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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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diese frevelhaften Verbrechen einen leider vielfach weder gehörig beachteten noch
gehörig verstandenen Appell an die Einsicht aller staatserhaltenden Elemente
gerichtet haben. Vielmehr liegt der Zusammenhang viel tiefer. Es würde
thöricht und ungerecht sein, den leitenden Köpfen der sozialdemokratischen Partei
irgend einen direkten Zusammenhang mit den Thaten von Hödel und Nobi-
ling unterzuschieben, was beiläufig auch keinem vernünftigen Menschen einge¬
fallen ist, wenngleich sich die kommunistische Presse nach Möglichkeit bemühte,
den Schein zu erwecken, als würden ihre Häuptlinge in dieser Weise "ver¬
leumdet". Vollends von der großen Masse der Arbeiter, welche auf den Zu-
kunftsstaat schwören, trennt jene verkommenen Subjekte ein tiefer Abgrund.
Allein trotzdem sind sie die letzten und unausbleiblichen Ausläufer einer un¬
unterbrochenen Entwicklung, die sich Glied für Glied und Schritt für Schritt
bis in jene Tage zurückverfolgen läßt, in denen der sozialistische Gedanke des
neunzehnten Jahrhunderts jene besondere kommunistisch-revolutionäre Farbe
und Gestalt erhielt, die heute der deutschen Sozialdemokratie das charakteri¬
stische Gepräge geben.

Dies geschah etwa in der Mitte der vierziger Jahre. Bis dahin war der
Sozialismus wesentlich utopistischer Natur ohne aktuell-politische Spitze; Se.
Simon, Fourier, Owen waren schwärmerische Menschenfreunde, aber keine be¬
rechnenden Politiker. Unter den vielen Revolutions- und Verschwörergesell¬
schaften, welche damals den Süden und Westen des europäischen Kontinents
bedeckten, gab es zwar einzelne, welche kommunistische Zwecke verfolgten, so
namentlich der internationale "Bund der Kommunisten", allein von einem durch¬
dachten Plane war dabei keine Rede, und dieses ganze Weltumstürzlerthnm war
kaum anders als grotesk-komisch zu nehmen. Erst deutschen Köpfen war es
nach der bekannten Tugend oder auch Untugend unseres Naturells vorbehalten,
System in die Sache zu bringen. Engels und Marx riefen, jener durch sein
Buch über die Lage der englischen Arbeiter, dieser durch seine Streitschrift gegen
Proudhon, nicht nur eine radikale Umwälzung in der Theorie des Sozialis¬
mus hervor, sondern sie brachten auch, was viel weniger bekannt ist, in den
europäischen Kreisen der professionellen Revolutionsmacher eine völlig neue
Agitativnsmethode zur Geltung. Sie gingen von dem Gesichtspunkte ans, daß
die bestehenden Zustände nicht von der Existenz einzelner Gesetze oder Personen
abhängig, sondern vielmehr das organische Produkt eiuer tief in die Jahrhun¬
derte zurückreichenden Entwicklung seien und niemals erschüttert werden könnten,
so lauge sie nicht in ihrer Wurzel, in dem Glanben des ganzen Volks an ihre
Gerechtigkeit und Nothwendigkeit beseitigt worden seien. Sie verwarfen dem¬
gemäß jenes geheime System des äußerlichen, in Attentaten und Pulsader
explodirenden Komplotirens und Konspirirens, wie es namentlich in den roma-


Grenzboten III. 1878. 84

diese frevelhaften Verbrechen einen leider vielfach weder gehörig beachteten noch
gehörig verstandenen Appell an die Einsicht aller staatserhaltenden Elemente
gerichtet haben. Vielmehr liegt der Zusammenhang viel tiefer. Es würde
thöricht und ungerecht sein, den leitenden Köpfen der sozialdemokratischen Partei
irgend einen direkten Zusammenhang mit den Thaten von Hödel und Nobi-
ling unterzuschieben, was beiläufig auch keinem vernünftigen Menschen einge¬
fallen ist, wenngleich sich die kommunistische Presse nach Möglichkeit bemühte,
den Schein zu erwecken, als würden ihre Häuptlinge in dieser Weise „ver¬
leumdet". Vollends von der großen Masse der Arbeiter, welche auf den Zu-
kunftsstaat schwören, trennt jene verkommenen Subjekte ein tiefer Abgrund.
Allein trotzdem sind sie die letzten und unausbleiblichen Ausläufer einer un¬
unterbrochenen Entwicklung, die sich Glied für Glied und Schritt für Schritt
bis in jene Tage zurückverfolgen läßt, in denen der sozialistische Gedanke des
neunzehnten Jahrhunderts jene besondere kommunistisch-revolutionäre Farbe
und Gestalt erhielt, die heute der deutschen Sozialdemokratie das charakteri¬
stische Gepräge geben.

Dies geschah etwa in der Mitte der vierziger Jahre. Bis dahin war der
Sozialismus wesentlich utopistischer Natur ohne aktuell-politische Spitze; Se.
Simon, Fourier, Owen waren schwärmerische Menschenfreunde, aber keine be¬
rechnenden Politiker. Unter den vielen Revolutions- und Verschwörergesell¬
schaften, welche damals den Süden und Westen des europäischen Kontinents
bedeckten, gab es zwar einzelne, welche kommunistische Zwecke verfolgten, so
namentlich der internationale „Bund der Kommunisten", allein von einem durch¬
dachten Plane war dabei keine Rede, und dieses ganze Weltumstürzlerthnm war
kaum anders als grotesk-komisch zu nehmen. Erst deutschen Köpfen war es
nach der bekannten Tugend oder auch Untugend unseres Naturells vorbehalten,
System in die Sache zu bringen. Engels und Marx riefen, jener durch sein
Buch über die Lage der englischen Arbeiter, dieser durch seine Streitschrift gegen
Proudhon, nicht nur eine radikale Umwälzung in der Theorie des Sozialis¬
mus hervor, sondern sie brachten auch, was viel weniger bekannt ist, in den
europäischen Kreisen der professionellen Revolutionsmacher eine völlig neue
Agitativnsmethode zur Geltung. Sie gingen von dem Gesichtspunkte ans, daß
die bestehenden Zustände nicht von der Existenz einzelner Gesetze oder Personen
abhängig, sondern vielmehr das organische Produkt eiuer tief in die Jahrhun¬
derte zurückreichenden Entwicklung seien und niemals erschüttert werden könnten,
so lauge sie nicht in ihrer Wurzel, in dem Glanben des ganzen Volks an ihre
Gerechtigkeit und Nothwendigkeit beseitigt worden seien. Sie verwarfen dem¬
gemäß jenes geheime System des äußerlichen, in Attentaten und Pulsader
explodirenden Komplotirens und Konspirirens, wie es namentlich in den roma-


Grenzboten III. 1878. 84
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[0433] diese frevelhaften Verbrechen einen leider vielfach weder gehörig beachteten noch gehörig verstandenen Appell an die Einsicht aller staatserhaltenden Elemente gerichtet haben. Vielmehr liegt der Zusammenhang viel tiefer. Es würde thöricht und ungerecht sein, den leitenden Köpfen der sozialdemokratischen Partei irgend einen direkten Zusammenhang mit den Thaten von Hödel und Nobi- ling unterzuschieben, was beiläufig auch keinem vernünftigen Menschen einge¬ fallen ist, wenngleich sich die kommunistische Presse nach Möglichkeit bemühte, den Schein zu erwecken, als würden ihre Häuptlinge in dieser Weise „ver¬ leumdet". Vollends von der großen Masse der Arbeiter, welche auf den Zu- kunftsstaat schwören, trennt jene verkommenen Subjekte ein tiefer Abgrund. Allein trotzdem sind sie die letzten und unausbleiblichen Ausläufer einer un¬ unterbrochenen Entwicklung, die sich Glied für Glied und Schritt für Schritt bis in jene Tage zurückverfolgen läßt, in denen der sozialistische Gedanke des neunzehnten Jahrhunderts jene besondere kommunistisch-revolutionäre Farbe und Gestalt erhielt, die heute der deutschen Sozialdemokratie das charakteri¬ stische Gepräge geben. Dies geschah etwa in der Mitte der vierziger Jahre. Bis dahin war der Sozialismus wesentlich utopistischer Natur ohne aktuell-politische Spitze; Se. Simon, Fourier, Owen waren schwärmerische Menschenfreunde, aber keine be¬ rechnenden Politiker. Unter den vielen Revolutions- und Verschwörergesell¬ schaften, welche damals den Süden und Westen des europäischen Kontinents bedeckten, gab es zwar einzelne, welche kommunistische Zwecke verfolgten, so namentlich der internationale „Bund der Kommunisten", allein von einem durch¬ dachten Plane war dabei keine Rede, und dieses ganze Weltumstürzlerthnm war kaum anders als grotesk-komisch zu nehmen. Erst deutschen Köpfen war es nach der bekannten Tugend oder auch Untugend unseres Naturells vorbehalten, System in die Sache zu bringen. Engels und Marx riefen, jener durch sein Buch über die Lage der englischen Arbeiter, dieser durch seine Streitschrift gegen Proudhon, nicht nur eine radikale Umwälzung in der Theorie des Sozialis¬ mus hervor, sondern sie brachten auch, was viel weniger bekannt ist, in den europäischen Kreisen der professionellen Revolutionsmacher eine völlig neue Agitativnsmethode zur Geltung. Sie gingen von dem Gesichtspunkte ans, daß die bestehenden Zustände nicht von der Existenz einzelner Gesetze oder Personen abhängig, sondern vielmehr das organische Produkt eiuer tief in die Jahrhun¬ derte zurückreichenden Entwicklung seien und niemals erschüttert werden könnten, so lauge sie nicht in ihrer Wurzel, in dem Glanben des ganzen Volks an ihre Gerechtigkeit und Nothwendigkeit beseitigt worden seien. Sie verwarfen dem¬ gemäß jenes geheime System des äußerlichen, in Attentaten und Pulsader explodirenden Komplotirens und Konspirirens, wie es namentlich in den roma- Grenzboten III. 1878. 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/433>, abgerufen am 22.07.2024.