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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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tete bei Röscher und Böhmert, las ultramontane und svzialdeiuokratische Zei¬
tungen, ging überall seinen selbständigen Weg. Stolz, zurückhaltend und zu¬
gleich freundlich, namentlich mit Leuten der Arbeiterklasse, gehörte er zur Zahl
derjenigen Leute, mit welchen man einige Jahre bekannt, ja befreundet sein
kann, ohne zu vermuthen, daß ein Siedender Vulkan in ihnen steckt, der immer
aufwallt und einen Weg nach außen sucht. Als Nobiling seinen heroischen
Entschluß überdacht, brachte er ihn ohne Schwanken zur Ausführung als kalt¬
blütiger Fanatiker, als ein Mensch, der auf Alles vorbereitet ist und von seinem
Entschlüsse nicht abgeht. Nach dem Schusse, nach der furchtbaren nervösen
Aufregung, in welcher er sich befinden mußte, läßt er die Hand nicht sinken,
giebt weder der Schwäche noch der Apathie, noch der Ermüdung nach, die doch
in einer solchen Minute so natürlich war. Das Volk sprengt seine Thür;
Nobiling ist entschlossen, sein Leben theuer zu verlaufen, und wirklich fällt er
nicht lebend (?) in die Hände der Feinde. -- Wenn man die Erzählung von
der letzten That Nobiling's hört, dann fühlt man, wie sich plötzlich die volks-
thümliche, sittliche Kraft dieses Menschen Bahn bricht, der in tiefem Geheimniß
seine innere Welt verbarg." --

Nach dieser Glorifizirung des Verbrechers kann das Verbrechen selbst
natürlich nur den entschiedensten Vertheidiger in dem Mitarbeiter der "Obscht-
fchina" finden. An sich erklärt er gegen jeden Angriff auf das Leben eines
Menschen zu sein, aber er hält es für unmöglich, dergleichen ans der Welt zu
schaffen, so lange die europäische Welt die Todesstrafe festhalte und Masseu-
hinrichtungen wie die der Pariser Kommuuards auf der Ebene von Satvry
beifällig begrüße. "Gebt uns," fährt er emphatisch fort, sich an die Regierungen
wendend, "gebt uns unsere Brüder heraus, die in den Zentralgefängnisseu von
Frankreich und. Rußland gequält werden, gebt uns unsere Genossen aus Neu-
Kaledonien und Sibirien zurück! Hört auf, uns wie wilde Thiere deshalb zu
verfolgen, weil wir weder unsere Brüder noch unsere Ueberzeugungen preis¬
gaben. Endet die Massenmorde in den Fabriken und Bergwerken, befreit den
Arbeiter von der Nothwendigkeit, im 25. Lebensjahre zu sterben um der
Befriedigung Eurer ungeheuren Bedürfnisse willen. Dann werden wir bereit
sein, jeden Angriff auf das Leben eines Menschen als eine Barbarei zu er¬
klären. Aber ohne dies werden alle humanen Reden und Mitleidsäußerungen
von uuserer Seite nnr eine einzige schöne, hohle Phrase sein, an die Niemand
glaubt, und am allerwenigsten unsere Feinde!"

Diese unzweifelhaft richtige Schlußfolgerung ist vornehmlich an die Adresse
der deutschen "sogenannten" sozialistischen Presse gerichtet. Denn deren Be¬
mühungen, die Verantwortung für die Verbrechen vom Mai und Juni von
sich abzuwälzen, überschüttet der russische Nihilist mit Hohn und Spott. Er


tete bei Röscher und Böhmert, las ultramontane und svzialdeiuokratische Zei¬
tungen, ging überall seinen selbständigen Weg. Stolz, zurückhaltend und zu¬
gleich freundlich, namentlich mit Leuten der Arbeiterklasse, gehörte er zur Zahl
derjenigen Leute, mit welchen man einige Jahre bekannt, ja befreundet sein
kann, ohne zu vermuthen, daß ein Siedender Vulkan in ihnen steckt, der immer
aufwallt und einen Weg nach außen sucht. Als Nobiling seinen heroischen
Entschluß überdacht, brachte er ihn ohne Schwanken zur Ausführung als kalt¬
blütiger Fanatiker, als ein Mensch, der auf Alles vorbereitet ist und von seinem
Entschlüsse nicht abgeht. Nach dem Schusse, nach der furchtbaren nervösen
Aufregung, in welcher er sich befinden mußte, läßt er die Hand nicht sinken,
giebt weder der Schwäche noch der Apathie, noch der Ermüdung nach, die doch
in einer solchen Minute so natürlich war. Das Volk sprengt seine Thür;
Nobiling ist entschlossen, sein Leben theuer zu verlaufen, und wirklich fällt er
nicht lebend (?) in die Hände der Feinde. — Wenn man die Erzählung von
der letzten That Nobiling's hört, dann fühlt man, wie sich plötzlich die volks-
thümliche, sittliche Kraft dieses Menschen Bahn bricht, der in tiefem Geheimniß
seine innere Welt verbarg." —

Nach dieser Glorifizirung des Verbrechers kann das Verbrechen selbst
natürlich nur den entschiedensten Vertheidiger in dem Mitarbeiter der „Obscht-
fchina" finden. An sich erklärt er gegen jeden Angriff auf das Leben eines
Menschen zu sein, aber er hält es für unmöglich, dergleichen ans der Welt zu
schaffen, so lange die europäische Welt die Todesstrafe festhalte und Masseu-
hinrichtungen wie die der Pariser Kommuuards auf der Ebene von Satvry
beifällig begrüße. „Gebt uns," fährt er emphatisch fort, sich an die Regierungen
wendend, „gebt uns unsere Brüder heraus, die in den Zentralgefängnisseu von
Frankreich und. Rußland gequält werden, gebt uns unsere Genossen aus Neu-
Kaledonien und Sibirien zurück! Hört auf, uns wie wilde Thiere deshalb zu
verfolgen, weil wir weder unsere Brüder noch unsere Ueberzeugungen preis¬
gaben. Endet die Massenmorde in den Fabriken und Bergwerken, befreit den
Arbeiter von der Nothwendigkeit, im 25. Lebensjahre zu sterben um der
Befriedigung Eurer ungeheuren Bedürfnisse willen. Dann werden wir bereit
sein, jeden Angriff auf das Leben eines Menschen als eine Barbarei zu er¬
klären. Aber ohne dies werden alle humanen Reden und Mitleidsäußerungen
von uuserer Seite nnr eine einzige schöne, hohle Phrase sein, an die Niemand
glaubt, und am allerwenigsten unsere Feinde!"

Diese unzweifelhaft richtige Schlußfolgerung ist vornehmlich an die Adresse
der deutschen „sogenannten" sozialistischen Presse gerichtet. Denn deren Be¬
mühungen, die Verantwortung für die Verbrechen vom Mai und Juni von
sich abzuwälzen, überschüttet der russische Nihilist mit Hohn und Spott. Er


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[0480] tete bei Röscher und Böhmert, las ultramontane und svzialdeiuokratische Zei¬ tungen, ging überall seinen selbständigen Weg. Stolz, zurückhaltend und zu¬ gleich freundlich, namentlich mit Leuten der Arbeiterklasse, gehörte er zur Zahl derjenigen Leute, mit welchen man einige Jahre bekannt, ja befreundet sein kann, ohne zu vermuthen, daß ein Siedender Vulkan in ihnen steckt, der immer aufwallt und einen Weg nach außen sucht. Als Nobiling seinen heroischen Entschluß überdacht, brachte er ihn ohne Schwanken zur Ausführung als kalt¬ blütiger Fanatiker, als ein Mensch, der auf Alles vorbereitet ist und von seinem Entschlüsse nicht abgeht. Nach dem Schusse, nach der furchtbaren nervösen Aufregung, in welcher er sich befinden mußte, läßt er die Hand nicht sinken, giebt weder der Schwäche noch der Apathie, noch der Ermüdung nach, die doch in einer solchen Minute so natürlich war. Das Volk sprengt seine Thür; Nobiling ist entschlossen, sein Leben theuer zu verlaufen, und wirklich fällt er nicht lebend (?) in die Hände der Feinde. — Wenn man die Erzählung von der letzten That Nobiling's hört, dann fühlt man, wie sich plötzlich die volks- thümliche, sittliche Kraft dieses Menschen Bahn bricht, der in tiefem Geheimniß seine innere Welt verbarg." — Nach dieser Glorifizirung des Verbrechers kann das Verbrechen selbst natürlich nur den entschiedensten Vertheidiger in dem Mitarbeiter der „Obscht- fchina" finden. An sich erklärt er gegen jeden Angriff auf das Leben eines Menschen zu sein, aber er hält es für unmöglich, dergleichen ans der Welt zu schaffen, so lange die europäische Welt die Todesstrafe festhalte und Masseu- hinrichtungen wie die der Pariser Kommuuards auf der Ebene von Satvry beifällig begrüße. „Gebt uns," fährt er emphatisch fort, sich an die Regierungen wendend, „gebt uns unsere Brüder heraus, die in den Zentralgefängnisseu von Frankreich und. Rußland gequält werden, gebt uns unsere Genossen aus Neu- Kaledonien und Sibirien zurück! Hört auf, uns wie wilde Thiere deshalb zu verfolgen, weil wir weder unsere Brüder noch unsere Ueberzeugungen preis¬ gaben. Endet die Massenmorde in den Fabriken und Bergwerken, befreit den Arbeiter von der Nothwendigkeit, im 25. Lebensjahre zu sterben um der Befriedigung Eurer ungeheuren Bedürfnisse willen. Dann werden wir bereit sein, jeden Angriff auf das Leben eines Menschen als eine Barbarei zu er¬ klären. Aber ohne dies werden alle humanen Reden und Mitleidsäußerungen von uuserer Seite nnr eine einzige schöne, hohle Phrase sein, an die Niemand glaubt, und am allerwenigsten unsere Feinde!" Diese unzweifelhaft richtige Schlußfolgerung ist vornehmlich an die Adresse der deutschen „sogenannten" sozialistischen Presse gerichtet. Denn deren Be¬ mühungen, die Verantwortung für die Verbrechen vom Mai und Juni von sich abzuwälzen, überschüttet der russische Nihilist mit Hohn und Spott. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/480>, abgerufen am 22.07.2024.