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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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festgebunden sind. Bis an den Hals mit brennbaren Stoffen umwickelt ver¬
mögen sie nur die Köpfe zu erheben. An den Pfählen sind Täfelchen ange¬
bracht mit der Inschrift: Christ, Brandstifter und Feind Rom's und des
Menschengeschlechts. Die unglücklichen Märtyrer sind so flüchtig gemalt, daß
man ans ihrer Zahl nur das Haupt eines ehrwürdigen Greises und den blond¬
gelockten Kopf eines schönen jungen Mädchens erkennt, der sich wie Trost und
Hülfe suchend dem Greise zuwendet. Die linke größere Hälfte des Bildes füllt
der lärmende Troß des Imperators. Der Kaiser selbst sitzt an der Seite seiner
Poppäa, in einer von goldenem Dache überragten Sänfte, die von acht Nubiern
getragen wird. Die Träger haben auf dem vordersten Absatz der Treppe, die
ans dem Palast in's Freie führt, Halt gemacht, fo daß dem Kaiser und seinem
Weibe nichts von dem gräßlichen Schauspiel entgehen kann. Nero führt als
neuer Dionysos einen Tiger an goldener Kette. Hinter ihm wälzt sich sein
Troß die vielfach gewundene Treppe herab: Liktoren, Senatoren, Gladiatoren,
schamlose Frauen in der Tracht ehrbarer Matronen, Sklaven und Sklavinnen
von allen Hautfarben, die einen als Satyrn, die anderen als Mänaden mas-
kirt, Becken schlagend und Thyrsosstäbe schwingend. Wohl an die hundert fast
lebensgroße Figuren füllen den weiten Raum. Die einen wälzen sich trunken
auf den Marmorplatten, die anderen blicken neugierig, hohnlüchelnd, nachdenk¬
lich auf die gemarterten Christen. Ganz im Vordergrunde sitzt eine griechische
Sängerin, deren weibliches Gefühl sich vor dem bestialischer Schauspiel empört.
Eine hübsche Bacchantin stützt sich auf das Postament einer Statue und heftet,
von Entsetzen durchschauert, ihre Blicke auf das blonde Christemnädchen. Männer
mit grauen Haaren wechseln verständnißvolle, mißbilligende Blicke mit einander,
als ahnten sie den Sieg des Lichts, der in kurzer Zeit von den jetzt Unter¬
drückten und Gemarterten ausgehen wird. ,M I^x in wusbris West se
tsQödiAS Hom eompredonÄM ant" -- "Und das Licht leuchtet in der Fin¬
sterniß und die Finsterniß erstickte das Licht nicht," so lautet die Inschrift auf
dem Rahmen, der die Komposition umschließt. Einer von der bunten Gesell¬
schaft scheint doch im tiefsten Herzen von der Ahnung des Höchsten ergriffen
zu sein: ein bärtiger Gladiator, die letzte Figur an der äußersten Linken des
Bildes, der am reich skulpirten Fußgestell einer Kolossalstatue Nero's steht. Er
hat von tiefer Wehmuth erfüllt seinen Helm abgenommen und schaut mit
ernstem Blick auf die todesfreudigen Märtyrer.

An der Balustrade der Treppe steht des Kaisers Zeremonienmeister. Er
gibt mit einem rothen Tuche das Zeichen, und nackte Sklaven erheben bren¬
nende Scheite, um Feuer an "die lebenden Fackeln des Nero" zu legen.

.Im Einzelnen hat sich Siemiradzki als Maler ersten Ranges erwiesen:
im Kolorit, in der Zeichnung, in der Modellirung, in der Charakteristik der


festgebunden sind. Bis an den Hals mit brennbaren Stoffen umwickelt ver¬
mögen sie nur die Köpfe zu erheben. An den Pfählen sind Täfelchen ange¬
bracht mit der Inschrift: Christ, Brandstifter und Feind Rom's und des
Menschengeschlechts. Die unglücklichen Märtyrer sind so flüchtig gemalt, daß
man ans ihrer Zahl nur das Haupt eines ehrwürdigen Greises und den blond¬
gelockten Kopf eines schönen jungen Mädchens erkennt, der sich wie Trost und
Hülfe suchend dem Greise zuwendet. Die linke größere Hälfte des Bildes füllt
der lärmende Troß des Imperators. Der Kaiser selbst sitzt an der Seite seiner
Poppäa, in einer von goldenem Dache überragten Sänfte, die von acht Nubiern
getragen wird. Die Träger haben auf dem vordersten Absatz der Treppe, die
ans dem Palast in's Freie führt, Halt gemacht, fo daß dem Kaiser und seinem
Weibe nichts von dem gräßlichen Schauspiel entgehen kann. Nero führt als
neuer Dionysos einen Tiger an goldener Kette. Hinter ihm wälzt sich sein
Troß die vielfach gewundene Treppe herab: Liktoren, Senatoren, Gladiatoren,
schamlose Frauen in der Tracht ehrbarer Matronen, Sklaven und Sklavinnen
von allen Hautfarben, die einen als Satyrn, die anderen als Mänaden mas-
kirt, Becken schlagend und Thyrsosstäbe schwingend. Wohl an die hundert fast
lebensgroße Figuren füllen den weiten Raum. Die einen wälzen sich trunken
auf den Marmorplatten, die anderen blicken neugierig, hohnlüchelnd, nachdenk¬
lich auf die gemarterten Christen. Ganz im Vordergrunde sitzt eine griechische
Sängerin, deren weibliches Gefühl sich vor dem bestialischer Schauspiel empört.
Eine hübsche Bacchantin stützt sich auf das Postament einer Statue und heftet,
von Entsetzen durchschauert, ihre Blicke auf das blonde Christemnädchen. Männer
mit grauen Haaren wechseln verständnißvolle, mißbilligende Blicke mit einander,
als ahnten sie den Sieg des Lichts, der in kurzer Zeit von den jetzt Unter¬
drückten und Gemarterten ausgehen wird. ,M I^x in wusbris West se
tsQödiAS Hom eompredonÄM ant" — „Und das Licht leuchtet in der Fin¬
sterniß und die Finsterniß erstickte das Licht nicht," so lautet die Inschrift auf
dem Rahmen, der die Komposition umschließt. Einer von der bunten Gesell¬
schaft scheint doch im tiefsten Herzen von der Ahnung des Höchsten ergriffen
zu sein: ein bärtiger Gladiator, die letzte Figur an der äußersten Linken des
Bildes, der am reich skulpirten Fußgestell einer Kolossalstatue Nero's steht. Er
hat von tiefer Wehmuth erfüllt seinen Helm abgenommen und schaut mit
ernstem Blick auf die todesfreudigen Märtyrer.

An der Balustrade der Treppe steht des Kaisers Zeremonienmeister. Er
gibt mit einem rothen Tuche das Zeichen, und nackte Sklaven erheben bren¬
nende Scheite, um Feuer an „die lebenden Fackeln des Nero" zu legen.

.Im Einzelnen hat sich Siemiradzki als Maler ersten Ranges erwiesen:
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[0518] festgebunden sind. Bis an den Hals mit brennbaren Stoffen umwickelt ver¬ mögen sie nur die Köpfe zu erheben. An den Pfählen sind Täfelchen ange¬ bracht mit der Inschrift: Christ, Brandstifter und Feind Rom's und des Menschengeschlechts. Die unglücklichen Märtyrer sind so flüchtig gemalt, daß man ans ihrer Zahl nur das Haupt eines ehrwürdigen Greises und den blond¬ gelockten Kopf eines schönen jungen Mädchens erkennt, der sich wie Trost und Hülfe suchend dem Greise zuwendet. Die linke größere Hälfte des Bildes füllt der lärmende Troß des Imperators. Der Kaiser selbst sitzt an der Seite seiner Poppäa, in einer von goldenem Dache überragten Sänfte, die von acht Nubiern getragen wird. Die Träger haben auf dem vordersten Absatz der Treppe, die ans dem Palast in's Freie führt, Halt gemacht, fo daß dem Kaiser und seinem Weibe nichts von dem gräßlichen Schauspiel entgehen kann. Nero führt als neuer Dionysos einen Tiger an goldener Kette. Hinter ihm wälzt sich sein Troß die vielfach gewundene Treppe herab: Liktoren, Senatoren, Gladiatoren, schamlose Frauen in der Tracht ehrbarer Matronen, Sklaven und Sklavinnen von allen Hautfarben, die einen als Satyrn, die anderen als Mänaden mas- kirt, Becken schlagend und Thyrsosstäbe schwingend. Wohl an die hundert fast lebensgroße Figuren füllen den weiten Raum. Die einen wälzen sich trunken auf den Marmorplatten, die anderen blicken neugierig, hohnlüchelnd, nachdenk¬ lich auf die gemarterten Christen. Ganz im Vordergrunde sitzt eine griechische Sängerin, deren weibliches Gefühl sich vor dem bestialischer Schauspiel empört. Eine hübsche Bacchantin stützt sich auf das Postament einer Statue und heftet, von Entsetzen durchschauert, ihre Blicke auf das blonde Christemnädchen. Männer mit grauen Haaren wechseln verständnißvolle, mißbilligende Blicke mit einander, als ahnten sie den Sieg des Lichts, der in kurzer Zeit von den jetzt Unter¬ drückten und Gemarterten ausgehen wird. ,M I^x in wusbris West se tsQödiAS Hom eompredonÄM ant" — „Und das Licht leuchtet in der Fin¬ sterniß und die Finsterniß erstickte das Licht nicht," so lautet die Inschrift auf dem Rahmen, der die Komposition umschließt. Einer von der bunten Gesell¬ schaft scheint doch im tiefsten Herzen von der Ahnung des Höchsten ergriffen zu sein: ein bärtiger Gladiator, die letzte Figur an der äußersten Linken des Bildes, der am reich skulpirten Fußgestell einer Kolossalstatue Nero's steht. Er hat von tiefer Wehmuth erfüllt seinen Helm abgenommen und schaut mit ernstem Blick auf die todesfreudigen Märtyrer. An der Balustrade der Treppe steht des Kaisers Zeremonienmeister. Er gibt mit einem rothen Tuche das Zeichen, und nackte Sklaven erheben bren¬ nende Scheite, um Feuer an „die lebenden Fackeln des Nero" zu legen. .Im Einzelnen hat sich Siemiradzki als Maler ersten Ranges erwiesen: im Kolorit, in der Zeichnung, in der Modellirung, in der Charakteristik der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/518>, abgerufen am 22.07.2024.