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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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nischen Länder gnug und gebe war; so lange das Gebäude in seinen Grund¬
mauern gefestet stände, erklärten sie es für eine Albernheit, wenn uicht für
etwas Schlimmeres, irgend ein Heil davon zu erwarten, daß hier ein Fenster
eingeschlagen oder dort eine Thür eingeräumt würde. Vielmehr entwickelten sie
ihrerseits, daß eine Revolution erst dann möglich, aber dann auch unwider¬
stehlich sei, wenn sie sich in den Gemüthern des ganzen Volks oder doch seiner
großen Masse vollzogen habe, und daß deshalb eine mit allen Mitteln öffent¬
lichen Wirkens betriebene politische Zersetzung der arbeitenden Klassen ungleich
größere Erfolge verspreche, als alles im Dunkel der Nacht schleichende Ver¬
schwörertreiben, als alle gegen einzelne, noch so hochstehende Persönlichkeiten
gerichteten Dolchstöße oder Pistolenschüsse, als alle lokalen, mit noch so viel
Aussicht ans lokalen Erfolg unternommenen Aufstände. Nur dann, aber dann
auch sicher breche das Gebäude in sich selbst zusammen, wenn seine tragenden
Grundsäulen verfallen und zermorscht, wenn die unteren Volksschichten mora¬
lisch zerrüttet und revolutionär erbittert seien. Selbstverständlich schließt diese
Taktik, welche die Sozialdemokratie heutzutage eine "friedliche und gesetzliche
Agitation" und die Fortschrittspartei eine "geistige Bewegung" zu nennen be¬
liebt, die Gewalt nicht an sich, sondern nur die dumme, weil unzeitige An¬
wendung von Gewalt aus. Vielmehr hat namentlich Marx in seinen politi¬
schen Kundgebungen, wie in seinen wissenschaftlichen Werken niemals irgend
ein Hehl daraus gemacht, daß wenn einmal die überwältigende Mehrheit des
Volkes unheilbar mit der bestehenden Ordnung zerfallen sei, die Gewalt und
nur die Gewalt als "Geburtshelfer" der neuen Welt fungiren könne und müsse.

Die erste Probe auf ihr Exempel machten Engels und Marx mit dem
bereits erwähnte" "Bunde der Kommunisten". Sie traten in diese mehr oder
minder rein konspiratorische Gesellschaft ein und wandelten sie in eine einfache,
nur nothgedrungen und vorläufig geheime Organisation der kommnnistisch-
revvlutionären Propaganda um. Nach heftigen Kämpfen in: Schooße des Bundes
gelangten sie 1847 an's Ziel, ließen, sobald es die Zeitverhültnisse des nächsten
Jahres gestatteten, den Bund an das Licht der Öffentlichkeit treten und ver¬
kündeten im "Manifeste der kommunistischen Partei" seine Ziele und Zwecke.
Dies interessante Aktenstück ist leider viel zu wenig bekannt; es enthält mit
edelster Offenheit das innerste Wesen dieser ganzen Demagogie, und seine Schlu߬
sätze: "Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu
verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nnr erreicht werden
können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung"
sind nur insofern nicht mehr wahr, als die heutigen Wortführer des Weltum-
stürzlerthums es allerdings nicht verschmähen, ihre Ab- und Ansichten zu ver¬
heimlichen. Allein uoch vor wenigen Jahren druckte das offizielle Organ der


nischen Länder gnug und gebe war; so lange das Gebäude in seinen Grund¬
mauern gefestet stände, erklärten sie es für eine Albernheit, wenn uicht für
etwas Schlimmeres, irgend ein Heil davon zu erwarten, daß hier ein Fenster
eingeschlagen oder dort eine Thür eingeräumt würde. Vielmehr entwickelten sie
ihrerseits, daß eine Revolution erst dann möglich, aber dann auch unwider¬
stehlich sei, wenn sie sich in den Gemüthern des ganzen Volks oder doch seiner
großen Masse vollzogen habe, und daß deshalb eine mit allen Mitteln öffent¬
lichen Wirkens betriebene politische Zersetzung der arbeitenden Klassen ungleich
größere Erfolge verspreche, als alles im Dunkel der Nacht schleichende Ver¬
schwörertreiben, als alle gegen einzelne, noch so hochstehende Persönlichkeiten
gerichteten Dolchstöße oder Pistolenschüsse, als alle lokalen, mit noch so viel
Aussicht ans lokalen Erfolg unternommenen Aufstände. Nur dann, aber dann
auch sicher breche das Gebäude in sich selbst zusammen, wenn seine tragenden
Grundsäulen verfallen und zermorscht, wenn die unteren Volksschichten mora¬
lisch zerrüttet und revolutionär erbittert seien. Selbstverständlich schließt diese
Taktik, welche die Sozialdemokratie heutzutage eine „friedliche und gesetzliche
Agitation" und die Fortschrittspartei eine „geistige Bewegung" zu nennen be¬
liebt, die Gewalt nicht an sich, sondern nur die dumme, weil unzeitige An¬
wendung von Gewalt aus. Vielmehr hat namentlich Marx in seinen politi¬
schen Kundgebungen, wie in seinen wissenschaftlichen Werken niemals irgend
ein Hehl daraus gemacht, daß wenn einmal die überwältigende Mehrheit des
Volkes unheilbar mit der bestehenden Ordnung zerfallen sei, die Gewalt und
nur die Gewalt als „Geburtshelfer" der neuen Welt fungiren könne und müsse.

Die erste Probe auf ihr Exempel machten Engels und Marx mit dem
bereits erwähnte» „Bunde der Kommunisten". Sie traten in diese mehr oder
minder rein konspiratorische Gesellschaft ein und wandelten sie in eine einfache,
nur nothgedrungen und vorläufig geheime Organisation der kommnnistisch-
revvlutionären Propaganda um. Nach heftigen Kämpfen in: Schooße des Bundes
gelangten sie 1847 an's Ziel, ließen, sobald es die Zeitverhültnisse des nächsten
Jahres gestatteten, den Bund an das Licht der Öffentlichkeit treten und ver¬
kündeten im „Manifeste der kommunistischen Partei" seine Ziele und Zwecke.
Dies interessante Aktenstück ist leider viel zu wenig bekannt; es enthält mit
edelster Offenheit das innerste Wesen dieser ganzen Demagogie, und seine Schlu߬
sätze: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu
verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nnr erreicht werden
können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung"
sind nur insofern nicht mehr wahr, als die heutigen Wortführer des Weltum-
stürzlerthums es allerdings nicht verschmähen, ihre Ab- und Ansichten zu ver¬
heimlichen. Allein uoch vor wenigen Jahren druckte das offizielle Organ der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/434>, abgerufen am 25.08.2024.