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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Summen gekostet und ihre trostlose Existenz wahrscheinlich in einem dumpfen
Dahinbrüten über ihr Schicksal und die Möglichkeit, sich an ihren Mitmenschen
zu rächen, geendet haben. Nach einem fernen, gesunden, fruchtbaren Lande
versetzt, mit der erhebenden Aussicht, durch Arbeit und Thätigkeit sich wieder
ein ehrliches Auskommen gründen und sogar zur Wohlhabenheit und zum
Reichthum gelangen zu können, erwiesen sich die nämlichen Menschen ohne er¬
hebliche Kosten vom größten Nutzen für den Staat und die Gesellschaft, indem
sie ein bisher so viel wie unbekanntes Land urbar machten und bebauten und
dadurch die Gründer einer Gemeinde wurden, welche jetzt so viele Keime gro߬
artiger Entwickelungsfähigkeit zur Schau trägt.

Ein System, das trotz seiner höchst fehlerhaften, häufig von gemeinen
egoistischen Absichten geleiteten Durchführung, solche Resultate zu erzielen ver¬
mochte, kann von einem unbefangenen Beurtheilet unmöglich als völlig ver¬
werflich und unzweckmäßig angesehen werden, es scheint uus vielmehr bei der
Gründung neuer überseeischer Kolonien in Erdtheilen, deren erste Besiedelung
mit gewissen lokalen Schwierigkeiten verbunden ist, die höchste Beachtung zu
verdienen. Daß man dabei die in Australien gemachten Erfahrungen benutzen,
die Krebsfchüdeu, unter welchen das System bisher in britischen Kolonien litt,
beseitigen müßte, versteht sich wohl von selbst.

Wer sich über das System der Deportation eingehend unterrichten will,
dem ist die Schrift von Franz von Holtzendorff*) zu empfehlen, der sich ent¬
schieden zu dessen Gunsten ausspricht. Man hat häufig und zuweilen mit
einem Anflug von moralischer Entrüstung gegen die Transportation von Sträf¬
lingen nach überseeischen Ländern das Bedenken erhoben, ob es wohl recht, ge¬
wissenhaft und angemessen sei, Verbrecher an einen, wenn auch noch so ent¬
fernten Punkt zu schaffen, um daselbst eine Art von Regenerationsprozeß auf
sie wirken zu lassen; ob nicht das Verbrechen einen allmählichen Zersetzungs¬
prozeß der gefunden Elemente herbeiführen und eine allgemeine sittliche Anarchie
das Endresultat desselben sein würde.

Was nun vor allem den rechtlichen Standpunkt der Frage betrifft, so
unterliegt es wohl uicht dein geringsten Zweifel, daß eine Regierung in allen
jenen Theilen der Erde, wo sie als Eigenthümern: des gesammten Landes an¬
gesehen werden muß, auch das unbestreitbare Recht hat, darüber zu Gunsten
der Verbannten zu disponiren und daß ihr Niemand die Befugniß streitig
machen kann, Deportirte nnter allen ihr gut scheinenden Bedingungen auf ihren



*) Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit und die Verbrecherkolonien
der Engländer und Franzosen in ihrer geschichtlichen Entwicklung und kriminalgeschichtlichcn
Bedeutung, Leipzig, 18S9.

Summen gekostet und ihre trostlose Existenz wahrscheinlich in einem dumpfen
Dahinbrüten über ihr Schicksal und die Möglichkeit, sich an ihren Mitmenschen
zu rächen, geendet haben. Nach einem fernen, gesunden, fruchtbaren Lande
versetzt, mit der erhebenden Aussicht, durch Arbeit und Thätigkeit sich wieder
ein ehrliches Auskommen gründen und sogar zur Wohlhabenheit und zum
Reichthum gelangen zu können, erwiesen sich die nämlichen Menschen ohne er¬
hebliche Kosten vom größten Nutzen für den Staat und die Gesellschaft, indem
sie ein bisher so viel wie unbekanntes Land urbar machten und bebauten und
dadurch die Gründer einer Gemeinde wurden, welche jetzt so viele Keime gro߬
artiger Entwickelungsfähigkeit zur Schau trägt.

Ein System, das trotz seiner höchst fehlerhaften, häufig von gemeinen
egoistischen Absichten geleiteten Durchführung, solche Resultate zu erzielen ver¬
mochte, kann von einem unbefangenen Beurtheilet unmöglich als völlig ver¬
werflich und unzweckmäßig angesehen werden, es scheint uus vielmehr bei der
Gründung neuer überseeischer Kolonien in Erdtheilen, deren erste Besiedelung
mit gewissen lokalen Schwierigkeiten verbunden ist, die höchste Beachtung zu
verdienen. Daß man dabei die in Australien gemachten Erfahrungen benutzen,
die Krebsfchüdeu, unter welchen das System bisher in britischen Kolonien litt,
beseitigen müßte, versteht sich wohl von selbst.

Wer sich über das System der Deportation eingehend unterrichten will,
dem ist die Schrift von Franz von Holtzendorff*) zu empfehlen, der sich ent¬
schieden zu dessen Gunsten ausspricht. Man hat häufig und zuweilen mit
einem Anflug von moralischer Entrüstung gegen die Transportation von Sträf¬
lingen nach überseeischen Ländern das Bedenken erhoben, ob es wohl recht, ge¬
wissenhaft und angemessen sei, Verbrecher an einen, wenn auch noch so ent¬
fernten Punkt zu schaffen, um daselbst eine Art von Regenerationsprozeß auf
sie wirken zu lassen; ob nicht das Verbrechen einen allmählichen Zersetzungs¬
prozeß der gefunden Elemente herbeiführen und eine allgemeine sittliche Anarchie
das Endresultat desselben sein würde.

Was nun vor allem den rechtlichen Standpunkt der Frage betrifft, so
unterliegt es wohl uicht dein geringsten Zweifel, daß eine Regierung in allen
jenen Theilen der Erde, wo sie als Eigenthümern: des gesammten Landes an¬
gesehen werden muß, auch das unbestreitbare Recht hat, darüber zu Gunsten
der Verbannten zu disponiren und daß ihr Niemand die Befugniß streitig
machen kann, Deportirte nnter allen ihr gut scheinenden Bedingungen auf ihren



*) Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit und die Verbrecherkolonien
der Engländer und Franzosen in ihrer geschichtlichen Entwicklung und kriminalgeschichtlichcn
Bedeutung, Leipzig, 18S9.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/55>, abgerufen am 22.07.2024.