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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Depressionen. Die sämmtlichen löslichen Zersetzungsprodukte blieben im Boden
und machten ihn unfähig zum Ackerbau, außer wo besondere und seltene Be¬
dingungen dem Menschen gestatteten, ihn von denselben zu befreien und Oasen
zu schaffen. Alles Uebrige aber war Salzsteppe. Der Salzcharakter waltete
in der Bestimmung der Formen des organischen Lebens vor und übte mehr
Macht aus, als die Unterschiede der Breitengrade, der Meereshöhe und die
Quantität der Niederschläge und verursachte, wo die Bedingungen für das Auf¬
kommen einer Vegetation vorhanden waren, eine überaus große physiognomische
Einförmigkeit. Einförmig waren auch die Bedingungen für die Existenz des
Menschen, welcher in allen Theilen der abflußlosen Becken ein gleichartiges
Dasein führte, nirgends, mit Ausnahme künstlichen Oasen, Verhältnisse fand,
die ihn zur Ansiedelung verlockten; daher lebte er unstet in nomadisirenden
Zustande. Nirgends bot sich dem Stamm oder der Familie eine bestimmte
abgeschlossene Heimat, daher hatten beide sie überall.

Eine Aenderung dieser Einförmigkeit in allen Beziehungen der unorganischen
und organischen Natur konnte nur durch eine Umgestaltung der natürlichen Boden¬
verhältnisse geschehen. Wie aber konnte diese eintreten? Im Prinzip ganz auf dieselbe
Weise wie in Asien. Im Westen und Norden Enropa's senkte sich das Land, das
Meer drang ein und schuf eine Umgestaltung der klimatischen Verhältnisse, vor allen
Dingen machte nun der Golfstrom seinen Einfluß geltend und je mehr das
Meer uach Süden zu an Ausdehnung gewann, desto geringer wurde die Macht
des trocknen Klimas. Die Luftströmungen kamen mit mehr Feuchtigkeit be¬
laden hauptsächlich von Westen her, entluden sich in dem ehemaligen Zen-
tralenropa und machten es zu einem abfließenden Lande. Es erfolgten alle
jene Veränderungen in Mitteleuropa wie in Nordchina. Die Zersetzungspro¬
dukte wurden nun durch die entstehenden und an Stromgebiet wachsenden
Flüsse gegen das Meer oder dessen abgeschlossene Ueberreste hin und in das¬
selbe hineingeführt, die Ablagerung der festen Stoffe geschah nun vorwaltend
mit Hilfe des fließenden oder stehenden Wassers. Mit dem vielgestalteten
Material wurden bereits im Laufe des Flusses Seebecken in Thäler verwan¬
delt und die weiten Münduugsebenen geschaffen, der Meeresboden vor den
Mündungen erhöht und dem Meerwasser die durch Niederschlag und thierisches
Leben sich ausscheidenden löslichen Bestandtheile ersetzt. Die große Niveau¬
differenz zwischen den Quellen der Flüsse und ihrer Mündung, verbunden mit
dem Vorhandensein eines unersättlichen Reservoirs, gaben die Veranlassung, daß
die Gebirge mehr und mehr ausgewaschen und von Schluchten durchfurcht, ihr
Felsbau blosgelegt, ihre Formen wilder und steiler wurden, die ausgefüllten
Vertiefungen und großen Becken im Gebirge sich selbst der angesammelten Se¬
dimente allmählich wieder entledigten und diese sich nach und nach in nahezu


Depressionen. Die sämmtlichen löslichen Zersetzungsprodukte blieben im Boden
und machten ihn unfähig zum Ackerbau, außer wo besondere und seltene Be¬
dingungen dem Menschen gestatteten, ihn von denselben zu befreien und Oasen
zu schaffen. Alles Uebrige aber war Salzsteppe. Der Salzcharakter waltete
in der Bestimmung der Formen des organischen Lebens vor und übte mehr
Macht aus, als die Unterschiede der Breitengrade, der Meereshöhe und die
Quantität der Niederschläge und verursachte, wo die Bedingungen für das Auf¬
kommen einer Vegetation vorhanden waren, eine überaus große physiognomische
Einförmigkeit. Einförmig waren auch die Bedingungen für die Existenz des
Menschen, welcher in allen Theilen der abflußlosen Becken ein gleichartiges
Dasein führte, nirgends, mit Ausnahme künstlichen Oasen, Verhältnisse fand,
die ihn zur Ansiedelung verlockten; daher lebte er unstet in nomadisirenden
Zustande. Nirgends bot sich dem Stamm oder der Familie eine bestimmte
abgeschlossene Heimat, daher hatten beide sie überall.

Eine Aenderung dieser Einförmigkeit in allen Beziehungen der unorganischen
und organischen Natur konnte nur durch eine Umgestaltung der natürlichen Boden¬
verhältnisse geschehen. Wie aber konnte diese eintreten? Im Prinzip ganz auf dieselbe
Weise wie in Asien. Im Westen und Norden Enropa's senkte sich das Land, das
Meer drang ein und schuf eine Umgestaltung der klimatischen Verhältnisse, vor allen
Dingen machte nun der Golfstrom seinen Einfluß geltend und je mehr das
Meer uach Süden zu an Ausdehnung gewann, desto geringer wurde die Macht
des trocknen Klimas. Die Luftströmungen kamen mit mehr Feuchtigkeit be¬
laden hauptsächlich von Westen her, entluden sich in dem ehemaligen Zen-
tralenropa und machten es zu einem abfließenden Lande. Es erfolgten alle
jene Veränderungen in Mitteleuropa wie in Nordchina. Die Zersetzungspro¬
dukte wurden nun durch die entstehenden und an Stromgebiet wachsenden
Flüsse gegen das Meer oder dessen abgeschlossene Ueberreste hin und in das¬
selbe hineingeführt, die Ablagerung der festen Stoffe geschah nun vorwaltend
mit Hilfe des fließenden oder stehenden Wassers. Mit dem vielgestalteten
Material wurden bereits im Laufe des Flusses Seebecken in Thäler verwan¬
delt und die weiten Münduugsebenen geschaffen, der Meeresboden vor den
Mündungen erhöht und dem Meerwasser die durch Niederschlag und thierisches
Leben sich ausscheidenden löslichen Bestandtheile ersetzt. Die große Niveau¬
differenz zwischen den Quellen der Flüsse und ihrer Mündung, verbunden mit
dem Vorhandensein eines unersättlichen Reservoirs, gaben die Veranlassung, daß
die Gebirge mehr und mehr ausgewaschen und von Schluchten durchfurcht, ihr
Felsbau blosgelegt, ihre Formen wilder und steiler wurden, die ausgefüllten
Vertiefungen und großen Becken im Gebirge sich selbst der angesammelten Se¬
dimente allmählich wieder entledigten und diese sich nach und nach in nahezu


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[0468] Depressionen. Die sämmtlichen löslichen Zersetzungsprodukte blieben im Boden und machten ihn unfähig zum Ackerbau, außer wo besondere und seltene Be¬ dingungen dem Menschen gestatteten, ihn von denselben zu befreien und Oasen zu schaffen. Alles Uebrige aber war Salzsteppe. Der Salzcharakter waltete in der Bestimmung der Formen des organischen Lebens vor und übte mehr Macht aus, als die Unterschiede der Breitengrade, der Meereshöhe und die Quantität der Niederschläge und verursachte, wo die Bedingungen für das Auf¬ kommen einer Vegetation vorhanden waren, eine überaus große physiognomische Einförmigkeit. Einförmig waren auch die Bedingungen für die Existenz des Menschen, welcher in allen Theilen der abflußlosen Becken ein gleichartiges Dasein führte, nirgends, mit Ausnahme künstlichen Oasen, Verhältnisse fand, die ihn zur Ansiedelung verlockten; daher lebte er unstet in nomadisirenden Zustande. Nirgends bot sich dem Stamm oder der Familie eine bestimmte abgeschlossene Heimat, daher hatten beide sie überall. Eine Aenderung dieser Einförmigkeit in allen Beziehungen der unorganischen und organischen Natur konnte nur durch eine Umgestaltung der natürlichen Boden¬ verhältnisse geschehen. Wie aber konnte diese eintreten? Im Prinzip ganz auf dieselbe Weise wie in Asien. Im Westen und Norden Enropa's senkte sich das Land, das Meer drang ein und schuf eine Umgestaltung der klimatischen Verhältnisse, vor allen Dingen machte nun der Golfstrom seinen Einfluß geltend und je mehr das Meer uach Süden zu an Ausdehnung gewann, desto geringer wurde die Macht des trocknen Klimas. Die Luftströmungen kamen mit mehr Feuchtigkeit be¬ laden hauptsächlich von Westen her, entluden sich in dem ehemaligen Zen- tralenropa und machten es zu einem abfließenden Lande. Es erfolgten alle jene Veränderungen in Mitteleuropa wie in Nordchina. Die Zersetzungspro¬ dukte wurden nun durch die entstehenden und an Stromgebiet wachsenden Flüsse gegen das Meer oder dessen abgeschlossene Ueberreste hin und in das¬ selbe hineingeführt, die Ablagerung der festen Stoffe geschah nun vorwaltend mit Hilfe des fließenden oder stehenden Wassers. Mit dem vielgestalteten Material wurden bereits im Laufe des Flusses Seebecken in Thäler verwan¬ delt und die weiten Münduugsebenen geschaffen, der Meeresboden vor den Mündungen erhöht und dem Meerwasser die durch Niederschlag und thierisches Leben sich ausscheidenden löslichen Bestandtheile ersetzt. Die große Niveau¬ differenz zwischen den Quellen der Flüsse und ihrer Mündung, verbunden mit dem Vorhandensein eines unersättlichen Reservoirs, gaben die Veranlassung, daß die Gebirge mehr und mehr ausgewaschen und von Schluchten durchfurcht, ihr Felsbau blosgelegt, ihre Formen wilder und steiler wurden, die ausgefüllten Vertiefungen und großen Becken im Gebirge sich selbst der angesammelten Se¬ dimente allmählich wieder entledigten und diese sich nach und nach in nahezu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/468>, abgerufen am 22.07.2024.