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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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und doch fehlt es eigentlich überall an einer direkten Ueberlieferung, an
vertrauenswürdiger Quellen: die einzelnen Schichten sind eben nicht überall
regelmäßig über einander gelagert, sondern vielfach durcheinander geworfen, um¬
gedreht, überköpft u. s. w. Auf der Oberflüche der Erde selbst aber findet sich
ganz Altes neben ganz Jungen, so daß sie auch in dieser Beziehung ein äußerst
mannigfaltiges Bild darbietet. Nun muß das Alte als solches erkannt, von
dein übrigen abgetrennt und aus den oft dürftigen Resten das Bild einer ver¬
gangenen Periode mit Hilfe der Phantasie konstruirt werden. Wie leicht kann
es bei solcher Arbeit geschehen, daß die subjektive Ansicht des einzelnen For¬
schers sich etwas zu sehr geltend macht; wie nahe liegt die Gefahr des Irr¬
thums. Indeß gibt es auch hier gewisse Mittel, den Irrthum, wenn nicht immer
zu vermeiden, so doch möglichst zu beschränken, und zwar sind es diejenigen,
welche Oskar Peschel in seinen neuen Problemen der vergleichenden Erdkunde
anzuwenden gelehrt hat. Er zeigt, daß bei Vorgängen, die in der Gegenwart
abgeschlossen oder noch nicht beobachtet worden sind, man nur im seltensten Falle
das Richtige treffen wird, wenn man den einzelnen Vorgang, die einzelne
wissenschaftliche Thatsache für sich betrachtet und eine Erklärung versucht;
vielmehr muß man die einzelnen gleichen oder gleichartigen Beobachtungen
von der ganzen Erdoberfläche zusammenziehen und durch Vergleichung eine
Deutung zu gewinnen suchen. Diese Methode wollen wir auch bei der Betrachtung
der Entstehungsart des Löß befolgen, und zwar gestützt ans die trefflichen Unter¬
suchungen des Freiherrn Ferdinand von Richthofen, der in dem ersten, 1877
erschienenen Bande seines großen Werkes über China neben andern wichtigen
Resultaten eine neue, bis in die kleinsten Details ausgeführte Theorie über die
Entstehungsart des Löß gegeben hat, welche die Hoffnung erregt, daß man sie,
obwohl sie zunächst für China und Zentralasien berechnet ist, auch auf die
rheinischen und europäischen Verhältnisse anwenden könne.

Abgesehen von den jüngsten Alluvivnen des Flusses ist die ganze ober¬
rheinische Tiefebene mit der braungelben Erdmasse, genannt Löß, bedeckt; an
den beiden steilen Nandgelürgen, Schwarzwald und Vogesen, zieht sie sich bis
zu beträchtlicher Höhe hinauf und hüllt sogar den ca. 1700 Fuß hohen Kaiserstuhl
bei Altbreisach ein. Hier wurde der Löß zuerst beobachtet und untersucht.
Fortgesetzte, in der Gegenwart uoch uicht abgeschlossene Nachforschungen ergaben
aber das wichtige Resultat, daß der Löß auch sonst in Europa eine ganz be¬
trächtliche Ausdehnung einnimmt. Und zwar zieht er sich entlang dem Nord¬
fuße der Alpen, dringt anch bisweilen tief in den Alpenthälern vor, z. B. bis
Sargans im Rheinthal, füllt die Hauptthäler Deutschland's, Elbe, Weser, Main
aus, und kommt selbst noch in der Norddeutschen Tiefebene vor, wo er die
erratischen Blöcke mit einer dünnen Schicht überzieht. Seine Westgrenze liegt in


und doch fehlt es eigentlich überall an einer direkten Ueberlieferung, an
vertrauenswürdiger Quellen: die einzelnen Schichten sind eben nicht überall
regelmäßig über einander gelagert, sondern vielfach durcheinander geworfen, um¬
gedreht, überköpft u. s. w. Auf der Oberflüche der Erde selbst aber findet sich
ganz Altes neben ganz Jungen, so daß sie auch in dieser Beziehung ein äußerst
mannigfaltiges Bild darbietet. Nun muß das Alte als solches erkannt, von
dein übrigen abgetrennt und aus den oft dürftigen Resten das Bild einer ver¬
gangenen Periode mit Hilfe der Phantasie konstruirt werden. Wie leicht kann
es bei solcher Arbeit geschehen, daß die subjektive Ansicht des einzelnen For¬
schers sich etwas zu sehr geltend macht; wie nahe liegt die Gefahr des Irr¬
thums. Indeß gibt es auch hier gewisse Mittel, den Irrthum, wenn nicht immer
zu vermeiden, so doch möglichst zu beschränken, und zwar sind es diejenigen,
welche Oskar Peschel in seinen neuen Problemen der vergleichenden Erdkunde
anzuwenden gelehrt hat. Er zeigt, daß bei Vorgängen, die in der Gegenwart
abgeschlossen oder noch nicht beobachtet worden sind, man nur im seltensten Falle
das Richtige treffen wird, wenn man den einzelnen Vorgang, die einzelne
wissenschaftliche Thatsache für sich betrachtet und eine Erklärung versucht;
vielmehr muß man die einzelnen gleichen oder gleichartigen Beobachtungen
von der ganzen Erdoberfläche zusammenziehen und durch Vergleichung eine
Deutung zu gewinnen suchen. Diese Methode wollen wir auch bei der Betrachtung
der Entstehungsart des Löß befolgen, und zwar gestützt ans die trefflichen Unter¬
suchungen des Freiherrn Ferdinand von Richthofen, der in dem ersten, 1877
erschienenen Bande seines großen Werkes über China neben andern wichtigen
Resultaten eine neue, bis in die kleinsten Details ausgeführte Theorie über die
Entstehungsart des Löß gegeben hat, welche die Hoffnung erregt, daß man sie,
obwohl sie zunächst für China und Zentralasien berechnet ist, auch auf die
rheinischen und europäischen Verhältnisse anwenden könne.

Abgesehen von den jüngsten Alluvivnen des Flusses ist die ganze ober¬
rheinische Tiefebene mit der braungelben Erdmasse, genannt Löß, bedeckt; an
den beiden steilen Nandgelürgen, Schwarzwald und Vogesen, zieht sie sich bis
zu beträchtlicher Höhe hinauf und hüllt sogar den ca. 1700 Fuß hohen Kaiserstuhl
bei Altbreisach ein. Hier wurde der Löß zuerst beobachtet und untersucht.
Fortgesetzte, in der Gegenwart uoch uicht abgeschlossene Nachforschungen ergaben
aber das wichtige Resultat, daß der Löß auch sonst in Europa eine ganz be¬
trächtliche Ausdehnung einnimmt. Und zwar zieht er sich entlang dem Nord¬
fuße der Alpen, dringt anch bisweilen tief in den Alpenthälern vor, z. B. bis
Sargans im Rheinthal, füllt die Hauptthäler Deutschland's, Elbe, Weser, Main
aus, und kommt selbst noch in der Norddeutschen Tiefebene vor, wo er die
erratischen Blöcke mit einer dünnen Schicht überzieht. Seine Westgrenze liegt in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/456>, abgerufen am 22.07.2024.