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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Verwundete folgen ihm, dann kommt die Bahre mit dem todten König, der
mit großer Wahrheit miedergegeben ist, ohne daß die Nerven des Beschauers
durch den Anblick der Leiche unangenehm erregt werden. Links am Wege
steht ein alter Jäger, der ehrfurchtsvoll den Hut gezogen hat und mit kummer-
fchwerem Antlitz auf die erstarrten Züge des gefallenen Helden blickt.

In der spanischen Malerei glänzt nur ein Heller Stern und neben ihm
einige kleine, die von dem großen ihr Licht empfangen haben: Fortuny und
seine Nachfolger. In der Technik ist Fortuny, der seiner Kunst nach einer
kurzen, glänzenden Laufbahn früh entrissen wurde, durchaus von den Franzosen
abhängig. Wenn er etwas geleckter und eleganter wäre, könnte man ihn einen
zweiten Meissonier nennen, von dem er auch wirklich viel gelernt hat. Aber
feiner Kunstweise hat sich noch ein zweites Moment hinzugesellt, das dem
französischen Meister fehlt: ein sarkastischer, satirischer Humor, wie ihn z. B.
sein großer Landsmann Cervantes besaß und wie er unter den modernen
Malern besonders unserem Menzel eigenthümlich ist. Fortuny starb zu früh,
um zu voller Selbständigkeit und Originalität durchgedrungen zu sein. Aber
vor seinen Genrebildern, von denen auf der Ausstellung etwa dreißig zu sehen
sind, sühlen wir, daß die Kunst einen Sittenmaler verloren hat, der den größten
aller Zeiten hätte ebenbürtig werden können.

Griechenland besitzt in dem in der Pilotyschule gebildeten, in München
lebenden Genremaler Gysis und in Lytras zwei eigenartige Künstler, die mit
einem scharfen Blick für den Charakter ihres Volkes eine originelle Auffafsungs-
art zu vereinigen wissen. Ihre Malweise hat etwas unharmonisches, zerris¬
senes und doch frappirendes. Sie stellen ihre Landsleute keineswegs im
Schimmer einer sentimentalen Romantik dar, sondern mit ungeschminkter Wahr¬
heit. Wo es dieselbe verlangt, ohne Rücksicht auf die malerische Wirkung, in
Lumpen und mit Galgenphysiognomieen und nicht ohne feinen Humor.

Auch Holland steht nicht viel höher als die eben erwähnten Länder. So¬
wohl seiner Kunst wie seiner Industrie sehlt der nationale Zug, und das ist
um so auffallender, als gerade die Niederlande auf eine kunstgeschichtliche Ver¬
gangenheit von hellstem Glänze zurückblicken dürfen. Die holländische Malerei
schwankt zwischen Belgien, Italien und Düsseldorf. Die Traditionen des eigenen
Landes werden ganz ignorirt oder, wo sie anklingen, erscheinen sie in einem
Zustande völliger Verknöcherung und Verzopfung. Das hindert indessen nicht,
daß die holländische Abtheilung auch einige gute Bilder aufzuweisen hat. Aber
sie sind, wie gesagt, nicht auf eigenem Boden erwachsen. "Venetianische Perlen¬
arbeiterinnen", eine Werkstatt voll lustiger Mädchen, steht nach seinem maleri¬
schen Charakter ganz unter dem Einfluß der Schule Venedig's, wo der Hol¬
länder auch seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat. Ein Genrebild von Bökh, eines


Verwundete folgen ihm, dann kommt die Bahre mit dem todten König, der
mit großer Wahrheit miedergegeben ist, ohne daß die Nerven des Beschauers
durch den Anblick der Leiche unangenehm erregt werden. Links am Wege
steht ein alter Jäger, der ehrfurchtsvoll den Hut gezogen hat und mit kummer-
fchwerem Antlitz auf die erstarrten Züge des gefallenen Helden blickt.

In der spanischen Malerei glänzt nur ein Heller Stern und neben ihm
einige kleine, die von dem großen ihr Licht empfangen haben: Fortuny und
seine Nachfolger. In der Technik ist Fortuny, der seiner Kunst nach einer
kurzen, glänzenden Laufbahn früh entrissen wurde, durchaus von den Franzosen
abhängig. Wenn er etwas geleckter und eleganter wäre, könnte man ihn einen
zweiten Meissonier nennen, von dem er auch wirklich viel gelernt hat. Aber
feiner Kunstweise hat sich noch ein zweites Moment hinzugesellt, das dem
französischen Meister fehlt: ein sarkastischer, satirischer Humor, wie ihn z. B.
sein großer Landsmann Cervantes besaß und wie er unter den modernen
Malern besonders unserem Menzel eigenthümlich ist. Fortuny starb zu früh,
um zu voller Selbständigkeit und Originalität durchgedrungen zu sein. Aber
vor seinen Genrebildern, von denen auf der Ausstellung etwa dreißig zu sehen
sind, sühlen wir, daß die Kunst einen Sittenmaler verloren hat, der den größten
aller Zeiten hätte ebenbürtig werden können.

Griechenland besitzt in dem in der Pilotyschule gebildeten, in München
lebenden Genremaler Gysis und in Lytras zwei eigenartige Künstler, die mit
einem scharfen Blick für den Charakter ihres Volkes eine originelle Auffafsungs-
art zu vereinigen wissen. Ihre Malweise hat etwas unharmonisches, zerris¬
senes und doch frappirendes. Sie stellen ihre Landsleute keineswegs im
Schimmer einer sentimentalen Romantik dar, sondern mit ungeschminkter Wahr¬
heit. Wo es dieselbe verlangt, ohne Rücksicht auf die malerische Wirkung, in
Lumpen und mit Galgenphysiognomieen und nicht ohne feinen Humor.

Auch Holland steht nicht viel höher als die eben erwähnten Länder. So¬
wohl seiner Kunst wie seiner Industrie sehlt der nationale Zug, und das ist
um so auffallender, als gerade die Niederlande auf eine kunstgeschichtliche Ver¬
gangenheit von hellstem Glänze zurückblicken dürfen. Die holländische Malerei
schwankt zwischen Belgien, Italien und Düsseldorf. Die Traditionen des eigenen
Landes werden ganz ignorirt oder, wo sie anklingen, erscheinen sie in einem
Zustande völliger Verknöcherung und Verzopfung. Das hindert indessen nicht,
daß die holländische Abtheilung auch einige gute Bilder aufzuweisen hat. Aber
sie sind, wie gesagt, nicht auf eigenem Boden erwachsen. „Venetianische Perlen¬
arbeiterinnen", eine Werkstatt voll lustiger Mädchen, steht nach seinem maleri¬
schen Charakter ganz unter dem Einfluß der Schule Venedig's, wo der Hol¬
länder auch seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat. Ein Genrebild von Bökh, eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/514>, abgerufen am 22.07.2024.