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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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licher, für praktisch fördernd gehalten haben, der Reichstag hätte sich am 16.
September, ohne vorherige Generaldebatte, gleich an die Berathung der einzel¬
nen Punkte des Entwurfs "gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie" begeben. Nach den wochenlang mit aller Breite in der Presse
und in den Reden der Wahlkandidaten stattgehabten Erörterungen über die in
Betracht kommenden Grundsätze und Gesichtspunkte war eigentlich voraus¬
zusehen, daß in der allgemeinen Berathung vom 16. und 17. September nicht
viel Neues vorgebracht werden könne; ja mehr noch: es stand von vorn¬
herein zu vermuthen, daß viele der grundsätzlichen Punkte und Bedenken, deren
Behandlung für die allgemeine Berathung des Reichstags wieder in sicherer
Aussicht stand, eines recht faßbaren Inhalts, ja der Existenzberechtigung fast
entbehrten, bevor nicht das Einzelne des Entwurfs gemeinschaftlich von Volks¬
vertretern und Regierungsbevollmächtigter geprüft und aufrichtig nach den
besten Mitteln gesucht worden, nnr die genannten Feinde des Staats, diese
aber mit aller Schärfe zu treffen. Indeß die Generaldebatte war natürlich
aus sonstigen Gründen nicht zu umgehen und man durfte in ihr viel Kampf
gegen Windmühlen sowie neuen Stoff zur Erbitterung unter den Parteien
erwarten. Ersteren hat sie denn auch reichlich, letzteren infolge zeitgemäßer
Zurückhaltung gewisser Parteiführer weniger zu Tage gefördert, im Uebrigen
aber zur erfreulichen Klarstellung einiger Punkte geführt.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die Art, wie der zum ersten¬
male im Reichstage auftretende Stellvertreter des Kanzler's, Graf Stollberg,
die Vorlage einführte, durchaus angemessen war. Kurz, scharf und gleich auf
die Mitte der Sache weisend, das war des Gegenstandes und des zu vertre¬
tenden Kanzlers am würdigsten. Stollberg's Erklärung schnitt sofort einige
der vornehmlichsten Einwände ab und es verdient alle Beachtung, daß er ohne
weiteren Anlaß die Pflicht des Staats proklcunirte, der auf anderen Gebieten
liegenden schwierigsten Arbeit zur Heilung des sozialen Uebels sich zu unter¬
ziehen. Auch wurde durch die Redewendung des Vizekanzlers festgestellt, daß
die Regierungen durchaus nicht glauben, mit ihren Vorschlägen das allein
Richtige gefunden zu haben; sie scheinen hiernach vielmehr gern bereit, es
durch Zutreffenderes zu ersetzen, nur halten sie lediglich Waffen von der Art
der vorgeschlagenen, nämlich scharfe und wirksame, für erfolgreich. Stoll¬
berg's Warnung vor der Schädlichkeit halber Maßregeln traf den Kern
derjenigen Erwägungen, welche bei dem wahrscheinlich zur Entscheidung be¬
rufenen Laster'schen Theile der Nationalliberalen vermuthlich eine große Rolle
spielen werden.

Es ist immerhin gut, daß eine Mehrheit von Rednern gegen das Gesetz
zum Worte gelassen wurde. So ist man wohl sicher, daß ziemlich alle Ein-


licher, für praktisch fördernd gehalten haben, der Reichstag hätte sich am 16.
September, ohne vorherige Generaldebatte, gleich an die Berathung der einzel¬
nen Punkte des Entwurfs „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie" begeben. Nach den wochenlang mit aller Breite in der Presse
und in den Reden der Wahlkandidaten stattgehabten Erörterungen über die in
Betracht kommenden Grundsätze und Gesichtspunkte war eigentlich voraus¬
zusehen, daß in der allgemeinen Berathung vom 16. und 17. September nicht
viel Neues vorgebracht werden könne; ja mehr noch: es stand von vorn¬
herein zu vermuthen, daß viele der grundsätzlichen Punkte und Bedenken, deren
Behandlung für die allgemeine Berathung des Reichstags wieder in sicherer
Aussicht stand, eines recht faßbaren Inhalts, ja der Existenzberechtigung fast
entbehrten, bevor nicht das Einzelne des Entwurfs gemeinschaftlich von Volks¬
vertretern und Regierungsbevollmächtigter geprüft und aufrichtig nach den
besten Mitteln gesucht worden, nnr die genannten Feinde des Staats, diese
aber mit aller Schärfe zu treffen. Indeß die Generaldebatte war natürlich
aus sonstigen Gründen nicht zu umgehen und man durfte in ihr viel Kampf
gegen Windmühlen sowie neuen Stoff zur Erbitterung unter den Parteien
erwarten. Ersteren hat sie denn auch reichlich, letzteren infolge zeitgemäßer
Zurückhaltung gewisser Parteiführer weniger zu Tage gefördert, im Uebrigen
aber zur erfreulichen Klarstellung einiger Punkte geführt.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß die Art, wie der zum ersten¬
male im Reichstage auftretende Stellvertreter des Kanzler's, Graf Stollberg,
die Vorlage einführte, durchaus angemessen war. Kurz, scharf und gleich auf
die Mitte der Sache weisend, das war des Gegenstandes und des zu vertre¬
tenden Kanzlers am würdigsten. Stollberg's Erklärung schnitt sofort einige
der vornehmlichsten Einwände ab und es verdient alle Beachtung, daß er ohne
weiteren Anlaß die Pflicht des Staats proklcunirte, der auf anderen Gebieten
liegenden schwierigsten Arbeit zur Heilung des sozialen Uebels sich zu unter¬
ziehen. Auch wurde durch die Redewendung des Vizekanzlers festgestellt, daß
die Regierungen durchaus nicht glauben, mit ihren Vorschlägen das allein
Richtige gefunden zu haben; sie scheinen hiernach vielmehr gern bereit, es
durch Zutreffenderes zu ersetzen, nur halten sie lediglich Waffen von der Art
der vorgeschlagenen, nämlich scharfe und wirksame, für erfolgreich. Stoll¬
berg's Warnung vor der Schädlichkeit halber Maßregeln traf den Kern
derjenigen Erwägungen, welche bei dem wahrscheinlich zur Entscheidung be¬
rufenen Laster'schen Theile der Nationalliberalen vermuthlich eine große Rolle
spielen werden.

Es ist immerhin gut, daß eine Mehrheit von Rednern gegen das Gesetz
zum Worte gelassen wurde. So ist man wohl sicher, daß ziemlich alle Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/524>, abgerufen am 22.07.2024.