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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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sondern eine außerordentliche Vergünstigung der Natur. Die Franzosen, ins¬
besondere die Regierung, haben wenig oder nichts gethan, um den Glanz der
Ausstellung zu erhöhen. Daß sie über alle Maßen glänzend ausgefallen ist,
ist nicht das Verdienst Frankreichs, sondern der fremden Aussteller, die noch
einmal dem Sirenenruf von der Seine gefolgt sind.

Es läßt sich sogar noch weiter behaupten, daß die Franzosen durch ihre
Weltausstellung eine Niederlage erlitten haben, insofern nämlich, als ihre Rück-
schritte in Kunst und Kunstindustrie, ihr Marasmus auf vielen Gebieten, auf
denen sie sonst unbeschränkte Herren waren, durch die Weltausstellung von 1878
Jedermann augenfällig geworden ist. Das thatkräftige England einerseits und
das strebsame Oesterreich andrerseits haben ihnen die Herrschaft auf dem Gebiete
der Kunstindustrie entrissen, und selbst in der Bronzetechnik, die noch am ehesten
auf ihrer alten Höhe steht, drohen ihnen die Japaner über den Kopf zu wachsen.

Dieses eine Fazit läßt sich also schon jetzt ziehen: die Alleinherrschaft
Frankreich's in Kunst und Kunstindustrie hat einen mächtigen Stoß erhalten.
Allmählich bereitet sich der Sieg des germanischen Geistes über den romanischen
vor. Hoffen wir, daß er nicht allzulange auf sich warten läßt und daß sich
die wirthschaftlichen Verhältnisse in unserem Vaterlande bis dahin so weit ge¬
bessert haben werden, daß auch Deutschland an diesem Siegesfeste Theil
nehmen kann.




Z)le Weite Woche des deutschen Aeichstags.

Die Woche, welche nach Eröffnung des Reichstags verfließen mußte, be¬
vor dieser an die große Aufgabe herantreten konnte, für welche er gewählt und
berufen worden, erschien schon allzulang in Anbetracht der Spannung und Un¬
geduld, mit welcher der größte Theil der Bevölkerung dem Schicksale der So¬
zialistenvorlage entgegensieht. Die hohe Bewegung, in welche seit vier Monaten
alle Parteien versetzt worden, die ganze Hitze der Wahlbewegung, die Hoff¬
nungen der Geängsteten wie die ruhigen Erwägungen einsichtiger Politiker:
Alles zielte zunächst auf die wirkliche Inangriffnahme eines Gesetzentwurfs,
welcher den unter allen Umständen nothwendigen Schutz für Staat und Ge¬
sellschaft bringen und wie ein furchtbares Wetter die staatliche Atmosphäre von
tödtlichen Miasmen zu reinigen bestimmt ist.

Wenn es überhaupt thunlich gewesen wäre, wir würden es für ersprieß--


sondern eine außerordentliche Vergünstigung der Natur. Die Franzosen, ins¬
besondere die Regierung, haben wenig oder nichts gethan, um den Glanz der
Ausstellung zu erhöhen. Daß sie über alle Maßen glänzend ausgefallen ist,
ist nicht das Verdienst Frankreichs, sondern der fremden Aussteller, die noch
einmal dem Sirenenruf von der Seine gefolgt sind.

Es läßt sich sogar noch weiter behaupten, daß die Franzosen durch ihre
Weltausstellung eine Niederlage erlitten haben, insofern nämlich, als ihre Rück-
schritte in Kunst und Kunstindustrie, ihr Marasmus auf vielen Gebieten, auf
denen sie sonst unbeschränkte Herren waren, durch die Weltausstellung von 1878
Jedermann augenfällig geworden ist. Das thatkräftige England einerseits und
das strebsame Oesterreich andrerseits haben ihnen die Herrschaft auf dem Gebiete
der Kunstindustrie entrissen, und selbst in der Bronzetechnik, die noch am ehesten
auf ihrer alten Höhe steht, drohen ihnen die Japaner über den Kopf zu wachsen.

Dieses eine Fazit läßt sich also schon jetzt ziehen: die Alleinherrschaft
Frankreich's in Kunst und Kunstindustrie hat einen mächtigen Stoß erhalten.
Allmählich bereitet sich der Sieg des germanischen Geistes über den romanischen
vor. Hoffen wir, daß er nicht allzulange auf sich warten läßt und daß sich
die wirthschaftlichen Verhältnisse in unserem Vaterlande bis dahin so weit ge¬
bessert haben werden, daß auch Deutschland an diesem Siegesfeste Theil
nehmen kann.




Z)le Weite Woche des deutschen Aeichstags.

Die Woche, welche nach Eröffnung des Reichstags verfließen mußte, be¬
vor dieser an die große Aufgabe herantreten konnte, für welche er gewählt und
berufen worden, erschien schon allzulang in Anbetracht der Spannung und Un¬
geduld, mit welcher der größte Theil der Bevölkerung dem Schicksale der So¬
zialistenvorlage entgegensieht. Die hohe Bewegung, in welche seit vier Monaten
alle Parteien versetzt worden, die ganze Hitze der Wahlbewegung, die Hoff¬
nungen der Geängsteten wie die ruhigen Erwägungen einsichtiger Politiker:
Alles zielte zunächst auf die wirkliche Inangriffnahme eines Gesetzentwurfs,
welcher den unter allen Umständen nothwendigen Schutz für Staat und Ge¬
sellschaft bringen und wie ein furchtbares Wetter die staatliche Atmosphäre von
tödtlichen Miasmen zu reinigen bestimmt ist.

Wenn es überhaupt thunlich gewesen wäre, wir würden es für ersprieß--


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[0523] sondern eine außerordentliche Vergünstigung der Natur. Die Franzosen, ins¬ besondere die Regierung, haben wenig oder nichts gethan, um den Glanz der Ausstellung zu erhöhen. Daß sie über alle Maßen glänzend ausgefallen ist, ist nicht das Verdienst Frankreichs, sondern der fremden Aussteller, die noch einmal dem Sirenenruf von der Seine gefolgt sind. Es läßt sich sogar noch weiter behaupten, daß die Franzosen durch ihre Weltausstellung eine Niederlage erlitten haben, insofern nämlich, als ihre Rück- schritte in Kunst und Kunstindustrie, ihr Marasmus auf vielen Gebieten, auf denen sie sonst unbeschränkte Herren waren, durch die Weltausstellung von 1878 Jedermann augenfällig geworden ist. Das thatkräftige England einerseits und das strebsame Oesterreich andrerseits haben ihnen die Herrschaft auf dem Gebiete der Kunstindustrie entrissen, und selbst in der Bronzetechnik, die noch am ehesten auf ihrer alten Höhe steht, drohen ihnen die Japaner über den Kopf zu wachsen. Dieses eine Fazit läßt sich also schon jetzt ziehen: die Alleinherrschaft Frankreich's in Kunst und Kunstindustrie hat einen mächtigen Stoß erhalten. Allmählich bereitet sich der Sieg des germanischen Geistes über den romanischen vor. Hoffen wir, daß er nicht allzulange auf sich warten läßt und daß sich die wirthschaftlichen Verhältnisse in unserem Vaterlande bis dahin so weit ge¬ bessert haben werden, daß auch Deutschland an diesem Siegesfeste Theil nehmen kann. Z)le Weite Woche des deutschen Aeichstags. Die Woche, welche nach Eröffnung des Reichstags verfließen mußte, be¬ vor dieser an die große Aufgabe herantreten konnte, für welche er gewählt und berufen worden, erschien schon allzulang in Anbetracht der Spannung und Un¬ geduld, mit welcher der größte Theil der Bevölkerung dem Schicksale der So¬ zialistenvorlage entgegensieht. Die hohe Bewegung, in welche seit vier Monaten alle Parteien versetzt worden, die ganze Hitze der Wahlbewegung, die Hoff¬ nungen der Geängsteten wie die ruhigen Erwägungen einsichtiger Politiker: Alles zielte zunächst auf die wirkliche Inangriffnahme eines Gesetzentwurfs, welcher den unter allen Umständen nothwendigen Schutz für Staat und Ge¬ sellschaft bringen und wie ein furchtbares Wetter die staatliche Atmosphäre von tödtlichen Miasmen zu reinigen bestimmt ist. Wenn es überhaupt thunlich gewesen wäre, wir würden es für ersprieß--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/523>, abgerufen am 22.07.2024.