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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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gnug einer schweren politischen oder elementaren Katastrophe getroffen werden
und deren rntio IkMs wegfällt, sobald ihre Aufgabe erfüllt ist. Anders bei diesem
Gesetze. Wohl erwarten wir bestimmt davon, daß es die sozialistische Partei
und Agitation, wie sie heute in Deutschland besteht, vernichtet, daß es die
sozialistischen Führer sammt und sonders über die Grenze treibt, nicht aus ge¬
setzlichem Zwang, sondern weil ihr böses Treiben in Deutschland nicht mehr
möglich ist und damit deu Meisten von ihnen die materielle Existenz entzogen
wird, und endlich weil diese Führer nur da Muth haben, wo der Staat Furcht
vor ihnen hat. Aber so sicher als wir diese durchgreifenden glücklichen Erfolge
von dem neuen Gesetz erwarten: ist denn damit irgendwie gesagt, daß wir
nicht dieselben Erfahrungen, die wir in den letzten fünfzehn Jahren mit der
deutschen Sozialdemokratie gemacht haben, noch einmal durchleben werde", so¬
bald wir das künftige Svzialistengesetz außer Kraft setzen. Heißt es nicht dem
Gegner muthwillig die beste Waffe zu seiner Behauptung trotz des Gesetzes,
die trostreichste Verheißung an seine Getreuen überliefern, wenn wir dem
Sozialismus im Voraus die Frist bestimmen, binnen welcher die einfache
Mehrheit des Reichstags das <sozialistengesetz wieder aufheben kann. Heißt
das nicht, dem Gegner besonderen Anreiz zu den kräftigsten Anstrengungen bei
jeder neuen Wahlbewegung u. f^ w. geben? Und wissen wir im Voraus, wie
nach Ablauf jener Frist die Majorität unsrer Volksvertretung aussieht, wenn
das Zentrum, die Welsen, die Deutschkonservativen sich etwa im bisherigen
Maße weiter verstärken sollten? Die alten Berner Patrizier verbannten ihre
Staatsverbrecher auf hundert und ein Jahr, weil sie sie verfassungsmäßig
lebenslänglich nicht verbannen durften. Wir bedürfen dieser ironischen Fas¬
sung nicht. Wir sind durch nichts behindert, das Nothwendige zu thun: die
Sozialdemokratie für immer von den Marken unseres Reiches fernzuhalten.
Mit dieser Nothwendigkeit ist ein befristetes Gesetz unvereinbar. Was dem
Jesuiten recht ist, ist dem Sozialisten billig.

Wir haben nur Eins an dem Gesetze zu tadeln: daß ein besonderer Aus¬
schuß des Bundesrathes die Beschwerdeinstanz bilden soll. In dieser Hinsicht
verdient der preußische Entwurf bei weitem den Vorzug. Die jetzige Fassung
ist lediglich auf ein partikularistisches Majoritätsvotum im Bundesrat!) zurück¬
zuführen. Wir kommen auf diesen Punkt eingehender zurück.


/".


Meratm.

Zöckler, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Nnturwissenschaft mit
besondrer Rücksicht auf die Schöpfungsgeschichte. Erste Abtheilung. Von den Anfängen
der christlichen Kirche bis auf Newton und Leibnitz. Erste und zweite Hälfte. Gütersloh.
L. Bertelsmann 1877.

Unter den protestantischen Theologen der Gegenwart war keiner so be¬
fähigt wie Zöckler, eine Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und
Naturwissenschaften zu schreiben. Durch zahlreiche Aufsätze in verschiedenen
Zeitschriften hatte er den Beweis geliefert, daß er das einschlagende Material
vollständig beherrsche. Wir sind daher sehr erfreut, daß er sich entschlossen
hat, in einer umfassenden Monographie das genannte Thema zu bearbeiten.


gnug einer schweren politischen oder elementaren Katastrophe getroffen werden
und deren rntio IkMs wegfällt, sobald ihre Aufgabe erfüllt ist. Anders bei diesem
Gesetze. Wohl erwarten wir bestimmt davon, daß es die sozialistische Partei
und Agitation, wie sie heute in Deutschland besteht, vernichtet, daß es die
sozialistischen Führer sammt und sonders über die Grenze treibt, nicht aus ge¬
setzlichem Zwang, sondern weil ihr böses Treiben in Deutschland nicht mehr
möglich ist und damit deu Meisten von ihnen die materielle Existenz entzogen
wird, und endlich weil diese Führer nur da Muth haben, wo der Staat Furcht
vor ihnen hat. Aber so sicher als wir diese durchgreifenden glücklichen Erfolge
von dem neuen Gesetz erwarten: ist denn damit irgendwie gesagt, daß wir
nicht dieselben Erfahrungen, die wir in den letzten fünfzehn Jahren mit der
deutschen Sozialdemokratie gemacht haben, noch einmal durchleben werde», so¬
bald wir das künftige Svzialistengesetz außer Kraft setzen. Heißt es nicht dem
Gegner muthwillig die beste Waffe zu seiner Behauptung trotz des Gesetzes,
die trostreichste Verheißung an seine Getreuen überliefern, wenn wir dem
Sozialismus im Voraus die Frist bestimmen, binnen welcher die einfache
Mehrheit des Reichstags das <sozialistengesetz wieder aufheben kann. Heißt
das nicht, dem Gegner besonderen Anreiz zu den kräftigsten Anstrengungen bei
jeder neuen Wahlbewegung u. f^ w. geben? Und wissen wir im Voraus, wie
nach Ablauf jener Frist die Majorität unsrer Volksvertretung aussieht, wenn
das Zentrum, die Welsen, die Deutschkonservativen sich etwa im bisherigen
Maße weiter verstärken sollten? Die alten Berner Patrizier verbannten ihre
Staatsverbrecher auf hundert und ein Jahr, weil sie sie verfassungsmäßig
lebenslänglich nicht verbannen durften. Wir bedürfen dieser ironischen Fas¬
sung nicht. Wir sind durch nichts behindert, das Nothwendige zu thun: die
Sozialdemokratie für immer von den Marken unseres Reiches fernzuhalten.
Mit dieser Nothwendigkeit ist ein befristetes Gesetz unvereinbar. Was dem
Jesuiten recht ist, ist dem Sozialisten billig.

Wir haben nur Eins an dem Gesetze zu tadeln: daß ein besonderer Aus¬
schuß des Bundesrathes die Beschwerdeinstanz bilden soll. In dieser Hinsicht
verdient der preußische Entwurf bei weitem den Vorzug. Die jetzige Fassung
ist lediglich auf ein partikularistisches Majoritätsvotum im Bundesrat!) zurück¬
zuführen. Wir kommen auf diesen Punkt eingehender zurück.


/».


Meratm.

Zöckler, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Nnturwissenschaft mit
besondrer Rücksicht auf die Schöpfungsgeschichte. Erste Abtheilung. Von den Anfängen
der christlichen Kirche bis auf Newton und Leibnitz. Erste und zweite Hälfte. Gütersloh.
L. Bertelsmann 1877.

Unter den protestantischen Theologen der Gegenwart war keiner so be¬
fähigt wie Zöckler, eine Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und
Naturwissenschaften zu schreiben. Durch zahlreiche Aufsätze in verschiedenen
Zeitschriften hatte er den Beweis geliefert, daß er das einschlagende Material
vollständig beherrsche. Wir sind daher sehr erfreut, daß er sich entschlossen
hat, in einer umfassenden Monographie das genannte Thema zu bearbeiten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/487>, abgerufen am 22.07.2024.