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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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militärischen Kolonien konnte auch die ärmere Bevölkerung ausreichend ver¬
sorgt werden. Seit Italien jedoch vollständig unterworfen war, hörten die
Kolonisationen auf. Zwar gab es ausgedehnte Staatsdomänen, die wohl ferner
noch Mittel zur Ansiedlung des Proletariats gewähren konnten; aber diese be¬
fanden sich ausnahmslos im Pachtbesitz der Aristokratie, welche danach trach¬
tete, diesen Besitz, der eigentlich nur nominell kein volles Eigenthum war, durch
fortgesetztes Legen der kleineren Bauern abzurunden. Namentlich in der Kam-
vagna von Rom hatten sich diese Zustände auf's Aeußerste entwickelt, und bald
erzeugten sie in ganz Italien einen höchst verderblichen Gegensatz. Daran trug
der große Grundbesitz an und für sich jedoch keineswegs die Schuld, sondern
der Umstand, daß er sich mit der Sklaverei verschwisterte, daß also nicht, wie
etwa im heutigen England, ein gesunder Pächterstand freier Männer hinter
den Grundherrn stand, sondern eine verkäufliche Masse von rechtlosen Sklaven.
Die römischen Aristokraten nahmen also in sozialpolitischer Beziehung nicht die
Stellung eines britischen Barons, sondern die eines amerikanischen Plantagen¬
besitzers ein.

Der kleine, stark durch den Kriegsdienst in Anspruch genommene Bauer
konnte mit der Wirthschaft dieser Herren nicht mehr wetteifern, als die Ge¬
treideeinfuhr von Außen beständig zunahm; er war leicht auszulaufen. Tage¬
lohn und Handwerk gelten in Ländern mit Sklavenbevölkerung immer als des
freien Mannes unwürdig. Die gelegten Bauern fielen also dem Proletariat
anheim. Bald zeigte es sich, daß für den Großbetrieb mit Sklaven die Weide¬
wirthschaft einträglicher sei als der Getreidebau, und dies hatte eine schnelle
Verödung und Entvölkerung Italien's zur Folge, während die Hauptstadt sich
von Jahr zu Jahr mehr mit sozialdemokratischen Elementen anfüllte. Und
gerade eben jetzt nahm der moralische Einfluß der Aristokratie in erschreckender
Weise ab. Der Senat, einst nach dem treffenden Ausspruche des Kiueas, eine
Versammlung von Königen, war mehr und mehr zu einem Parteiorgan her¬
abgesunken, und die allgemeine Sittenverderbniß wurde von den Römern selbst
tief empfunden. Eine, allerdings späterer Zeit entstammende poetische Schilde¬
rung dieser Zustände gilt unzweifelhaft auch schon von der damaligen Lage*):


Fruchtbar an Schuld hat unsere Zeit voll Schmach
Leichtfertig Eh'bete, Haus und Geschlecht befleckt;
Das ist der Born, d'raus schwach' und Unsieg
Ueber die Stadt und das Volk gefluthet. . .

Bon solchen Eltern stammte die Jugend nicht,
Die einst das Meer mit punischen Blut gefärbt.
Die Pyrrhus und den eisenharten
Hannibal schlug und die Macht des Syrers!



*) Horaz. Oden. III. 6. "Sittenverderbniß" (Geibel'sche Uebertragung).

militärischen Kolonien konnte auch die ärmere Bevölkerung ausreichend ver¬
sorgt werden. Seit Italien jedoch vollständig unterworfen war, hörten die
Kolonisationen auf. Zwar gab es ausgedehnte Staatsdomänen, die wohl ferner
noch Mittel zur Ansiedlung des Proletariats gewähren konnten; aber diese be¬
fanden sich ausnahmslos im Pachtbesitz der Aristokratie, welche danach trach¬
tete, diesen Besitz, der eigentlich nur nominell kein volles Eigenthum war, durch
fortgesetztes Legen der kleineren Bauern abzurunden. Namentlich in der Kam-
vagna von Rom hatten sich diese Zustände auf's Aeußerste entwickelt, und bald
erzeugten sie in ganz Italien einen höchst verderblichen Gegensatz. Daran trug
der große Grundbesitz an und für sich jedoch keineswegs die Schuld, sondern
der Umstand, daß er sich mit der Sklaverei verschwisterte, daß also nicht, wie
etwa im heutigen England, ein gesunder Pächterstand freier Männer hinter
den Grundherrn stand, sondern eine verkäufliche Masse von rechtlosen Sklaven.
Die römischen Aristokraten nahmen also in sozialpolitischer Beziehung nicht die
Stellung eines britischen Barons, sondern die eines amerikanischen Plantagen¬
besitzers ein.

Der kleine, stark durch den Kriegsdienst in Anspruch genommene Bauer
konnte mit der Wirthschaft dieser Herren nicht mehr wetteifern, als die Ge¬
treideeinfuhr von Außen beständig zunahm; er war leicht auszulaufen. Tage¬
lohn und Handwerk gelten in Ländern mit Sklavenbevölkerung immer als des
freien Mannes unwürdig. Die gelegten Bauern fielen also dem Proletariat
anheim. Bald zeigte es sich, daß für den Großbetrieb mit Sklaven die Weide¬
wirthschaft einträglicher sei als der Getreidebau, und dies hatte eine schnelle
Verödung und Entvölkerung Italien's zur Folge, während die Hauptstadt sich
von Jahr zu Jahr mehr mit sozialdemokratischen Elementen anfüllte. Und
gerade eben jetzt nahm der moralische Einfluß der Aristokratie in erschreckender
Weise ab. Der Senat, einst nach dem treffenden Ausspruche des Kiueas, eine
Versammlung von Königen, war mehr und mehr zu einem Parteiorgan her¬
abgesunken, und die allgemeine Sittenverderbniß wurde von den Römern selbst
tief empfunden. Eine, allerdings späterer Zeit entstammende poetische Schilde¬
rung dieser Zustände gilt unzweifelhaft auch schon von der damaligen Lage*):


Fruchtbar an Schuld hat unsere Zeit voll Schmach
Leichtfertig Eh'bete, Haus und Geschlecht befleckt;
Das ist der Born, d'raus schwach' und Unsieg
Ueber die Stadt und das Volk gefluthet. . .

Bon solchen Eltern stammte die Jugend nicht,
Die einst das Meer mit punischen Blut gefärbt.
Die Pyrrhus und den eisenharten
Hannibal schlug und die Macht des Syrers!



*) Horaz. Oden. III. 6. „Sittenverderbniß" (Geibel'sche Uebertragung).
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[0492] militärischen Kolonien konnte auch die ärmere Bevölkerung ausreichend ver¬ sorgt werden. Seit Italien jedoch vollständig unterworfen war, hörten die Kolonisationen auf. Zwar gab es ausgedehnte Staatsdomänen, die wohl ferner noch Mittel zur Ansiedlung des Proletariats gewähren konnten; aber diese be¬ fanden sich ausnahmslos im Pachtbesitz der Aristokratie, welche danach trach¬ tete, diesen Besitz, der eigentlich nur nominell kein volles Eigenthum war, durch fortgesetztes Legen der kleineren Bauern abzurunden. Namentlich in der Kam- vagna von Rom hatten sich diese Zustände auf's Aeußerste entwickelt, und bald erzeugten sie in ganz Italien einen höchst verderblichen Gegensatz. Daran trug der große Grundbesitz an und für sich jedoch keineswegs die Schuld, sondern der Umstand, daß er sich mit der Sklaverei verschwisterte, daß also nicht, wie etwa im heutigen England, ein gesunder Pächterstand freier Männer hinter den Grundherrn stand, sondern eine verkäufliche Masse von rechtlosen Sklaven. Die römischen Aristokraten nahmen also in sozialpolitischer Beziehung nicht die Stellung eines britischen Barons, sondern die eines amerikanischen Plantagen¬ besitzers ein. Der kleine, stark durch den Kriegsdienst in Anspruch genommene Bauer konnte mit der Wirthschaft dieser Herren nicht mehr wetteifern, als die Ge¬ treideeinfuhr von Außen beständig zunahm; er war leicht auszulaufen. Tage¬ lohn und Handwerk gelten in Ländern mit Sklavenbevölkerung immer als des freien Mannes unwürdig. Die gelegten Bauern fielen also dem Proletariat anheim. Bald zeigte es sich, daß für den Großbetrieb mit Sklaven die Weide¬ wirthschaft einträglicher sei als der Getreidebau, und dies hatte eine schnelle Verödung und Entvölkerung Italien's zur Folge, während die Hauptstadt sich von Jahr zu Jahr mehr mit sozialdemokratischen Elementen anfüllte. Und gerade eben jetzt nahm der moralische Einfluß der Aristokratie in erschreckender Weise ab. Der Senat, einst nach dem treffenden Ausspruche des Kiueas, eine Versammlung von Königen, war mehr und mehr zu einem Parteiorgan her¬ abgesunken, und die allgemeine Sittenverderbniß wurde von den Römern selbst tief empfunden. Eine, allerdings späterer Zeit entstammende poetische Schilde¬ rung dieser Zustände gilt unzweifelhaft auch schon von der damaligen Lage*): Fruchtbar an Schuld hat unsere Zeit voll Schmach Leichtfertig Eh'bete, Haus und Geschlecht befleckt; Das ist der Born, d'raus schwach' und Unsieg Ueber die Stadt und das Volk gefluthet. . . Bon solchen Eltern stammte die Jugend nicht, Die einst das Meer mit punischen Blut gefärbt. Die Pyrrhus und den eisenharten Hannibal schlug und die Macht des Syrers! *) Horaz. Oden. III. 6. „Sittenverderbniß" (Geibel'sche Uebertragung).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/492>, abgerufen am 22.07.2024.