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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Das Streben der arbeitenden Klassen nach einem höheren Antheil an den
Fortschritten nationaler Kultur und nationalen Wohlstandes ist eine geistige
Bewegung und sie kann nur überwunden werden, indem man diese Bestre¬
bungen erfüllt, so weit sie berechtigt sind. Allein die kommunistische Dema¬
gogie ist keine geistige Bewegung; sie ist die politische Waffe einer politischen
Umsturzpartei; sie fördert mit roh revolutionären Mitteln roh revolutionäre
Zwecke; und ehe man hoffen könnte, durch erbauliche Nachmittagspredigten oder
gesinnungstüchtige Leitartikel diese scharfe und wirksame Waffe aus den ent¬
schlossenen Fäusten der "Soldaten der Revolution" zu schmeicheln, eher könnte
man eine drohende Gewitterwolke mit magischen Zauberformeln beschwöre"
wollen.

Aber wozu diese Meditationen? Seit fünfzehn Jahren kämpft die Fort¬
schrittspartei mit "geistigen Mitteln" gegen die Sozialdemokratie und sie darf
billig verlangen, daß man nach ihren Werken urtheilt und nicht eine vielleicht
haarspaltende Kritik an ihren Worten übt. Sucht man nun nach diesen Werken,
so findet man zunächst ihre geistige Rüstkammer mit Waffen gegen die Sozial¬
demokratie viel spärlicher angefüllt, als die Zeughäuser aller anderen Parteien.
Es ist in der That nichts da, als zwei oder drei Broschürchen von Eugen
Richter, die noch auf dem kindlichen Standpunkte stehen, daß sie die soziali¬
stische Propaganda in's Herz getroffen zu haben glauben, wenn sie behaupten,
daß Schweitzer ein Agent von Bismarck gewesen sei und wenn sie ein paar
Dutzend Widersprüche aus irgend einer vergessenen Broschüre von Most neben
einander abdrucken. Vergleicht man mit diesen über alle Maßen dürftigen
Schriftchen die mehr oder minder umfassenden Werke über die Sozialdemo¬
kratie, welche die Konservativen Huber und Meyer, die Ultramontanen Jäger
und Jörg, die Nationalliberalen Held, Böhmert, Sybel und manche andere aus
dieser Partei veröffentlicht haben, so erkennt man, daß jede andere Partei etwa
zehnmal so viele und hundertmal so scharfe Waffen zum geistigen Kampfe gegen
die Sozialdemokratie geliefert hat. Vielleicht aber liegt das Verdienst dieser
Partei auf dem Felde der praktischen Agitation. Und in der That -- die Ver¬
dienste von Schulze-Delitzsch sind unbestreitbar und unbestritten, obgleich er
Lassalle im theoretischen Kampfe nicht gewachsen war und obgleich die segens¬
reichen Wirkungen seines Genossenschaftswesens im Großen und Ganzen nur
den kleinen Fabrikanten und Handwerkern, nicht den Lohnarbeitern zu Gute
kamen und kommen. Aber damit ist wiederum alles erschöpft, was sich in
diesem Betracht zur Empfehlung der "geistigen Mittel" der Fortschrittspartei
sagen läßt. Was sie sonst den Arbeitern geboten hat und bietet, war und ist
entweder ein trostloses und verletzendes Manchesterthnm, wie es sich jeder
wissenschaftliche Freihändler längst an den Fußsohlen abgelaufen hat, oder aber


Das Streben der arbeitenden Klassen nach einem höheren Antheil an den
Fortschritten nationaler Kultur und nationalen Wohlstandes ist eine geistige
Bewegung und sie kann nur überwunden werden, indem man diese Bestre¬
bungen erfüllt, so weit sie berechtigt sind. Allein die kommunistische Dema¬
gogie ist keine geistige Bewegung; sie ist die politische Waffe einer politischen
Umsturzpartei; sie fördert mit roh revolutionären Mitteln roh revolutionäre
Zwecke; und ehe man hoffen könnte, durch erbauliche Nachmittagspredigten oder
gesinnungstüchtige Leitartikel diese scharfe und wirksame Waffe aus den ent¬
schlossenen Fäusten der „Soldaten der Revolution" zu schmeicheln, eher könnte
man eine drohende Gewitterwolke mit magischen Zauberformeln beschwöre»
wollen.

Aber wozu diese Meditationen? Seit fünfzehn Jahren kämpft die Fort¬
schrittspartei mit „geistigen Mitteln" gegen die Sozialdemokratie und sie darf
billig verlangen, daß man nach ihren Werken urtheilt und nicht eine vielleicht
haarspaltende Kritik an ihren Worten übt. Sucht man nun nach diesen Werken,
so findet man zunächst ihre geistige Rüstkammer mit Waffen gegen die Sozial¬
demokratie viel spärlicher angefüllt, als die Zeughäuser aller anderen Parteien.
Es ist in der That nichts da, als zwei oder drei Broschürchen von Eugen
Richter, die noch auf dem kindlichen Standpunkte stehen, daß sie die soziali¬
stische Propaganda in's Herz getroffen zu haben glauben, wenn sie behaupten,
daß Schweitzer ein Agent von Bismarck gewesen sei und wenn sie ein paar
Dutzend Widersprüche aus irgend einer vergessenen Broschüre von Most neben
einander abdrucken. Vergleicht man mit diesen über alle Maßen dürftigen
Schriftchen die mehr oder minder umfassenden Werke über die Sozialdemo¬
kratie, welche die Konservativen Huber und Meyer, die Ultramontanen Jäger
und Jörg, die Nationalliberalen Held, Böhmert, Sybel und manche andere aus
dieser Partei veröffentlicht haben, so erkennt man, daß jede andere Partei etwa
zehnmal so viele und hundertmal so scharfe Waffen zum geistigen Kampfe gegen
die Sozialdemokratie geliefert hat. Vielleicht aber liegt das Verdienst dieser
Partei auf dem Felde der praktischen Agitation. Und in der That — die Ver¬
dienste von Schulze-Delitzsch sind unbestreitbar und unbestritten, obgleich er
Lassalle im theoretischen Kampfe nicht gewachsen war und obgleich die segens¬
reichen Wirkungen seines Genossenschaftswesens im Großen und Ganzen nur
den kleinen Fabrikanten und Handwerkern, nicht den Lohnarbeitern zu Gute
kamen und kommen. Aber damit ist wiederum alles erschöpft, was sich in
diesem Betracht zur Empfehlung der „geistigen Mittel" der Fortschrittspartei
sagen läßt. Was sie sonst den Arbeitern geboten hat und bietet, war und ist
entweder ein trostloses und verletzendes Manchesterthnm, wie es sich jeder
wissenschaftliche Freihändler längst an den Fußsohlen abgelaufen hat, oder aber


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[0471] Das Streben der arbeitenden Klassen nach einem höheren Antheil an den Fortschritten nationaler Kultur und nationalen Wohlstandes ist eine geistige Bewegung und sie kann nur überwunden werden, indem man diese Bestre¬ bungen erfüllt, so weit sie berechtigt sind. Allein die kommunistische Dema¬ gogie ist keine geistige Bewegung; sie ist die politische Waffe einer politischen Umsturzpartei; sie fördert mit roh revolutionären Mitteln roh revolutionäre Zwecke; und ehe man hoffen könnte, durch erbauliche Nachmittagspredigten oder gesinnungstüchtige Leitartikel diese scharfe und wirksame Waffe aus den ent¬ schlossenen Fäusten der „Soldaten der Revolution" zu schmeicheln, eher könnte man eine drohende Gewitterwolke mit magischen Zauberformeln beschwöre» wollen. Aber wozu diese Meditationen? Seit fünfzehn Jahren kämpft die Fort¬ schrittspartei mit „geistigen Mitteln" gegen die Sozialdemokratie und sie darf billig verlangen, daß man nach ihren Werken urtheilt und nicht eine vielleicht haarspaltende Kritik an ihren Worten übt. Sucht man nun nach diesen Werken, so findet man zunächst ihre geistige Rüstkammer mit Waffen gegen die Sozial¬ demokratie viel spärlicher angefüllt, als die Zeughäuser aller anderen Parteien. Es ist in der That nichts da, als zwei oder drei Broschürchen von Eugen Richter, die noch auf dem kindlichen Standpunkte stehen, daß sie die soziali¬ stische Propaganda in's Herz getroffen zu haben glauben, wenn sie behaupten, daß Schweitzer ein Agent von Bismarck gewesen sei und wenn sie ein paar Dutzend Widersprüche aus irgend einer vergessenen Broschüre von Most neben einander abdrucken. Vergleicht man mit diesen über alle Maßen dürftigen Schriftchen die mehr oder minder umfassenden Werke über die Sozialdemo¬ kratie, welche die Konservativen Huber und Meyer, die Ultramontanen Jäger und Jörg, die Nationalliberalen Held, Böhmert, Sybel und manche andere aus dieser Partei veröffentlicht haben, so erkennt man, daß jede andere Partei etwa zehnmal so viele und hundertmal so scharfe Waffen zum geistigen Kampfe gegen die Sozialdemokratie geliefert hat. Vielleicht aber liegt das Verdienst dieser Partei auf dem Felde der praktischen Agitation. Und in der That — die Ver¬ dienste von Schulze-Delitzsch sind unbestreitbar und unbestritten, obgleich er Lassalle im theoretischen Kampfe nicht gewachsen war und obgleich die segens¬ reichen Wirkungen seines Genossenschaftswesens im Großen und Ganzen nur den kleinen Fabrikanten und Handwerkern, nicht den Lohnarbeitern zu Gute kamen und kommen. Aber damit ist wiederum alles erschöpft, was sich in diesem Betracht zur Empfehlung der „geistigen Mittel" der Fortschrittspartei sagen läßt. Was sie sonst den Arbeitern geboten hat und bietet, war und ist entweder ein trostloses und verletzendes Manchesterthnm, wie es sich jeder wissenschaftliche Freihändler längst an den Fußsohlen abgelaufen hat, oder aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/471>, abgerufen am 22.07.2024.