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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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sind für den Augenblick die schärfsten Maßnahmen gegen die Feinde der Ge¬
sellschaft nöthig.

Der erwähnte Aufruf ist viel zu allgemein gehalten, während gerade die
Gegenwart ein volles, offenes, resolutes Herausgehen mit der Sprache erfordert.
Und in dieser Allgemeinheit enthält der Aufruf Wendungen, welche bezüglich
der Absichten große Bedenken geradezu Heraussordern. Deutlich schimmert im
3. bis 6. Absätze der Vorwurf durch, daß die Regierung den Reichstag mit
Unrecht aufgelöst und Neuwahlen zur ungeeigneten Zeit angeordnet habe
Es hängt das zusammen mit der folgenden Ausführung, daß der vorige
Reichstag jetzt bereit gewesen wäre, das Nöthige zu genehmigen, zugleich aber
läßt sich herauslesen, daß man diese Bereitwilligkeit auf nichts weiter er¬
streckt haben würde, als wozu man am 24. Mai bereit war. Diese Auffassung
scheint bestätigt zu werden durch die Haltung der beiden Organe der Partei,
der "Berl. Ant. Korr." und der "Rat. Lid. Korr.", welche noch immer sich
in Mißtrauen gegen eine heraufziehende Reaktion ergehen. Als ob die Reaktion,
welche wir allein zu fürchten haben, die nach Art derjenigen aus der Man-
teuffel'sehen Zeit, überhaupt möglich wäre, solange die Schöpfer des deutschen
Reiches noch an der Spitze stehen, die sich wohl hüten werden, einen solchen
Weg zu betreten, der zugleich eiuen Rückgang von Preußens deutscher Macht¬
stellung im Gefolge haben müßte! Jene Organe verschweigen die Kundgebungen,
aus denen ein grundsätzlicher Gegensatz zahlreicher Stimmen der Partei her¬
vorgeht, sie sprechen so, als sei die Meinung der "Berliner Vorsehung" der
Partei diejenige der Partei im ganzen Reiche, weil von denen, die am 16.
Juni in Berlin versammelt waren, niemand dissentirt habe, und werfen ihren
Gegnern vor, eine Meinungsverschiedenheit wieder erträumt zu haben. Das
ist ein nicht zu entschuldigendes Verfahren und nur begreiflich dadurch, daß das
Gros der nationalen Partei in den Parlamenten von der Grundrichtung der
Partei wieder abfällt nach der Richtung der Fortschrittspartei hin. Dazu
könne" wir so wenig schweigen wie Treitschke.*)

Das Bestreben jeder Partei, die Ihrigen möglichst zusammenzuhalten, ist
ja ganz natürlich, und es empfiehlt sich gewiß zu allen Zeiten, Unebenheiten,
Mißverständnisse und kleinere Meinungsverschiedenheiten im Innern der Partei
zu verhüten oder zu begleichen; ganz etwas Anderes aber ist es, wenn in¬
mitten einer Partei Verschiedenheiten sich erheben, welche die Grundprinzipien,
wenn dieselben gar die Mittel und Wege betreffen, wie die politischen Ziele
im Staatsleben praktisch angestrebt werden sollen.



*) Und wir haben unsere Meinungsverschiedenheit bereits ausgesprochen, ehe Treitschke
im Parlament und in deu "Preuß, Jahrbücher"" seine Ueberemstimmnua
D. Red. . mit unsern An¬
sichten kundgab.

sind für den Augenblick die schärfsten Maßnahmen gegen die Feinde der Ge¬
sellschaft nöthig.

Der erwähnte Aufruf ist viel zu allgemein gehalten, während gerade die
Gegenwart ein volles, offenes, resolutes Herausgehen mit der Sprache erfordert.
Und in dieser Allgemeinheit enthält der Aufruf Wendungen, welche bezüglich
der Absichten große Bedenken geradezu Heraussordern. Deutlich schimmert im
3. bis 6. Absätze der Vorwurf durch, daß die Regierung den Reichstag mit
Unrecht aufgelöst und Neuwahlen zur ungeeigneten Zeit angeordnet habe
Es hängt das zusammen mit der folgenden Ausführung, daß der vorige
Reichstag jetzt bereit gewesen wäre, das Nöthige zu genehmigen, zugleich aber
läßt sich herauslesen, daß man diese Bereitwilligkeit auf nichts weiter er¬
streckt haben würde, als wozu man am 24. Mai bereit war. Diese Auffassung
scheint bestätigt zu werden durch die Haltung der beiden Organe der Partei,
der „Berl. Ant. Korr." und der „Rat. Lid. Korr.", welche noch immer sich
in Mißtrauen gegen eine heraufziehende Reaktion ergehen. Als ob die Reaktion,
welche wir allein zu fürchten haben, die nach Art derjenigen aus der Man-
teuffel'sehen Zeit, überhaupt möglich wäre, solange die Schöpfer des deutschen
Reiches noch an der Spitze stehen, die sich wohl hüten werden, einen solchen
Weg zu betreten, der zugleich eiuen Rückgang von Preußens deutscher Macht¬
stellung im Gefolge haben müßte! Jene Organe verschweigen die Kundgebungen,
aus denen ein grundsätzlicher Gegensatz zahlreicher Stimmen der Partei her¬
vorgeht, sie sprechen so, als sei die Meinung der „Berliner Vorsehung" der
Partei diejenige der Partei im ganzen Reiche, weil von denen, die am 16.
Juni in Berlin versammelt waren, niemand dissentirt habe, und werfen ihren
Gegnern vor, eine Meinungsverschiedenheit wieder erträumt zu haben. Das
ist ein nicht zu entschuldigendes Verfahren und nur begreiflich dadurch, daß das
Gros der nationalen Partei in den Parlamenten von der Grundrichtung der
Partei wieder abfällt nach der Richtung der Fortschrittspartei hin. Dazu
könne» wir so wenig schweigen wie Treitschke.*)

Das Bestreben jeder Partei, die Ihrigen möglichst zusammenzuhalten, ist
ja ganz natürlich, und es empfiehlt sich gewiß zu allen Zeiten, Unebenheiten,
Mißverständnisse und kleinere Meinungsverschiedenheiten im Innern der Partei
zu verhüten oder zu begleichen; ganz etwas Anderes aber ist es, wenn in¬
mitten einer Partei Verschiedenheiten sich erheben, welche die Grundprinzipien,
wenn dieselben gar die Mittel und Wege betreffen, wie die politischen Ziele
im Staatsleben praktisch angestrebt werden sollen.



*) Und wir haben unsere Meinungsverschiedenheit bereits ausgesprochen, ehe Treitschke
im Parlament und in deu „Preuß, Jahrbücher»" seine Ueberemstimmnua
D. Red. . mit unsern An¬
sichten kundgab.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/44>, abgerufen am 22.07.2024.