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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der wenigen Gemälde der Weltausstellung, aus denen uns ein frischer, unge¬
künstelter Humor und zugleich ein origineller Gedanke entgegenspringt, trägt
hinwiederum den Charakter der Antwerpener Malerschule. Es ist frisch und
kräftig gemalt und gut erfunden. Ein altes Ehepaar, vornehme, würdige Leute,
ist eben nach Hause gekommen und bemerkt zu seinem Schrecken auf dem Tische
des Salons das Käppi eines Soldaten. Die Frau ist zur Klingel geeilt und
hat Sturm geläutet, das Dienstpersonal ist vollständig zur Stelle gekommen,
und der alte Herr, der vor Schrecken in einen Stuhl gesunken ist, zeigt mit
der Miene eines Untersuchungsrichters auf das vorpus clslioti. In dem An¬
gesichts der derben Köchin spiegelt sich der Ausdruck ungeheuchelter Entrüstung,
der Kutscher sieht etwas verlegen drein, als wüßte er sich den Zusammenhang
zu erklären und als fesselten nur kollegialische Rücksichten seine Zunge, während
der Eifer, mit welchem die schon ziemlich reife Kammerjungfer ihren morali¬
schen Charakter vertheidigt, über die wahren Schuldigen keinen Zweifel auf¬
kommen läßt. Im Hintergrunde öffnet sich halb eine Thür, durch welche eine
Scheuerfrau, deren Alter von vornherein jeden Zusammenhang mit dem bunten
Käppi ausschließt, ehrfürchtiglich auf den Strümpfen eintritt, um auch ihrer¬
seits bei dem allgemeinen Appell nicht zu fehlen. Wenn ich noch die Genre¬
maler M. und H. F. C. ten Kate, beide im Haag, den Architekturmaler Klin¬
kenberg, der die sprüchwörtliche Sauberkeit holländischer Städte ebenso sauber,
so frisch und so klar wiederzugeben weiß, den Landschaftsmaler van Elven
und den ganz französisch gebildeten Landschaftsmaler Burgers erwähne, so ist
die Uebersicht über die Spitzen der holländischen Kunst geschlossen.

Es ist auffallend, daß der gewaltige siegreiche Kampf, den die Holländer
seit einem Jahrzehnt mit dem Meere kämpfen, ihre Maler nicht zu größeren
Thaten begeistert hat, als wir ihnen auf dem Marsfelde begegnen. Es scheint,
als hätte dieser Kampf alle nationalen Kräfte so vollständig cibsorbirt, daß für
die Kunst und die Industrie leine mehr disponibel geblieben sind. Wir können
uns deshalb ein näheres Eingehen auf die Erzeugnisse der holländischen Kunst-
industrie ersparen. Eine herbe Kritik würde die Empfindlichkeit der armen
Holländer, die schon viel -schlimmes haben hören müssen, nur noch tiefer ver¬
letzen, obwohl gerade sie durch die stolze Inschrift am Eingangsportal ihrer
Abtheilung: ^6 -siixitsr "zuiclsw oirmiwis xlae-ze! Nicht einmal Jupiter kann
es allen recht machen! mehr als alle anderen Nationen die Strenge der Kritik
herausgefordert haben. --

Die Stärke sowohl wie die Eigenthümlichkeit der russischen Malerei liegt
in der Landschaft. Auf diesem Gebiete besitzt Rußland eine Anzahl tüchtiger
Künstler, welche eine tief poetische Auffassung mit einer charaktervoller und echt
malerischen Ausdrucksweise zu verbinden wissen. Den sehr geschätzten, außer-


der wenigen Gemälde der Weltausstellung, aus denen uns ein frischer, unge¬
künstelter Humor und zugleich ein origineller Gedanke entgegenspringt, trägt
hinwiederum den Charakter der Antwerpener Malerschule. Es ist frisch und
kräftig gemalt und gut erfunden. Ein altes Ehepaar, vornehme, würdige Leute,
ist eben nach Hause gekommen und bemerkt zu seinem Schrecken auf dem Tische
des Salons das Käppi eines Soldaten. Die Frau ist zur Klingel geeilt und
hat Sturm geläutet, das Dienstpersonal ist vollständig zur Stelle gekommen,
und der alte Herr, der vor Schrecken in einen Stuhl gesunken ist, zeigt mit
der Miene eines Untersuchungsrichters auf das vorpus clslioti. In dem An¬
gesichts der derben Köchin spiegelt sich der Ausdruck ungeheuchelter Entrüstung,
der Kutscher sieht etwas verlegen drein, als wüßte er sich den Zusammenhang
zu erklären und als fesselten nur kollegialische Rücksichten seine Zunge, während
der Eifer, mit welchem die schon ziemlich reife Kammerjungfer ihren morali¬
schen Charakter vertheidigt, über die wahren Schuldigen keinen Zweifel auf¬
kommen läßt. Im Hintergrunde öffnet sich halb eine Thür, durch welche eine
Scheuerfrau, deren Alter von vornherein jeden Zusammenhang mit dem bunten
Käppi ausschließt, ehrfürchtiglich auf den Strümpfen eintritt, um auch ihrer¬
seits bei dem allgemeinen Appell nicht zu fehlen. Wenn ich noch die Genre¬
maler M. und H. F. C. ten Kate, beide im Haag, den Architekturmaler Klin¬
kenberg, der die sprüchwörtliche Sauberkeit holländischer Städte ebenso sauber,
so frisch und so klar wiederzugeben weiß, den Landschaftsmaler van Elven
und den ganz französisch gebildeten Landschaftsmaler Burgers erwähne, so ist
die Uebersicht über die Spitzen der holländischen Kunst geschlossen.

Es ist auffallend, daß der gewaltige siegreiche Kampf, den die Holländer
seit einem Jahrzehnt mit dem Meere kämpfen, ihre Maler nicht zu größeren
Thaten begeistert hat, als wir ihnen auf dem Marsfelde begegnen. Es scheint,
als hätte dieser Kampf alle nationalen Kräfte so vollständig cibsorbirt, daß für
die Kunst und die Industrie leine mehr disponibel geblieben sind. Wir können
uns deshalb ein näheres Eingehen auf die Erzeugnisse der holländischen Kunst-
industrie ersparen. Eine herbe Kritik würde die Empfindlichkeit der armen
Holländer, die schon viel -schlimmes haben hören müssen, nur noch tiefer ver¬
letzen, obwohl gerade sie durch die stolze Inschrift am Eingangsportal ihrer
Abtheilung: ^6 -siixitsr «zuiclsw oirmiwis xlae-ze! Nicht einmal Jupiter kann
es allen recht machen! mehr als alle anderen Nationen die Strenge der Kritik
herausgefordert haben. —

Die Stärke sowohl wie die Eigenthümlichkeit der russischen Malerei liegt
in der Landschaft. Auf diesem Gebiete besitzt Rußland eine Anzahl tüchtiger
Künstler, welche eine tief poetische Auffassung mit einer charaktervoller und echt
malerischen Ausdrucksweise zu verbinden wissen. Den sehr geschätzten, außer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/515>, abgerufen am 22.07.2024.