Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

land Bahn zu brechen versucht und dabei mit Anlehnung an Wilhelm Röscher*)
die verschiedenen Arten von Kolonieen, welche hier in Frage kommen,
erörtert. Und über diese Arten müssen wir uns im Klaren sein, ehe wir in
unserer Untersuchung vorwärts schreiten können.

Ackerbaukolonien sind oder waren Australien und Nordamerika. In
derartige Länder, deren klimatische Verhältnisse europäischen Auswanderern nicht
allzu fremdartig vorkommen, strömen Millionen von Ansiedlern, bemächtigen sich
in Kurzem der ausgedehnten Ackerbau- oder Weideflächen und vernichten in
fast stetem Kriege die eingeborne Bevölkerung. Zugleich haben sie mit einer
mächtigen Natur zu kämpfeu: sie haben Wälder zu roder, Sümpfe auszutrocknen,
oder dürre Ländereien zu bewässern, Straßen, Kanäle, Schulen und Kirchen zu
bauen, brauchen also Geld und können dem Mutterlande wenig oder nichts
abgeben, beziehen vielmehr beträchtliche Unterstützungen von dort, murren, so oft
sie etwas dagegen leisten sollen und fallen über kurz oder lang als selbstständige
Staaten mit demokratischen Verfassungen ab.

Anderer Art sind die Eroberungskolonien, wie sie früher die Spanier
und Portugiesen in Mittel- und Südamerika begründeten, wie neuerdings die
Franzosen eine in Nordasrika Mgerien) angelegt haben. Auch nach ihnen
ziehen sich Auswanderer in Massen, aber weniger Ackerbauer, sondern Aben¬
teurer, Soldaten, Beamte; es entsteht in ihnen eine schroffe Ungleichheit der
Stände und die Eingebornen werden nicht ausgerottet, fondern bilden nur die
unterste Klasse der Bevölkerung, den Stoff, über welchen die Eingewanderten
herrschen. Eroberungskvlonien werden immer in einem gewissen Grade un¬
sittlich sein und ungesunde Verhältnisse zeigen, bis sie über kurz oder lang in
eine der andern Formen übergegangen sind.

Pflanznngskolonien sind diejenigen, aus denen wir Kolonialwaaren
beziehen. Unter heißen Himmelsstrichen gelegen, bringen sie Zucker, Kaffee,
Gewürze :e. hervor, selbstverständlich nicht durch die freie Arbeit europäischer
Ansiedler, sondern mit Hilfe von eingeborenen oder aus andern Ländern her¬
beigeschafften Arbeitern (Negersklaven, Kukis). Diese Kolonien sind die einträg¬
lichsten und man braucht blos auf die ostasiatischen den Holländern gehörigen
Inseln hinzuweisen, um den ungeheuren Gewinn zu ermessen, der aus solchen
Kolonien resultirt.

Hierzu kommen noch die Handelskolonien der seefahrenden Völker,
die leicht und ohne große Kosten errichtet werden können und meist eiuen reichen
Ertrag bringen, wie z. B. Singapur.

Wir Deutschen haben nun eine ganz bedeutende Auswanderung, die nur



-) Kolonie, Kolonialpolitik und Auswanderung. Leipzig und Heidelberg, 18S6.

land Bahn zu brechen versucht und dabei mit Anlehnung an Wilhelm Röscher*)
die verschiedenen Arten von Kolonieen, welche hier in Frage kommen,
erörtert. Und über diese Arten müssen wir uns im Klaren sein, ehe wir in
unserer Untersuchung vorwärts schreiten können.

Ackerbaukolonien sind oder waren Australien und Nordamerika. In
derartige Länder, deren klimatische Verhältnisse europäischen Auswanderern nicht
allzu fremdartig vorkommen, strömen Millionen von Ansiedlern, bemächtigen sich
in Kurzem der ausgedehnten Ackerbau- oder Weideflächen und vernichten in
fast stetem Kriege die eingeborne Bevölkerung. Zugleich haben sie mit einer
mächtigen Natur zu kämpfeu: sie haben Wälder zu roder, Sümpfe auszutrocknen,
oder dürre Ländereien zu bewässern, Straßen, Kanäle, Schulen und Kirchen zu
bauen, brauchen also Geld und können dem Mutterlande wenig oder nichts
abgeben, beziehen vielmehr beträchtliche Unterstützungen von dort, murren, so oft
sie etwas dagegen leisten sollen und fallen über kurz oder lang als selbstständige
Staaten mit demokratischen Verfassungen ab.

Anderer Art sind die Eroberungskolonien, wie sie früher die Spanier
und Portugiesen in Mittel- und Südamerika begründeten, wie neuerdings die
Franzosen eine in Nordasrika Mgerien) angelegt haben. Auch nach ihnen
ziehen sich Auswanderer in Massen, aber weniger Ackerbauer, sondern Aben¬
teurer, Soldaten, Beamte; es entsteht in ihnen eine schroffe Ungleichheit der
Stände und die Eingebornen werden nicht ausgerottet, fondern bilden nur die
unterste Klasse der Bevölkerung, den Stoff, über welchen die Eingewanderten
herrschen. Eroberungskvlonien werden immer in einem gewissen Grade un¬
sittlich sein und ungesunde Verhältnisse zeigen, bis sie über kurz oder lang in
eine der andern Formen übergegangen sind.

Pflanznngskolonien sind diejenigen, aus denen wir Kolonialwaaren
beziehen. Unter heißen Himmelsstrichen gelegen, bringen sie Zucker, Kaffee,
Gewürze :e. hervor, selbstverständlich nicht durch die freie Arbeit europäischer
Ansiedler, sondern mit Hilfe von eingeborenen oder aus andern Ländern her¬
beigeschafften Arbeitern (Negersklaven, Kukis). Diese Kolonien sind die einträg¬
lichsten und man braucht blos auf die ostasiatischen den Holländern gehörigen
Inseln hinzuweisen, um den ungeheuren Gewinn zu ermessen, der aus solchen
Kolonien resultirt.

Hierzu kommen noch die Handelskolonien der seefahrenden Völker,
die leicht und ohne große Kosten errichtet werden können und meist eiuen reichen
Ertrag bringen, wie z. B. Singapur.

Wir Deutschen haben nun eine ganz bedeutende Auswanderung, die nur



-) Kolonie, Kolonialpolitik und Auswanderung. Leipzig und Heidelberg, 18S6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140403"/>
          <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> land Bahn zu brechen versucht und dabei mit Anlehnung an Wilhelm Röscher*)<lb/>
die verschiedenen Arten von Kolonieen, welche hier in Frage kommen,<lb/>
erörtert. Und über diese Arten müssen wir uns im Klaren sein, ehe wir in<lb/>
unserer Untersuchung vorwärts schreiten können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_138"> Ackerbaukolonien sind oder waren Australien und Nordamerika. In<lb/>
derartige Länder, deren klimatische Verhältnisse europäischen Auswanderern nicht<lb/>
allzu fremdartig vorkommen, strömen Millionen von Ansiedlern, bemächtigen sich<lb/>
in Kurzem der ausgedehnten Ackerbau- oder Weideflächen und vernichten in<lb/>
fast stetem Kriege die eingeborne Bevölkerung. Zugleich haben sie mit einer<lb/>
mächtigen Natur zu kämpfeu: sie haben Wälder zu roder, Sümpfe auszutrocknen,<lb/>
oder dürre Ländereien zu bewässern, Straßen, Kanäle, Schulen und Kirchen zu<lb/>
bauen, brauchen also Geld und können dem Mutterlande wenig oder nichts<lb/>
abgeben, beziehen vielmehr beträchtliche Unterstützungen von dort, murren, so oft<lb/>
sie etwas dagegen leisten sollen und fallen über kurz oder lang als selbstständige<lb/>
Staaten mit demokratischen Verfassungen ab.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_139"> Anderer Art sind die Eroberungskolonien, wie sie früher die Spanier<lb/>
und Portugiesen in Mittel- und Südamerika begründeten, wie neuerdings die<lb/>
Franzosen eine in Nordasrika Mgerien) angelegt haben. Auch nach ihnen<lb/>
ziehen sich Auswanderer in Massen, aber weniger Ackerbauer, sondern Aben¬<lb/>
teurer, Soldaten, Beamte; es entsteht in ihnen eine schroffe Ungleichheit der<lb/>
Stände und die Eingebornen werden nicht ausgerottet, fondern bilden nur die<lb/>
unterste Klasse der Bevölkerung, den Stoff, über welchen die Eingewanderten<lb/>
herrschen. Eroberungskvlonien werden immer in einem gewissen Grade un¬<lb/>
sittlich sein und ungesunde Verhältnisse zeigen, bis sie über kurz oder lang in<lb/>
eine der andern Formen übergegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_140"> Pflanznngskolonien sind diejenigen, aus denen wir Kolonialwaaren<lb/>
beziehen. Unter heißen Himmelsstrichen gelegen, bringen sie Zucker, Kaffee,<lb/>
Gewürze :e. hervor, selbstverständlich nicht durch die freie Arbeit europäischer<lb/>
Ansiedler, sondern mit Hilfe von eingeborenen oder aus andern Ländern her¬<lb/>
beigeschafften Arbeitern (Negersklaven, Kukis). Diese Kolonien sind die einträg¬<lb/>
lichsten und man braucht blos auf die ostasiatischen den Holländern gehörigen<lb/>
Inseln hinzuweisen, um den ungeheuren Gewinn zu ermessen, der aus solchen<lb/>
Kolonien resultirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_141"> Hierzu kommen noch die Handelskolonien der seefahrenden Völker,<lb/>
die leicht und ohne große Kosten errichtet werden können und meist eiuen reichen<lb/>
Ertrag bringen, wie z. B. Singapur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_142" next="#ID_143"> Wir Deutschen haben nun eine ganz bedeutende Auswanderung, die nur</p><lb/>
          <note xml:id="FID_11" place="foot"> -) Kolonie, Kolonialpolitik und Auswanderung. Leipzig und Heidelberg, 18S6.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] land Bahn zu brechen versucht und dabei mit Anlehnung an Wilhelm Röscher*) die verschiedenen Arten von Kolonieen, welche hier in Frage kommen, erörtert. Und über diese Arten müssen wir uns im Klaren sein, ehe wir in unserer Untersuchung vorwärts schreiten können. Ackerbaukolonien sind oder waren Australien und Nordamerika. In derartige Länder, deren klimatische Verhältnisse europäischen Auswanderern nicht allzu fremdartig vorkommen, strömen Millionen von Ansiedlern, bemächtigen sich in Kurzem der ausgedehnten Ackerbau- oder Weideflächen und vernichten in fast stetem Kriege die eingeborne Bevölkerung. Zugleich haben sie mit einer mächtigen Natur zu kämpfeu: sie haben Wälder zu roder, Sümpfe auszutrocknen, oder dürre Ländereien zu bewässern, Straßen, Kanäle, Schulen und Kirchen zu bauen, brauchen also Geld und können dem Mutterlande wenig oder nichts abgeben, beziehen vielmehr beträchtliche Unterstützungen von dort, murren, so oft sie etwas dagegen leisten sollen und fallen über kurz oder lang als selbstständige Staaten mit demokratischen Verfassungen ab. Anderer Art sind die Eroberungskolonien, wie sie früher die Spanier und Portugiesen in Mittel- und Südamerika begründeten, wie neuerdings die Franzosen eine in Nordasrika Mgerien) angelegt haben. Auch nach ihnen ziehen sich Auswanderer in Massen, aber weniger Ackerbauer, sondern Aben¬ teurer, Soldaten, Beamte; es entsteht in ihnen eine schroffe Ungleichheit der Stände und die Eingebornen werden nicht ausgerottet, fondern bilden nur die unterste Klasse der Bevölkerung, den Stoff, über welchen die Eingewanderten herrschen. Eroberungskvlonien werden immer in einem gewissen Grade un¬ sittlich sein und ungesunde Verhältnisse zeigen, bis sie über kurz oder lang in eine der andern Formen übergegangen sind. Pflanznngskolonien sind diejenigen, aus denen wir Kolonialwaaren beziehen. Unter heißen Himmelsstrichen gelegen, bringen sie Zucker, Kaffee, Gewürze :e. hervor, selbstverständlich nicht durch die freie Arbeit europäischer Ansiedler, sondern mit Hilfe von eingeborenen oder aus andern Ländern her¬ beigeschafften Arbeitern (Negersklaven, Kukis). Diese Kolonien sind die einträg¬ lichsten und man braucht blos auf die ostasiatischen den Holländern gehörigen Inseln hinzuweisen, um den ungeheuren Gewinn zu ermessen, der aus solchen Kolonien resultirt. Hierzu kommen noch die Handelskolonien der seefahrenden Völker, die leicht und ohne große Kosten errichtet werden können und meist eiuen reichen Ertrag bringen, wie z. B. Singapur. Wir Deutschen haben nun eine ganz bedeutende Auswanderung, die nur -) Kolonie, Kolonialpolitik und Auswanderung. Leipzig und Heidelberg, 18S6.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/52
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/52>, abgerufen am 22.07.2024.