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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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tagsthätigkeit, den ersten Nerfassungskampf und dann seine Flüchtlingszeit. Ans
der Landtagszeit machen wir namentlich auf die Episode aufmerksam, wo Oetker
1850 Hafsenpflug dazu bringt, seine im ständischen Ausschüsse abgegebene feier¬
liche Erklärung, daß der Bundestag ohne ständische Zustimmung nicht wieder
hergestellt werden könne, niederzuschreiben und zu unterzeichnen, während Hafsen¬
pflug offenbar damals schon den Plan hegte, gerade durch die Wirren, welche
er in Hessen muthwillig herbeiführte, dem Bundestage zur Existenz zu ver¬
helfen. Oder man lese die Episode, wie Oetker Hassenpflug inbetreff des Punktes
zu Leibe ging, daß dieser in einem Momente das Justizministerium annahm
und bekleidete, wo er in Preußen wegen Fälschung gerichtlich verfolgt wurde.
Sehr ergötzlich schildert Oetker seine Gefangenschaft im Kastell zu Kassel, wo
ihn der Oberbefehlshaber von Haynau allen wiederholten Aufforderungen der
obersten Zivil- und Militärgerichte zum Trotz festhielt. Er unterhielt sich dort
mit -- zahlreichen Mäusen, die nach einem auf eine Wasserflasche gelegten
Leckerbissen unermüdlich emporsprangen. Der Kommandant ließ ihn um Mitter¬
nacht wecken und ihm ein Schreiben des Oberbefehlshabers vorlesen, der seinen
Unwillen und sein Erstaunen darüber aussprach, daß Oetker's Zeitung weiter
erscheine; er möge dies einstellen lassen, sonst würden weitere Maßregeln er¬
griffen werden. Oetker dankte für die angenehme Nachricht, verbat sich aber
solche Störungen der Nachtruhe. Haynau war außer sich über die offenen
Briefe, die, aus dem Kastell an ihn gerichtet, in der zu Gotha weiter erschei¬
nenden Neuen Hessischen Zeitung veröffentlicht wurden. Dieselben flössen über
von Spott. Er wurde darin erinnert, daß er 1832 an das Offizierkorps eine
große Rede wegen Heilighaltung der Verfassung gehalten habe, zu deren Um¬
sturz er sich jetzt hergab. Es wurde ihm die Auffassung impntirt, daß, da die
Menschen durch Ausdünstung, Häutung u. s. w. fast alle fünf Jahre umge¬
bildet würden, von der alten Kreatur eigentlich nichts übrig bliebe, daß mithin
ein Eid von 1831 im Jahre 1850 unmöglich uoch Bedeutung haben könne,
da der Schwörende inzwischen sich gewissermaßen aus der eidlichen Verbind¬
lichkeit förmlich herausgeschwitzt habe.

Die Schilderung der Flüchtlingszeit bietet ebenfalls viel Anziehendes.
Oetker brachte sie in Braunschweig, dann in Wangeroge, in Helgoland und
Belgien zu. Auf die Naturschilderungen aus Helgoland darf besonders auf¬
merksam gemacht werden. Wie Oetker einst das anerkannt beste Buch über
Helgoland geschrieben hat, so zeigt er sich auch hier wieder als Autorität
in der Kenntniß der Verfassnngs-Verhältnisse der Insel, von denen in den
letzten Jahren mitunter in den Zeitungen die Rede war. Oetker resumirt sein
Urtheil in dieser Beziehung dahin "daß die englischen Kabinetsbesehle von
1864 und >8(>8, betreffend die Verfassung Helgoland's, mit den Zusicherungen


tagsthätigkeit, den ersten Nerfassungskampf und dann seine Flüchtlingszeit. Ans
der Landtagszeit machen wir namentlich auf die Episode aufmerksam, wo Oetker
1850 Hafsenpflug dazu bringt, seine im ständischen Ausschüsse abgegebene feier¬
liche Erklärung, daß der Bundestag ohne ständische Zustimmung nicht wieder
hergestellt werden könne, niederzuschreiben und zu unterzeichnen, während Hafsen¬
pflug offenbar damals schon den Plan hegte, gerade durch die Wirren, welche
er in Hessen muthwillig herbeiführte, dem Bundestage zur Existenz zu ver¬
helfen. Oder man lese die Episode, wie Oetker Hassenpflug inbetreff des Punktes
zu Leibe ging, daß dieser in einem Momente das Justizministerium annahm
und bekleidete, wo er in Preußen wegen Fälschung gerichtlich verfolgt wurde.
Sehr ergötzlich schildert Oetker seine Gefangenschaft im Kastell zu Kassel, wo
ihn der Oberbefehlshaber von Haynau allen wiederholten Aufforderungen der
obersten Zivil- und Militärgerichte zum Trotz festhielt. Er unterhielt sich dort
mit — zahlreichen Mäusen, die nach einem auf eine Wasserflasche gelegten
Leckerbissen unermüdlich emporsprangen. Der Kommandant ließ ihn um Mitter¬
nacht wecken und ihm ein Schreiben des Oberbefehlshabers vorlesen, der seinen
Unwillen und sein Erstaunen darüber aussprach, daß Oetker's Zeitung weiter
erscheine; er möge dies einstellen lassen, sonst würden weitere Maßregeln er¬
griffen werden. Oetker dankte für die angenehme Nachricht, verbat sich aber
solche Störungen der Nachtruhe. Haynau war außer sich über die offenen
Briefe, die, aus dem Kastell an ihn gerichtet, in der zu Gotha weiter erschei¬
nenden Neuen Hessischen Zeitung veröffentlicht wurden. Dieselben flössen über
von Spott. Er wurde darin erinnert, daß er 1832 an das Offizierkorps eine
große Rede wegen Heilighaltung der Verfassung gehalten habe, zu deren Um¬
sturz er sich jetzt hergab. Es wurde ihm die Auffassung impntirt, daß, da die
Menschen durch Ausdünstung, Häutung u. s. w. fast alle fünf Jahre umge¬
bildet würden, von der alten Kreatur eigentlich nichts übrig bliebe, daß mithin
ein Eid von 1831 im Jahre 1850 unmöglich uoch Bedeutung haben könne,
da der Schwörende inzwischen sich gewissermaßen aus der eidlichen Verbind¬
lichkeit förmlich herausgeschwitzt habe.

Die Schilderung der Flüchtlingszeit bietet ebenfalls viel Anziehendes.
Oetker brachte sie in Braunschweig, dann in Wangeroge, in Helgoland und
Belgien zu. Auf die Naturschilderungen aus Helgoland darf besonders auf¬
merksam gemacht werden. Wie Oetker einst das anerkannt beste Buch über
Helgoland geschrieben hat, so zeigt er sich auch hier wieder als Autorität
in der Kenntniß der Verfassnngs-Verhältnisse der Insel, von denen in den
letzten Jahren mitunter in den Zeitungen die Rede war. Oetker resumirt sein
Urtheil in dieser Beziehung dahin „daß die englischen Kabinetsbesehle von
1864 und >8(>8, betreffend die Verfassung Helgoland's, mit den Zusicherungen


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[0431] tagsthätigkeit, den ersten Nerfassungskampf und dann seine Flüchtlingszeit. Ans der Landtagszeit machen wir namentlich auf die Episode aufmerksam, wo Oetker 1850 Hafsenpflug dazu bringt, seine im ständischen Ausschüsse abgegebene feier¬ liche Erklärung, daß der Bundestag ohne ständische Zustimmung nicht wieder hergestellt werden könne, niederzuschreiben und zu unterzeichnen, während Hafsen¬ pflug offenbar damals schon den Plan hegte, gerade durch die Wirren, welche er in Hessen muthwillig herbeiführte, dem Bundestage zur Existenz zu ver¬ helfen. Oder man lese die Episode, wie Oetker Hassenpflug inbetreff des Punktes zu Leibe ging, daß dieser in einem Momente das Justizministerium annahm und bekleidete, wo er in Preußen wegen Fälschung gerichtlich verfolgt wurde. Sehr ergötzlich schildert Oetker seine Gefangenschaft im Kastell zu Kassel, wo ihn der Oberbefehlshaber von Haynau allen wiederholten Aufforderungen der obersten Zivil- und Militärgerichte zum Trotz festhielt. Er unterhielt sich dort mit — zahlreichen Mäusen, die nach einem auf eine Wasserflasche gelegten Leckerbissen unermüdlich emporsprangen. Der Kommandant ließ ihn um Mitter¬ nacht wecken und ihm ein Schreiben des Oberbefehlshabers vorlesen, der seinen Unwillen und sein Erstaunen darüber aussprach, daß Oetker's Zeitung weiter erscheine; er möge dies einstellen lassen, sonst würden weitere Maßregeln er¬ griffen werden. Oetker dankte für die angenehme Nachricht, verbat sich aber solche Störungen der Nachtruhe. Haynau war außer sich über die offenen Briefe, die, aus dem Kastell an ihn gerichtet, in der zu Gotha weiter erschei¬ nenden Neuen Hessischen Zeitung veröffentlicht wurden. Dieselben flössen über von Spott. Er wurde darin erinnert, daß er 1832 an das Offizierkorps eine große Rede wegen Heilighaltung der Verfassung gehalten habe, zu deren Um¬ sturz er sich jetzt hergab. Es wurde ihm die Auffassung impntirt, daß, da die Menschen durch Ausdünstung, Häutung u. s. w. fast alle fünf Jahre umge¬ bildet würden, von der alten Kreatur eigentlich nichts übrig bliebe, daß mithin ein Eid von 1831 im Jahre 1850 unmöglich uoch Bedeutung haben könne, da der Schwörende inzwischen sich gewissermaßen aus der eidlichen Verbind¬ lichkeit förmlich herausgeschwitzt habe. Die Schilderung der Flüchtlingszeit bietet ebenfalls viel Anziehendes. Oetker brachte sie in Braunschweig, dann in Wangeroge, in Helgoland und Belgien zu. Auf die Naturschilderungen aus Helgoland darf besonders auf¬ merksam gemacht werden. Wie Oetker einst das anerkannt beste Buch über Helgoland geschrieben hat, so zeigt er sich auch hier wieder als Autorität in der Kenntniß der Verfassnngs-Verhältnisse der Insel, von denen in den letzten Jahren mitunter in den Zeitungen die Rede war. Oetker resumirt sein Urtheil in dieser Beziehung dahin „daß die englischen Kabinetsbesehle von 1864 und >8(>8, betreffend die Verfassung Helgoland's, mit den Zusicherungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/431>, abgerufen am 25.08.2024.