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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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war. Vorwiegend Thiermaler hat er durch eine jüngst nach dem Orient unter¬
nommene Reise sein Stoffgebiet erweitert und eine Fülle malerischer Anregungen
erfahren, die er in mehreren großen Kompositionen verwerthet hat. So in einer
wild bewegten Volksszene aus dem alten Jerusalem "Wir wollen Barrabas!",
die dadurch, daß der Maler moderne Typen für sein Bild benutzte, an Leben¬
digkeit gewonnen hat. Ferner in dem Kampfe eines Löwen mit einem Stier,
der mit breitem Pinsel sehr flott und energisch gemalt ist. Während früher die
Gemälde auch dieses Malers bei aller Tiefe die altflandrische Glätte zeigten,
ist er seit der Reise nach dem Orient in eine neue koloristische Phase getreten,
die am ehesten an Rubens erinnert.

An der alten Tradition halten die Genremaler Mabon und Willens fest.
Ersterer weiß die eigenthümliche Art eines Teniers, eines Brouwer auf moderne
Stoffe zu übertragen, während Willens erfolgreich mit Terburg, Mieris und
Metzü in der Behandlung von Sammet, Seide und Atlas wetteifert.

Aber sie übertrifft noch bei weitem der in Paris lebende Genremaler
Alfred Stevens, der in der pikanten und farbenreichen Schilderung des Pariser
Lebens, besonders in den Boudoirszenen selbst unter den Pariser Malern nicht
seines Gleichen findet. Keiner weiß die Stoffe so charakteristisch wiederzugeben
wie er. Er ist das treueste Spiegelbild der heiteren Eleganz und des raffinirten
Luxus, der in den Salons der Pariser Löwinnen herrscht. --

Wenn wir erst am Schluß unserer Uebersicht über die Pariser Weltaus¬
stellung, die bei der ungeheuren Fülle des vorhandenen Stoffes nur die Spitzen
und auch diese nur flüchtig berühren konnte, einen Blick auf die deutsche Kunst
werfen, so soll damit keine Rangordnung ausgesprochen werden. Mit dem un¬
behaglichen Gefühl einer sicheren Niederlage ging die deutsche Kunst, ein Opfer
der Politik, nach Paris, mit einem neuen Lorbeerkranze kehrt sie zurück. Sie
hat einen Sieg errungen, den gerade diejenigen der Welt verkünden mußten,
welche die bittersten Pfeile des Spottes gegen sie abgesandt hatten.

Man kennt die mißlichen Umstände, unter welchen die deutsche Kunstaus¬
stellung in letzter Stunde zu Stande gebracht wurde. Nur der Energie und
dem Geschick zweier Männer, des Direktors der Berliner Kunstakademie A. v.
Werner und des Münchener Bildhauers Getön, war es zu danken, daß eine
Vertretung der deutschen Kunst in Paris überhaupt noch ermöglicht werden
konnte. Während Getön die glänzende Dekoration des deutschen Saales, die
alle Welt und am meisten die Pariser überraschte, auf Grund seiner bei der
Münchener Kunstgewerbeausstellung gesammelten Erfahrungen schuf, wählte
Werner aus den öffentlichen Galerieen und aus Privatsammlungen Gemälde
und Skulpturen, 183 an der Zahl, aus, welche ihm am meisten geeignet
schienen ein richtiges Bild von dem gegenwärtigen Stande der deutschen Kunst


Grenzboten III. 1878. so

war. Vorwiegend Thiermaler hat er durch eine jüngst nach dem Orient unter¬
nommene Reise sein Stoffgebiet erweitert und eine Fülle malerischer Anregungen
erfahren, die er in mehreren großen Kompositionen verwerthet hat. So in einer
wild bewegten Volksszene aus dem alten Jerusalem „Wir wollen Barrabas!",
die dadurch, daß der Maler moderne Typen für sein Bild benutzte, an Leben¬
digkeit gewonnen hat. Ferner in dem Kampfe eines Löwen mit einem Stier,
der mit breitem Pinsel sehr flott und energisch gemalt ist. Während früher die
Gemälde auch dieses Malers bei aller Tiefe die altflandrische Glätte zeigten,
ist er seit der Reise nach dem Orient in eine neue koloristische Phase getreten,
die am ehesten an Rubens erinnert.

An der alten Tradition halten die Genremaler Mabon und Willens fest.
Ersterer weiß die eigenthümliche Art eines Teniers, eines Brouwer auf moderne
Stoffe zu übertragen, während Willens erfolgreich mit Terburg, Mieris und
Metzü in der Behandlung von Sammet, Seide und Atlas wetteifert.

Aber sie übertrifft noch bei weitem der in Paris lebende Genremaler
Alfred Stevens, der in der pikanten und farbenreichen Schilderung des Pariser
Lebens, besonders in den Boudoirszenen selbst unter den Pariser Malern nicht
seines Gleichen findet. Keiner weiß die Stoffe so charakteristisch wiederzugeben
wie er. Er ist das treueste Spiegelbild der heiteren Eleganz und des raffinirten
Luxus, der in den Salons der Pariser Löwinnen herrscht. —

Wenn wir erst am Schluß unserer Uebersicht über die Pariser Weltaus¬
stellung, die bei der ungeheuren Fülle des vorhandenen Stoffes nur die Spitzen
und auch diese nur flüchtig berühren konnte, einen Blick auf die deutsche Kunst
werfen, so soll damit keine Rangordnung ausgesprochen werden. Mit dem un¬
behaglichen Gefühl einer sicheren Niederlage ging die deutsche Kunst, ein Opfer
der Politik, nach Paris, mit einem neuen Lorbeerkranze kehrt sie zurück. Sie
hat einen Sieg errungen, den gerade diejenigen der Welt verkünden mußten,
welche die bittersten Pfeile des Spottes gegen sie abgesandt hatten.

Man kennt die mißlichen Umstände, unter welchen die deutsche Kunstaus¬
stellung in letzter Stunde zu Stande gebracht wurde. Nur der Energie und
dem Geschick zweier Männer, des Direktors der Berliner Kunstakademie A. v.
Werner und des Münchener Bildhauers Getön, war es zu danken, daß eine
Vertretung der deutschen Kunst in Paris überhaupt noch ermöglicht werden
konnte. Während Getön die glänzende Dekoration des deutschen Saales, die
alle Welt und am meisten die Pariser überraschte, auf Grund seiner bei der
Münchener Kunstgewerbeausstellung gesammelten Erfahrungen schuf, wählte
Werner aus den öffentlichen Galerieen und aus Privatsammlungen Gemälde
und Skulpturen, 183 an der Zahl, aus, welche ihm am meisten geeignet
schienen ein richtiges Bild von dem gegenwärtigen Stande der deutschen Kunst


Grenzboten III. 1878. so
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[0521] war. Vorwiegend Thiermaler hat er durch eine jüngst nach dem Orient unter¬ nommene Reise sein Stoffgebiet erweitert und eine Fülle malerischer Anregungen erfahren, die er in mehreren großen Kompositionen verwerthet hat. So in einer wild bewegten Volksszene aus dem alten Jerusalem „Wir wollen Barrabas!", die dadurch, daß der Maler moderne Typen für sein Bild benutzte, an Leben¬ digkeit gewonnen hat. Ferner in dem Kampfe eines Löwen mit einem Stier, der mit breitem Pinsel sehr flott und energisch gemalt ist. Während früher die Gemälde auch dieses Malers bei aller Tiefe die altflandrische Glätte zeigten, ist er seit der Reise nach dem Orient in eine neue koloristische Phase getreten, die am ehesten an Rubens erinnert. An der alten Tradition halten die Genremaler Mabon und Willens fest. Ersterer weiß die eigenthümliche Art eines Teniers, eines Brouwer auf moderne Stoffe zu übertragen, während Willens erfolgreich mit Terburg, Mieris und Metzü in der Behandlung von Sammet, Seide und Atlas wetteifert. Aber sie übertrifft noch bei weitem der in Paris lebende Genremaler Alfred Stevens, der in der pikanten und farbenreichen Schilderung des Pariser Lebens, besonders in den Boudoirszenen selbst unter den Pariser Malern nicht seines Gleichen findet. Keiner weiß die Stoffe so charakteristisch wiederzugeben wie er. Er ist das treueste Spiegelbild der heiteren Eleganz und des raffinirten Luxus, der in den Salons der Pariser Löwinnen herrscht. — Wenn wir erst am Schluß unserer Uebersicht über die Pariser Weltaus¬ stellung, die bei der ungeheuren Fülle des vorhandenen Stoffes nur die Spitzen und auch diese nur flüchtig berühren konnte, einen Blick auf die deutsche Kunst werfen, so soll damit keine Rangordnung ausgesprochen werden. Mit dem un¬ behaglichen Gefühl einer sicheren Niederlage ging die deutsche Kunst, ein Opfer der Politik, nach Paris, mit einem neuen Lorbeerkranze kehrt sie zurück. Sie hat einen Sieg errungen, den gerade diejenigen der Welt verkünden mußten, welche die bittersten Pfeile des Spottes gegen sie abgesandt hatten. Man kennt die mißlichen Umstände, unter welchen die deutsche Kunstaus¬ stellung in letzter Stunde zu Stande gebracht wurde. Nur der Energie und dem Geschick zweier Männer, des Direktors der Berliner Kunstakademie A. v. Werner und des Münchener Bildhauers Getön, war es zu danken, daß eine Vertretung der deutschen Kunst in Paris überhaupt noch ermöglicht werden konnte. Während Getön die glänzende Dekoration des deutschen Saales, die alle Welt und am meisten die Pariser überraschte, auf Grund seiner bei der Münchener Kunstgewerbeausstellung gesammelten Erfahrungen schuf, wählte Werner aus den öffentlichen Galerieen und aus Privatsammlungen Gemälde und Skulpturen, 183 an der Zahl, aus, welche ihm am meisten geeignet schienen ein richtiges Bild von dem gegenwärtigen Stande der deutschen Kunst Grenzboten III. 1878. so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/521>, abgerufen am 22.07.2024.