung einer neuen Kolonie sind diejenigen anzusehen, welche aus der Einrichtung vou Baulichkeiten zur Auf¬ nahme der Deportirten und aus der Differenz erwachsen, welche der Unterhalt der Sträflinge in den Kolonien im Vergleich zu ihrem Aufenthalte in der Heimath erfordert, wesentlich also die Fracht für die nach den neugegründeten Kolonien zu schaffenden Lebensbedürfnisse; endlich auch jene Kosten, welche etwa zu besondern militärischen Sicherheitszwecken gegenüber einer eingeborenen Bevölkerung, nicht aber zur Behauptung einer politischen Machtstellung ver¬ wendet werden müssen. Diese Anlagekosten erreichen ihr Ende in dem Augen¬ blicke, wo die äußere Selbständigkeit der Kolonie in ihren nothwendigen Existenzbedingungen erzielt, wo sie ökonomisch vom Mutterlands unabhängig geworden ist und der Werth ihrer eigenen Produkte genügt, um die Mehrkosten für den Unterhalt der Sträflinge im allgemeinen zu decken. Je günstiger die geographischen Bedingungen der Kolonisation sind, je vortheilhafter die han¬ delspolitische Stellung und die produktiven Kräfte erscheinen, desto schneller werden die Anlagekosten ihr Ende nehmen und sich im Verhältniß, als der Geldwerth des kultivirten Bodens steigt und die Möglichkeit, dessen Produkte durch den Handel zu verwerthen, wächst, durch ihre Resultate kompensiren. Wir wollen hier nicht weiter auf die Einzelnheiten des Deportatious- systems und seine Kosten eingehen; mehr mag bei Holtzendorff nachgelesen werden; aber uns erscheint dasselbe das schicklichste Mittel, um uns jener Sozia¬ listen zu entledigen, die mit dem Strafgesetzbuche in Kollision gerathen. Täuschen wir uns doch nicht! Wir stehen erst in den Anfänge» dieser Bewegung und sie wird sicher noch höhere Wellen schlagen, auch wenn jetzt Staat und Ge¬ sellschaft noch so kräftig gegen diese Pest vorgehen. Damit aber bei Zeiten der nöthige Abzugskanal vorhanden ist, und nicht erst eine Ueberfüllung der Ge¬ fängnisse uns auf die richtigen Wege führt, muß das Reich schon jetzt zugreifen und sich einen überseeischen Besitz sichern, auf dem es seine mißrathenen Söhne unterbringen kann. Dort mögen auch alle die übrigen sozialdemokratischen Elemente eine Unterkunft finden, die mit dem alten Staate und der alten Ordnung unzufrieden sind. So viel auch schon von der Welt vergeben ist, so groß der britische, fran¬ zösische, spanische, portugiesische Kolonialbesitz auch ist, so sind doch immer noch ungeheure Strecken vorhanden, die, ohne europäische Besitzer, Produktenreich, gesund und in herrlicher Lage, sich zu einer deutschen Kolonisation und Besitz¬ ergreifung eignen. Dahin gehört ein Theil der ostasiatischen Inseln, dahin gehören die Um-Hebriden, Salcnnonen und Santa Cruz-Inseln im Stillen Ocean, dahin gehören aber auch vorzüglich manche afrikanische Gebiete. Die neuen Entdeckungen eines Stanley, Cameron u. s. w. haben der Grenzboten III. 1873. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/57>, abgerufen am 22.07.2024.