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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Ländereien anzusiedeln, und ebenso diese ohne irgend eine Beschränkung zu
verschenken.

Den angeblich verderblichen, entsittlichenden Einfluß der Deportirten auf
die nicht verbrecherischen Bestandtheile einer kolonialen Bevölkerung angebend,
so widersprechen die Thatsachen am augenfälligsten einer solchen Annahme.
Der gegenwärtige Zustand von Neu-Süd-Wales und Tasmanien ist der schla¬
gendste Beweis für die Unrichtigkeit dieser Behauptung. Und ebenso können
in gewisser Beziehung hier auch die nordamerikanischen Freistaaten als Beispiel
angeführt werden, wohin sich seit Jahrzehnten der Abschaum der europäischen
Gesellschaft flüchtete, wo alle Elemente, welche die soziale Ordnung im monar¬
chischen Europa zu stören drohten, sich begegneten und wo sich gleichwohl jetzt
ein so stolzer Bau erhebt, der alle momentanen Stürme überdauert.

Das große Vorurtheil, welches in früherer Zeit gegen die Trausportation
als Strafmittel herrschte und welches so weit ging, alles zu verleugnen, was
namentlich in Australien durch die Strafkolonisation erzielt wurde, hat indeß
in jüngster Zeit einer besonneneren, gerechteren Anschauung Platz gemacht.
Dr. Long, der Führer der australischen Unabhängigkeitspartei und als solcher
.ein Feind der Deportation, hat sich zu dem Bekenntnisse veranlaßt gesehen,
"daß die Transportationsstrase im allgemeinen bei zweckmäßiger Handhabung
alle gerechten Ansprüche, die man vernünftigerweise an irgend ein Strafmittel
stellen kann, vollkommen erfülle; daß sie den Zwecken der Besserung des Sträf¬
lings mehr wie irgend eine andere entgegen komme und für Großbritannien
zum Theil eine politische Nothwendigkeit ist."

Aehnlich Franz von Holtzendorff: "die Trausportationen, sagt er, zeigen,
wie die für unbrauchbar gehaltenen Granitmassen verbrecherischer Bevölkerungs¬
bestandtheile so weit verwittern können, daß eine reife Kultur auf ihnen Wurzel
schlägt; sie beweisen den unberechenbaren Einfluß, welchen die staatswirthschaft-
lichen Verhältnisse auf den Zustand öffentlicher Gesittung ausüben; sie deuten
an, wie wenig der unmittelbare Strafzwang als Forderung der Gerechtigkeit
für die Verwirklichung der relativen Strafzwecke zu leisten vermag; sie lehren
uns eine Beugung des Rechtsgedankens unter die Herrschaft von Zufälligkeiten
und Thatsachen kennen, für welche man in der Geschichte des deutschen Straf¬
rechts vergeblich nach einer Parallele sucht."

Was die Kosten der Deportation betrifft, so sind dieselben begreiflicher¬
weise größer oder geringer, je nach dem Stande der Kolonisation, welcher der
Verbrecher zu dienen hat, je nach der Entfernung der Kolonie und nach dem
System, vermittelst dessen man die Deportation zur Ausführung bringt. Sie
zerfallen in die Anlagekosten der Kolonie, in die Transportkosten der Sträf¬
linge und in die Unterhaltungskosten derselben nach ihrer Entfernung vom


Ländereien anzusiedeln, und ebenso diese ohne irgend eine Beschränkung zu
verschenken.

Den angeblich verderblichen, entsittlichenden Einfluß der Deportirten auf
die nicht verbrecherischen Bestandtheile einer kolonialen Bevölkerung angebend,
so widersprechen die Thatsachen am augenfälligsten einer solchen Annahme.
Der gegenwärtige Zustand von Neu-Süd-Wales und Tasmanien ist der schla¬
gendste Beweis für die Unrichtigkeit dieser Behauptung. Und ebenso können
in gewisser Beziehung hier auch die nordamerikanischen Freistaaten als Beispiel
angeführt werden, wohin sich seit Jahrzehnten der Abschaum der europäischen
Gesellschaft flüchtete, wo alle Elemente, welche die soziale Ordnung im monar¬
chischen Europa zu stören drohten, sich begegneten und wo sich gleichwohl jetzt
ein so stolzer Bau erhebt, der alle momentanen Stürme überdauert.

Das große Vorurtheil, welches in früherer Zeit gegen die Trausportation
als Strafmittel herrschte und welches so weit ging, alles zu verleugnen, was
namentlich in Australien durch die Strafkolonisation erzielt wurde, hat indeß
in jüngster Zeit einer besonneneren, gerechteren Anschauung Platz gemacht.
Dr. Long, der Führer der australischen Unabhängigkeitspartei und als solcher
.ein Feind der Deportation, hat sich zu dem Bekenntnisse veranlaßt gesehen,
„daß die Transportationsstrase im allgemeinen bei zweckmäßiger Handhabung
alle gerechten Ansprüche, die man vernünftigerweise an irgend ein Strafmittel
stellen kann, vollkommen erfülle; daß sie den Zwecken der Besserung des Sträf¬
lings mehr wie irgend eine andere entgegen komme und für Großbritannien
zum Theil eine politische Nothwendigkeit ist."

Aehnlich Franz von Holtzendorff: „die Trausportationen, sagt er, zeigen,
wie die für unbrauchbar gehaltenen Granitmassen verbrecherischer Bevölkerungs¬
bestandtheile so weit verwittern können, daß eine reife Kultur auf ihnen Wurzel
schlägt; sie beweisen den unberechenbaren Einfluß, welchen die staatswirthschaft-
lichen Verhältnisse auf den Zustand öffentlicher Gesittung ausüben; sie deuten
an, wie wenig der unmittelbare Strafzwang als Forderung der Gerechtigkeit
für die Verwirklichung der relativen Strafzwecke zu leisten vermag; sie lehren
uns eine Beugung des Rechtsgedankens unter die Herrschaft von Zufälligkeiten
und Thatsachen kennen, für welche man in der Geschichte des deutschen Straf¬
rechts vergeblich nach einer Parallele sucht."

Was die Kosten der Deportation betrifft, so sind dieselben begreiflicher¬
weise größer oder geringer, je nach dem Stande der Kolonisation, welcher der
Verbrecher zu dienen hat, je nach der Entfernung der Kolonie und nach dem
System, vermittelst dessen man die Deportation zur Ausführung bringt. Sie
zerfallen in die Anlagekosten der Kolonie, in die Transportkosten der Sträf¬
linge und in die Unterhaltungskosten derselben nach ihrer Entfernung vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/56>, abgerufen am 22.07.2024.