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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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den Seiten vorübergehen, bringen dem würdigen Greise, der mit frommer Er¬
gebenheit seine Leiden trägt, ihre Verehrung dar. Das andere Bild ist eine er¬
schütternde Tragödie, die um so tiefer ergreift, als sie ohne das geringste
Pathos dargestellt ist. Montenegrinische Frauen und Männer sind in ihr
heimatliches Dorf zurückgekehrt, welches die Türken schrecklich verwüstet haben.
Sie stehen an der zertrümmerten Mauer des Kirchhofs und blicken, Ingrimm
und Trauer im Herzen, auf den entweihten Raum, aus dem ihnen die ver¬
dorrten Schädel ihrer gemordeten Brüder, welche die Barbaren auf den Grä¬
bern aufgepflanzt haben, racheheischend entgegenblicken.

Auch auf nationalem Boden steht der in Krakau geborene Pole Matejko,
wohl der größte Historienmaler, den Oesterreich-Ungarn gegenwärtig besitzt.
Er hat sich auch eine originelle, kräftige Ausdrucksweise geschaffen, deren Grund¬
lage weder auf Frankreich, noch auf Belgien, noch auf Deutschland zurückzu¬
führen ist. Seine Stoffe wählt er ausschließlich aus der glanzvollen Ver¬
gangenheit Polen's. Er malt große Haupt- und Staatsaktionen, festliche
Zeremonien, Entscheidungsschlachten mit einem bisweilen allzu bunten und
unruhigen Kolorit, aber stets mit Energie und Schwung. Leider ist der eigen¬
sinnige Patriot, der sich nur in der Geschichte seines unglücklichen Volkes bewegt,
für jeden NichtPolen unverständlich. Seine figurenreichen Historienbilder, so
z. B. die auf der Ausstellung befindliche "Union in Ludim 1569 zwischen
Litthauen und Polen", eine Komposition von großem Wurf, voll fesselnder
Charakterköpfe, sind nicht ohne Kommentar verständlich, und dadurch büßen
sie die unmittelbare Wirkung auf den Beschauer ein, die wir von jedem echten
Kunstwerk verlangen.

Die skandinavischen Länder, Schweden und Norwegen, nehmen in der
europäischen Kunstentwicklung ebensowenig eine hervorragende Stellung ein,
wie die beiden südlichsten Ausläufer des Kontinents, Griechenland, Spanien
und Portugal. Die beiden bedeutendsten Maler Norwegen's, der in Karlsruhe
thätige Marinemaler Gude und der besonders in Winterlandschaften exzellirende
Munthe, sind in Düsseldorf gebildet, wo letzterer auch ansässig ist. In der
schwedischen Abtheilung ist nur der Baron Cederström bemerkenswerth, der
ein Historienbild mit lebensgroßen Figuren ausgestellt hat -- "der Transport
der Leiche Karl's XII. über das norwegische Gebirge zur Winterszeit" --, welches
ersichtlich unter dem Einflüsse der Düsseldorfer Schule gemalt ist. Es ist ein
Bild, welches alle Requisiten eines guten historischen Gemäldes in sich ver¬
einigt. Wir haben einen echt nationalen und doch Jedermann verständlichen
Stoff, der ohne theatralisches Pathos mit ergreifender Tragik vorgetragen ist.
Dem kleinen Trauerzuge, der gerade an einer Biegung des Gebirgspfades
angelangt ist, schreitet ein schwedischer Offizier mit gezogenem Degen vorauf.


Grenzboten III. 1873. 64

den Seiten vorübergehen, bringen dem würdigen Greise, der mit frommer Er¬
gebenheit seine Leiden trägt, ihre Verehrung dar. Das andere Bild ist eine er¬
schütternde Tragödie, die um so tiefer ergreift, als sie ohne das geringste
Pathos dargestellt ist. Montenegrinische Frauen und Männer sind in ihr
heimatliches Dorf zurückgekehrt, welches die Türken schrecklich verwüstet haben.
Sie stehen an der zertrümmerten Mauer des Kirchhofs und blicken, Ingrimm
und Trauer im Herzen, auf den entweihten Raum, aus dem ihnen die ver¬
dorrten Schädel ihrer gemordeten Brüder, welche die Barbaren auf den Grä¬
bern aufgepflanzt haben, racheheischend entgegenblicken.

Auch auf nationalem Boden steht der in Krakau geborene Pole Matejko,
wohl der größte Historienmaler, den Oesterreich-Ungarn gegenwärtig besitzt.
Er hat sich auch eine originelle, kräftige Ausdrucksweise geschaffen, deren Grund¬
lage weder auf Frankreich, noch auf Belgien, noch auf Deutschland zurückzu¬
führen ist. Seine Stoffe wählt er ausschließlich aus der glanzvollen Ver¬
gangenheit Polen's. Er malt große Haupt- und Staatsaktionen, festliche
Zeremonien, Entscheidungsschlachten mit einem bisweilen allzu bunten und
unruhigen Kolorit, aber stets mit Energie und Schwung. Leider ist der eigen¬
sinnige Patriot, der sich nur in der Geschichte seines unglücklichen Volkes bewegt,
für jeden NichtPolen unverständlich. Seine figurenreichen Historienbilder, so
z. B. die auf der Ausstellung befindliche „Union in Ludim 1569 zwischen
Litthauen und Polen", eine Komposition von großem Wurf, voll fesselnder
Charakterköpfe, sind nicht ohne Kommentar verständlich, und dadurch büßen
sie die unmittelbare Wirkung auf den Beschauer ein, die wir von jedem echten
Kunstwerk verlangen.

Die skandinavischen Länder, Schweden und Norwegen, nehmen in der
europäischen Kunstentwicklung ebensowenig eine hervorragende Stellung ein,
wie die beiden südlichsten Ausläufer des Kontinents, Griechenland, Spanien
und Portugal. Die beiden bedeutendsten Maler Norwegen's, der in Karlsruhe
thätige Marinemaler Gude und der besonders in Winterlandschaften exzellirende
Munthe, sind in Düsseldorf gebildet, wo letzterer auch ansässig ist. In der
schwedischen Abtheilung ist nur der Baron Cederström bemerkenswerth, der
ein Historienbild mit lebensgroßen Figuren ausgestellt hat — „der Transport
der Leiche Karl's XII. über das norwegische Gebirge zur Winterszeit" —, welches
ersichtlich unter dem Einflüsse der Düsseldorfer Schule gemalt ist. Es ist ein
Bild, welches alle Requisiten eines guten historischen Gemäldes in sich ver¬
einigt. Wir haben einen echt nationalen und doch Jedermann verständlichen
Stoff, der ohne theatralisches Pathos mit ergreifender Tragik vorgetragen ist.
Dem kleinen Trauerzuge, der gerade an einer Biegung des Gebirgspfades
angelangt ist, schreitet ein schwedischer Offizier mit gezogenem Degen vorauf.


Grenzboten III. 1873. 64
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[0513] den Seiten vorübergehen, bringen dem würdigen Greise, der mit frommer Er¬ gebenheit seine Leiden trägt, ihre Verehrung dar. Das andere Bild ist eine er¬ schütternde Tragödie, die um so tiefer ergreift, als sie ohne das geringste Pathos dargestellt ist. Montenegrinische Frauen und Männer sind in ihr heimatliches Dorf zurückgekehrt, welches die Türken schrecklich verwüstet haben. Sie stehen an der zertrümmerten Mauer des Kirchhofs und blicken, Ingrimm und Trauer im Herzen, auf den entweihten Raum, aus dem ihnen die ver¬ dorrten Schädel ihrer gemordeten Brüder, welche die Barbaren auf den Grä¬ bern aufgepflanzt haben, racheheischend entgegenblicken. Auch auf nationalem Boden steht der in Krakau geborene Pole Matejko, wohl der größte Historienmaler, den Oesterreich-Ungarn gegenwärtig besitzt. Er hat sich auch eine originelle, kräftige Ausdrucksweise geschaffen, deren Grund¬ lage weder auf Frankreich, noch auf Belgien, noch auf Deutschland zurückzu¬ führen ist. Seine Stoffe wählt er ausschließlich aus der glanzvollen Ver¬ gangenheit Polen's. Er malt große Haupt- und Staatsaktionen, festliche Zeremonien, Entscheidungsschlachten mit einem bisweilen allzu bunten und unruhigen Kolorit, aber stets mit Energie und Schwung. Leider ist der eigen¬ sinnige Patriot, der sich nur in der Geschichte seines unglücklichen Volkes bewegt, für jeden NichtPolen unverständlich. Seine figurenreichen Historienbilder, so z. B. die auf der Ausstellung befindliche „Union in Ludim 1569 zwischen Litthauen und Polen", eine Komposition von großem Wurf, voll fesselnder Charakterköpfe, sind nicht ohne Kommentar verständlich, und dadurch büßen sie die unmittelbare Wirkung auf den Beschauer ein, die wir von jedem echten Kunstwerk verlangen. Die skandinavischen Länder, Schweden und Norwegen, nehmen in der europäischen Kunstentwicklung ebensowenig eine hervorragende Stellung ein, wie die beiden südlichsten Ausläufer des Kontinents, Griechenland, Spanien und Portugal. Die beiden bedeutendsten Maler Norwegen's, der in Karlsruhe thätige Marinemaler Gude und der besonders in Winterlandschaften exzellirende Munthe, sind in Düsseldorf gebildet, wo letzterer auch ansässig ist. In der schwedischen Abtheilung ist nur der Baron Cederström bemerkenswerth, der ein Historienbild mit lebensgroßen Figuren ausgestellt hat — „der Transport der Leiche Karl's XII. über das norwegische Gebirge zur Winterszeit" —, welches ersichtlich unter dem Einflüsse der Düsseldorfer Schule gemalt ist. Es ist ein Bild, welches alle Requisiten eines guten historischen Gemäldes in sich ver¬ einigt. Wir haben einen echt nationalen und doch Jedermann verständlichen Stoff, der ohne theatralisches Pathos mit ergreifender Tragik vorgetragen ist. Dem kleinen Trauerzuge, der gerade an einer Biegung des Gebirgspfades angelangt ist, schreitet ein schwedischer Offizier mit gezogenem Degen vorauf. Grenzboten III. 1873. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/513>, abgerufen am 22.07.2024.