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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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land" und "heimischer Heerd" gewesen; kannten diese Leute doch keine andere
Heimath mehr als das Lager, kein anderes Palladium als den Adler der
Legion, keine andere Obrigkeit als den Feldherrn. -- Solche Heere waren die
Erzeuger und die Werkzeuge der Bürgerkriege; solchem Heere zu Liebe war
der aristokratische Sulla genöthigt, ganze Stadt- und Landgemeinden Italien's
auszuweisen und ihre Sitze umzuwandeln in Militärkolonien für die immer
anspruchsvoller, immer mächtiger werdenden Miethlinge. Die meisten dieser
neuen Ansiedlungen lagen in Etrurien, und wie umfassend sie waren, zeigt die
Zahl der vertheilten Landloose, die auf 120,000 angegeben wird. Von den
früheren Ansiedlungen ausgedienter Mannschaft unterscheidet sich diese Ma¬
nische Kolonisation sowohl durch jenen ungeheueren Umfang und durch den
Umstand, daß ihr zum Theil erst durch Proskriptionen Raum geschafft werden
mußte, als namentlich auch dadurch, daß der Gegensatz des Soldaten zum
Bürger, welchen die früheren Kolonisationen aufzuheben getrachtet hatten, hier
gerade bestehen bleiben sollte und auch wirklich bestehen blieb. Die Kolonisten
sind jetzt eine angesiedelte stehende Armee des Senats. Auf sie gestützt stellte
Sulla als unumschränkter Regent die alte oligarchische Verfassung wieder her.
Senat und Ritterschaft, Bürger und Proletarier, Jtaliker und Provinzialen
nahmen sie hin, wie Sulla sie diktirte; seltsamerweise jedoch stieß er auf Wider¬
stand bei seinen Heerführern. Aber dieser Widerstand war nicht politischer
Natur. Die Führer erkannten nur, daß Sulla die Diktatur nicht in dem
Sinne übernommen habe, um den Staat der Soldateska unterthänig zu machen,
sondern um Jedermann, vor allem aber das Heer und die Offiziere unter die
Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Diese Erkenntniß war
natürlich für die Heerführer eine große Enttäuschung, und gerade die beiden,
auf welche Sulla am meisten hielt, widersetzten sich der neuen Ordnung der
Dinge: Graus Pompejus, der Schwiegersohn Sulla's, erhielt, nachdem er
Sizilien und Afrika pazifizirt, den Befehl, sein Heer zu verlassen. Er weigerte
sich. Quintus Ofella bewarb sich in offenem Widerspruche zu den eben neu
bestätigten Satzungen, um das Konsulat. -- Mit Pompejus kam es zum Ver¬
gleich, indem Sulla dem eitlen Jünglinge die allerdings ungesetzliche Ehre
gönnte, als Trinmphator in Rom einzuziehen, ohne vorher Senator gewesen
zu sein; den Ofella aber ließ Sulla auf offenem Markte niederstoßen und setzte
sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daß die That auf seinen
Besehl und warum sie geschehen sei. -- So verstummte für den Augenblick
die Opposition der Generalität; aber sie blieb bestehn; sie erhob sich zu blen¬
dender Macht in der Gestalt des Pompejus, und sie besiegte endgiltig die alten
Formen, als Julius Cäsar ihr sein Genie und seinen Willen lieh.


Grenzboten III. 1878. 63

land" und „heimischer Heerd" gewesen; kannten diese Leute doch keine andere
Heimath mehr als das Lager, kein anderes Palladium als den Adler der
Legion, keine andere Obrigkeit als den Feldherrn. — Solche Heere waren die
Erzeuger und die Werkzeuge der Bürgerkriege; solchem Heere zu Liebe war
der aristokratische Sulla genöthigt, ganze Stadt- und Landgemeinden Italien's
auszuweisen und ihre Sitze umzuwandeln in Militärkolonien für die immer
anspruchsvoller, immer mächtiger werdenden Miethlinge. Die meisten dieser
neuen Ansiedlungen lagen in Etrurien, und wie umfassend sie waren, zeigt die
Zahl der vertheilten Landloose, die auf 120,000 angegeben wird. Von den
früheren Ansiedlungen ausgedienter Mannschaft unterscheidet sich diese Ma¬
nische Kolonisation sowohl durch jenen ungeheueren Umfang und durch den
Umstand, daß ihr zum Theil erst durch Proskriptionen Raum geschafft werden
mußte, als namentlich auch dadurch, daß der Gegensatz des Soldaten zum
Bürger, welchen die früheren Kolonisationen aufzuheben getrachtet hatten, hier
gerade bestehen bleiben sollte und auch wirklich bestehen blieb. Die Kolonisten
sind jetzt eine angesiedelte stehende Armee des Senats. Auf sie gestützt stellte
Sulla als unumschränkter Regent die alte oligarchische Verfassung wieder her.
Senat und Ritterschaft, Bürger und Proletarier, Jtaliker und Provinzialen
nahmen sie hin, wie Sulla sie diktirte; seltsamerweise jedoch stieß er auf Wider¬
stand bei seinen Heerführern. Aber dieser Widerstand war nicht politischer
Natur. Die Führer erkannten nur, daß Sulla die Diktatur nicht in dem
Sinne übernommen habe, um den Staat der Soldateska unterthänig zu machen,
sondern um Jedermann, vor allem aber das Heer und die Offiziere unter die
Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Diese Erkenntniß war
natürlich für die Heerführer eine große Enttäuschung, und gerade die beiden,
auf welche Sulla am meisten hielt, widersetzten sich der neuen Ordnung der
Dinge: Graus Pompejus, der Schwiegersohn Sulla's, erhielt, nachdem er
Sizilien und Afrika pazifizirt, den Befehl, sein Heer zu verlassen. Er weigerte
sich. Quintus Ofella bewarb sich in offenem Widerspruche zu den eben neu
bestätigten Satzungen, um das Konsulat. — Mit Pompejus kam es zum Ver¬
gleich, indem Sulla dem eitlen Jünglinge die allerdings ungesetzliche Ehre
gönnte, als Trinmphator in Rom einzuziehen, ohne vorher Senator gewesen
zu sein; den Ofella aber ließ Sulla auf offenem Markte niederstoßen und setzte
sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daß die That auf seinen
Besehl und warum sie geschehen sei. — So verstummte für den Augenblick
die Opposition der Generalität; aber sie blieb bestehn; sie erhob sich zu blen¬
dender Macht in der Gestalt des Pompejus, und sie besiegte endgiltig die alten
Formen, als Julius Cäsar ihr sein Genie und seinen Willen lieh.


Grenzboten III. 1878. 63
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[0505] land" und „heimischer Heerd" gewesen; kannten diese Leute doch keine andere Heimath mehr als das Lager, kein anderes Palladium als den Adler der Legion, keine andere Obrigkeit als den Feldherrn. — Solche Heere waren die Erzeuger und die Werkzeuge der Bürgerkriege; solchem Heere zu Liebe war der aristokratische Sulla genöthigt, ganze Stadt- und Landgemeinden Italien's auszuweisen und ihre Sitze umzuwandeln in Militärkolonien für die immer anspruchsvoller, immer mächtiger werdenden Miethlinge. Die meisten dieser neuen Ansiedlungen lagen in Etrurien, und wie umfassend sie waren, zeigt die Zahl der vertheilten Landloose, die auf 120,000 angegeben wird. Von den früheren Ansiedlungen ausgedienter Mannschaft unterscheidet sich diese Ma¬ nische Kolonisation sowohl durch jenen ungeheueren Umfang und durch den Umstand, daß ihr zum Theil erst durch Proskriptionen Raum geschafft werden mußte, als namentlich auch dadurch, daß der Gegensatz des Soldaten zum Bürger, welchen die früheren Kolonisationen aufzuheben getrachtet hatten, hier gerade bestehen bleiben sollte und auch wirklich bestehen blieb. Die Kolonisten sind jetzt eine angesiedelte stehende Armee des Senats. Auf sie gestützt stellte Sulla als unumschränkter Regent die alte oligarchische Verfassung wieder her. Senat und Ritterschaft, Bürger und Proletarier, Jtaliker und Provinzialen nahmen sie hin, wie Sulla sie diktirte; seltsamerweise jedoch stieß er auf Wider¬ stand bei seinen Heerführern. Aber dieser Widerstand war nicht politischer Natur. Die Führer erkannten nur, daß Sulla die Diktatur nicht in dem Sinne übernommen habe, um den Staat der Soldateska unterthänig zu machen, sondern um Jedermann, vor allem aber das Heer und die Offiziere unter die Gewalt der bürgerlichen Ordnung zurückzuzwingen. Diese Erkenntniß war natürlich für die Heerführer eine große Enttäuschung, und gerade die beiden, auf welche Sulla am meisten hielt, widersetzten sich der neuen Ordnung der Dinge: Graus Pompejus, der Schwiegersohn Sulla's, erhielt, nachdem er Sizilien und Afrika pazifizirt, den Befehl, sein Heer zu verlassen. Er weigerte sich. Quintus Ofella bewarb sich in offenem Widerspruche zu den eben neu bestätigten Satzungen, um das Konsulat. — Mit Pompejus kam es zum Ver¬ gleich, indem Sulla dem eitlen Jünglinge die allerdings ungesetzliche Ehre gönnte, als Trinmphator in Rom einzuziehen, ohne vorher Senator gewesen zu sein; den Ofella aber ließ Sulla auf offenem Markte niederstoßen und setzte sodann der versammelten Bürgerschaft auseinander, daß die That auf seinen Besehl und warum sie geschehen sei. — So verstummte für den Augenblick die Opposition der Generalität; aber sie blieb bestehn; sie erhob sich zu blen¬ dender Macht in der Gestalt des Pompejus, und sie besiegte endgiltig die alten Formen, als Julius Cäsar ihr sein Genie und seinen Willen lieh. Grenzboten III. 1878. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/505>, abgerufen am 22.07.2024.