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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Kriegshandwerk zu entwickeln. So entfremdete sich der Soldat vom Leben
der Nation ebenso wie das sogenannte "souveraine Volk" in Rom, das in
ordentlichen und außerordentlichen Spenden, in immer mehr überHand neh¬
menden Wahlbestechungen, in Spielen, Festen und Auszügen jede aufrichtige
Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten verlernte. Daß der beste ge¬
sunde Kern des römischen Volks durch die einseitige Benutzung des s-A-ör xudlieus
von Seiten der Nobilität, durch die oft gewaltsame Arrondirung ihrer Lati¬
fundien gänzlich ruinirt und ausgerottet wurde -- was kunnte das den be¬
schäftigten Soldaten im Feldlager oder den lungernden Stadtpöbel ans dem
Markte und im Zirkus!?*)

Neben der zunehmenden Unbotmäßigkeit der Konsuln und Feldherrn war
übrigens seit dem hannibalischen Kriege auch ihre Rücksichtslosigkeit und
Inhumanität gewachsen. Liige, Hinterlist, Wortbruch und Grausamkeit kenn¬
zeichnen die Mehrzahl. Sogar in dem sonst keineswegs skrupulosen Rom, be¬
sonders im Senate, empörte man sich wiederholt über so groben Mißbrauch
der Gewalt. Es kam mehrfach zu Anklagen; aber niemals wurde etwas da¬
mit ausgerichtet, und die heimische Regierung erwies sich also zuletzt als un¬
fähig, das militärische Kommando der Heerführer in den Provinzen wirksam
zu kontrolliren.

Die Geschichte namentlich der spanischen, gallischen und ligurischen Kriege
zeigt endlich anch, trotz aller Schönfärberei, ein unverkennbares Sinken der
militärischen Befähigung. In Spanien scheinen die Legionen wie auf's
Gerathewohl geführt, um in Schluchten und Wäldern von Barbaren umstellt,
zusammengehauen oder gefangen zu werden. Nur das ungeheuere Uebergewicht
des römischen Staates über die kleinen vereinzelten Stämme erklärt den schlie߬
lichen Sieg. Und ähnliche Ereignisse wie auf jenem westlichsten Schauplatze
vollzogen sich uicht allzulange darauf im fernen Osten. Von den ungewöhnlich
starken Römerheeren (70 bis 100,000 Mann) welche unter Crassus und dann
unter Antonius gegen die Parther zogen, wurde das erstere fast völlig ver¬
nichtet, und dem anderen gelang es nur mit genauer Noth, dnrch einen aller¬
dings bewunderungswürdigen Rückzug sich zu retten.

Schlechte Führung hat stets Gleichgiltigkeit der Truppen gegen die mili¬
tärischen Aufgaben und Erlahmung des Patriotismus zur Folge. Die an
Raub und Plünderung gewöhnten Truppen des Crassus trösten sich, geschlagen
und gefangen, mit dem "Ubi thus ibi xs-trls,!" und gewöhnen sich behaglich
ein in der Fremde. Da hat Horaz recht zu klagen"*):




*) Mommsen a, a, O.
**) Oden III. 6. Auf Augustus als Erneuerer der alten Kriegszucht. (Vossische Ueber-
tragung.)

Kriegshandwerk zu entwickeln. So entfremdete sich der Soldat vom Leben
der Nation ebenso wie das sogenannte „souveraine Volk" in Rom, das in
ordentlichen und außerordentlichen Spenden, in immer mehr überHand neh¬
menden Wahlbestechungen, in Spielen, Festen und Auszügen jede aufrichtige
Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten verlernte. Daß der beste ge¬
sunde Kern des römischen Volks durch die einseitige Benutzung des s-A-ör xudlieus
von Seiten der Nobilität, durch die oft gewaltsame Arrondirung ihrer Lati¬
fundien gänzlich ruinirt und ausgerottet wurde — was kunnte das den be¬
schäftigten Soldaten im Feldlager oder den lungernden Stadtpöbel ans dem
Markte und im Zirkus!?*)

Neben der zunehmenden Unbotmäßigkeit der Konsuln und Feldherrn war
übrigens seit dem hannibalischen Kriege auch ihre Rücksichtslosigkeit und
Inhumanität gewachsen. Liige, Hinterlist, Wortbruch und Grausamkeit kenn¬
zeichnen die Mehrzahl. Sogar in dem sonst keineswegs skrupulosen Rom, be¬
sonders im Senate, empörte man sich wiederholt über so groben Mißbrauch
der Gewalt. Es kam mehrfach zu Anklagen; aber niemals wurde etwas da¬
mit ausgerichtet, und die heimische Regierung erwies sich also zuletzt als un¬
fähig, das militärische Kommando der Heerführer in den Provinzen wirksam
zu kontrolliren.

Die Geschichte namentlich der spanischen, gallischen und ligurischen Kriege
zeigt endlich anch, trotz aller Schönfärberei, ein unverkennbares Sinken der
militärischen Befähigung. In Spanien scheinen die Legionen wie auf's
Gerathewohl geführt, um in Schluchten und Wäldern von Barbaren umstellt,
zusammengehauen oder gefangen zu werden. Nur das ungeheuere Uebergewicht
des römischen Staates über die kleinen vereinzelten Stämme erklärt den schlie߬
lichen Sieg. Und ähnliche Ereignisse wie auf jenem westlichsten Schauplatze
vollzogen sich uicht allzulange darauf im fernen Osten. Von den ungewöhnlich
starken Römerheeren (70 bis 100,000 Mann) welche unter Crassus und dann
unter Antonius gegen die Parther zogen, wurde das erstere fast völlig ver¬
nichtet, und dem anderen gelang es nur mit genauer Noth, dnrch einen aller¬
dings bewunderungswürdigen Rückzug sich zu retten.

Schlechte Führung hat stets Gleichgiltigkeit der Truppen gegen die mili¬
tärischen Aufgaben und Erlahmung des Patriotismus zur Folge. Die an
Raub und Plünderung gewöhnten Truppen des Crassus trösten sich, geschlagen
und gefangen, mit dem „Ubi thus ibi xs-trls,!" und gewöhnen sich behaglich
ein in der Fremde. Da hat Horaz recht zu klagen"*):




*) Mommsen a, a, O.
**) Oden III. 6. Auf Augustus als Erneuerer der alten Kriegszucht. (Vossische Ueber-
tragung.)
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/502>, abgerufen am 25.08.2024.