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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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warte zum Ausdruck gelangten. Die Mehrzahl aller Redner, auch derer,
welche für das Gesetz sprachen, hat sich, nach Lage der Dinge, vorwiegend in
allgemeinen Redewendungen ergehen müssen. Hierdurch wurde zwar zu einer
stattlichen Jnszenirung beigetragen, die Sache selbst aber kaum weiter geführt.
Hierauf können nur einige Stellen der Rede Bamberger's Anspruch machen,
in denen er Einzelheiten des Entwurfs berührte. Die Ausführungen von Doll¬
fuß, welcher auf die heilsamen Wirkungen der im Elsaß zu Gunsten der Arbeiter-
bevölkerung getroffenen Einrichtungen hinwies, waren für die jetzige Verhand¬
lung, so zu sagen, viel zu sachlich, weil es sich dermalen vorerst um etwas
ganz anderes handelt. Hat der Staat erst die faule Brut erstickt, dann werden
unter den Erwägungen, wie für das Wohl der Arbeiter positiv zu sorgen ist,
jene humanen, blos vom Opfersinn Privater hervorgerufenen segensreichen Ein¬
richtungen gewiß eine große Rolle spielen können.

Der tiefe Widerstreit, welcher unleugbar den Vaterlandsfreund gegenüber
der großen Aufgabe des Augenblicks bewegt, zog begreiflich auch in den Reden
der Abgeordneten die tiefsten Furchen. Auf der einen Seite die Einsicht in
die Nothwendigkeit entschiedenen Einschreitens, auf der anderen die Ungewi߬
heit, ob nicht durch Absicht oder Ungeschick der vollziehenden Gewalt, die Frei¬
heiten auch für die übrigen Staatsbürger in Gefahr gerathen würden. Gegen
eine solche Gefährdung läßt sich im Grunde keine unbedingte Sicherheit ge¬
währen, weder durch Personen, noch durch Bestimmungen, selbst wenn deren
Fassung auch ans das Künstlichste gedrechselt wird. Dennoch aber kann für
den Reichstagsabgeordneten, der wirklich die volle Größe der von der Sozial¬
demokratie drohenden Gefahren erkannt hat, kein Zweifel mehr obwalten: er
muß, so schwer es ihm mich nach seiner Vergangenheit und den unter anderen
Verhältnissen gebildeten Grundsätzen fallen mag, in freiheitlicher Hinsicht jenem
Risiko sich unterziehen, weil dieses ohne Frage das kleinere Uebel und doch
wahrscheinlich in den meisten Fällen ein nur imaginäres ist. Auf die Gefahr
hin, auf's Höchste verketzert zu werden, behaupten wir: Der Zweck des Ge¬
setzes würde am besten erreicht, wenn es möglich wäre, außerordentliche Voll¬
machten in diskretionärer Weise einer Vertrauensperson zu übertragen; je mehr
Garantieen und Kautelen, um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß verderbliche
Elemente der fraglichen Art dem vernichtenden Schlage entwischen. Indeß da¬
zu ist keine Aussicht und es gilt eben, sich in Auffindung von Fassungen ab¬
zumühen, auf Grund deren die Zustimmung des Reichstags zu den möglichst
scharfen Maßregeln zu erlangen ist. Es ist begreiflich, daß die hierin liegenden
Schwierigkeiten und theilweisen Widersprüche von den gegnerischen Rednern
weidlich zum Anlaß für Angriffe gegen das Ganze des Entwurfs gemacht
wurden.


warte zum Ausdruck gelangten. Die Mehrzahl aller Redner, auch derer,
welche für das Gesetz sprachen, hat sich, nach Lage der Dinge, vorwiegend in
allgemeinen Redewendungen ergehen müssen. Hierdurch wurde zwar zu einer
stattlichen Jnszenirung beigetragen, die Sache selbst aber kaum weiter geführt.
Hierauf können nur einige Stellen der Rede Bamberger's Anspruch machen,
in denen er Einzelheiten des Entwurfs berührte. Die Ausführungen von Doll¬
fuß, welcher auf die heilsamen Wirkungen der im Elsaß zu Gunsten der Arbeiter-
bevölkerung getroffenen Einrichtungen hinwies, waren für die jetzige Verhand¬
lung, so zu sagen, viel zu sachlich, weil es sich dermalen vorerst um etwas
ganz anderes handelt. Hat der Staat erst die faule Brut erstickt, dann werden
unter den Erwägungen, wie für das Wohl der Arbeiter positiv zu sorgen ist,
jene humanen, blos vom Opfersinn Privater hervorgerufenen segensreichen Ein¬
richtungen gewiß eine große Rolle spielen können.

Der tiefe Widerstreit, welcher unleugbar den Vaterlandsfreund gegenüber
der großen Aufgabe des Augenblicks bewegt, zog begreiflich auch in den Reden
der Abgeordneten die tiefsten Furchen. Auf der einen Seite die Einsicht in
die Nothwendigkeit entschiedenen Einschreitens, auf der anderen die Ungewi߬
heit, ob nicht durch Absicht oder Ungeschick der vollziehenden Gewalt, die Frei¬
heiten auch für die übrigen Staatsbürger in Gefahr gerathen würden. Gegen
eine solche Gefährdung läßt sich im Grunde keine unbedingte Sicherheit ge¬
währen, weder durch Personen, noch durch Bestimmungen, selbst wenn deren
Fassung auch ans das Künstlichste gedrechselt wird. Dennoch aber kann für
den Reichstagsabgeordneten, der wirklich die volle Größe der von der Sozial¬
demokratie drohenden Gefahren erkannt hat, kein Zweifel mehr obwalten: er
muß, so schwer es ihm mich nach seiner Vergangenheit und den unter anderen
Verhältnissen gebildeten Grundsätzen fallen mag, in freiheitlicher Hinsicht jenem
Risiko sich unterziehen, weil dieses ohne Frage das kleinere Uebel und doch
wahrscheinlich in den meisten Fällen ein nur imaginäres ist. Auf die Gefahr
hin, auf's Höchste verketzert zu werden, behaupten wir: Der Zweck des Ge¬
setzes würde am besten erreicht, wenn es möglich wäre, außerordentliche Voll¬
machten in diskretionärer Weise einer Vertrauensperson zu übertragen; je mehr
Garantieen und Kautelen, um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß verderbliche
Elemente der fraglichen Art dem vernichtenden Schlage entwischen. Indeß da¬
zu ist keine Aussicht und es gilt eben, sich in Auffindung von Fassungen ab¬
zumühen, auf Grund deren die Zustimmung des Reichstags zu den möglichst
scharfen Maßregeln zu erlangen ist. Es ist begreiflich, daß die hierin liegenden
Schwierigkeiten und theilweisen Widersprüche von den gegnerischen Rednern
weidlich zum Anlaß für Angriffe gegen das Ganze des Entwurfs gemacht
wurden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/525>, abgerufen am 22.07.2024.