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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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ihm der konkrete Inhalt des Christenthums zu sehr allgemeinen, unbestimmten
und farblosen Umrissen. Ueberschwänglichkeit des Empfindungslebens verdeckt
ihm das Unzureichende seines Standpunktes, den wir als den des sentimen¬
talen Rationalismus bezeichnen können.

Sehen wir vou diesen: letzten Vortrage ab, der nicht auf kräftiger Ge¬
dankenarbeit ruht, so müssen wir es als einen Vorzug dieser Sammlung an¬
sehen, daß die in ihr verbundenen Aufsätze durch Gediegenheit, sowie durch
Klarheit und Schönheit der Form sich auszeichnen.

3. Der Vortrag Henne's liefert den Beweis, daß die früher beliebte Art
der Geschichtschreibung, welche die Entwickelung der Ereignisse im Lichte zufäl¬
liger persönlicher Sympathien und Antipathien beurtheilte, immer noch nicht
ausgestorben ist. Diese Historiker dringen in den Kern der Sache, in die ob¬
jektiven Tendenzen des geschichtlichen Lebens nicht ein, ihre Mißstimmung über
die inadäquate Form, welche den Ideen gegeben ist, über die bedenklichen
Mittel, deren sich die Streitenden bedienen, über die UnWürdigkeit der einzelnen
leitenden Persönlichkeiten macht sie unfähig, das wahrhaft Werthvolle, das
Wesentliche, den inneren Gehalt der Entwickelung zu erkennen. Daß ein Mann,
der, wie Hanne, zur Tübinger Schule gehört, eine andere Geschichtsbetrachtung
sich nicht angeeignet hat, nimmt uns Wunder. Wir hätten gewünscht, daß der
Verfasser vor der Ausarbeitung feines Vortrags die Darstellung der dogmati¬
schen Kämpfe des vierten Jahrhunderts in der Kirchengeschichte von F. Eh.
Baur studirt hätte. Er würde da unter anderem Folgendes gelesen haben:
"Der "manische Streit hat eine sehr tiefe Bedeutung, greift in das innerste
Wesen des Christenthums ein, und man beurtheilt ihn nur sehr einseitig und
äußerlich, wenn man meint, es habe sich in ihm nur um die Lehre!von der
Gottheit des Sohnes gehandelt. Der Begriff, welchen beide Theile über die
Gottheit des Sohnes aufstellten, war nur der in diese Form gefaßte Ausdruck
ihrer Ansicht von dem Wesen und Charakter des Christenthums überhaupt.
Die Hauptfrage war, ob das Christenthum die höchste absolute Offenbarung
Gottes ist, und zwar eine solche, durch welche sich dem Menschen in dem Sohn
Gottes das an sich seiende absolute Wesen Gottes ausschließt und so mittheilt,
daß er durch den Sohn mit Gott wahrhaft Eins wird und in eine solche
Wesensgemeinschaft mit ihm kommt, in welcher er seiner Begnadigung und Be¬
seligung auf absolute Weise gewiß sein kann.--Während also nach
Athanasius das Christenthum die Religion der Einheit Gottes und des Meuscheu
ist, kann nach Arius das Wesen der christlichen Offenbarung nur darin bestehen,
daß der Mensch des Unterschieds sich bewußt wird, welcher ihn wie alles End¬
liche von dem absoluten Wesen Gottes trennt. Welchen Werth hat aber, muß
man fragen, fo betrachtet, das Christenthum, wenn es, statt den Menschen Gott


ihm der konkrete Inhalt des Christenthums zu sehr allgemeinen, unbestimmten
und farblosen Umrissen. Ueberschwänglichkeit des Empfindungslebens verdeckt
ihm das Unzureichende seines Standpunktes, den wir als den des sentimen¬
talen Rationalismus bezeichnen können.

Sehen wir vou diesen: letzten Vortrage ab, der nicht auf kräftiger Ge¬
dankenarbeit ruht, so müssen wir es als einen Vorzug dieser Sammlung an¬
sehen, daß die in ihr verbundenen Aufsätze durch Gediegenheit, sowie durch
Klarheit und Schönheit der Form sich auszeichnen.

3. Der Vortrag Henne's liefert den Beweis, daß die früher beliebte Art
der Geschichtschreibung, welche die Entwickelung der Ereignisse im Lichte zufäl¬
liger persönlicher Sympathien und Antipathien beurtheilte, immer noch nicht
ausgestorben ist. Diese Historiker dringen in den Kern der Sache, in die ob¬
jektiven Tendenzen des geschichtlichen Lebens nicht ein, ihre Mißstimmung über
die inadäquate Form, welche den Ideen gegeben ist, über die bedenklichen
Mittel, deren sich die Streitenden bedienen, über die UnWürdigkeit der einzelnen
leitenden Persönlichkeiten macht sie unfähig, das wahrhaft Werthvolle, das
Wesentliche, den inneren Gehalt der Entwickelung zu erkennen. Daß ein Mann,
der, wie Hanne, zur Tübinger Schule gehört, eine andere Geschichtsbetrachtung
sich nicht angeeignet hat, nimmt uns Wunder. Wir hätten gewünscht, daß der
Verfasser vor der Ausarbeitung feines Vortrags die Darstellung der dogmati¬
schen Kämpfe des vierten Jahrhunderts in der Kirchengeschichte von F. Eh.
Baur studirt hätte. Er würde da unter anderem Folgendes gelesen haben:
„Der «manische Streit hat eine sehr tiefe Bedeutung, greift in das innerste
Wesen des Christenthums ein, und man beurtheilt ihn nur sehr einseitig und
äußerlich, wenn man meint, es habe sich in ihm nur um die Lehre!von der
Gottheit des Sohnes gehandelt. Der Begriff, welchen beide Theile über die
Gottheit des Sohnes aufstellten, war nur der in diese Form gefaßte Ausdruck
ihrer Ansicht von dem Wesen und Charakter des Christenthums überhaupt.
Die Hauptfrage war, ob das Christenthum die höchste absolute Offenbarung
Gottes ist, und zwar eine solche, durch welche sich dem Menschen in dem Sohn
Gottes das an sich seiende absolute Wesen Gottes ausschließt und so mittheilt,
daß er durch den Sohn mit Gott wahrhaft Eins wird und in eine solche
Wesensgemeinschaft mit ihm kommt, in welcher er seiner Begnadigung und Be¬
seligung auf absolute Weise gewiß sein kann.--Während also nach
Athanasius das Christenthum die Religion der Einheit Gottes und des Meuscheu
ist, kann nach Arius das Wesen der christlichen Offenbarung nur darin bestehen,
daß der Mensch des Unterschieds sich bewußt wird, welcher ihn wie alles End¬
liche von dem absoluten Wesen Gottes trennt. Welchen Werth hat aber, muß
man fragen, fo betrachtet, das Christenthum, wenn es, statt den Menschen Gott


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[0428] ihm der konkrete Inhalt des Christenthums zu sehr allgemeinen, unbestimmten und farblosen Umrissen. Ueberschwänglichkeit des Empfindungslebens verdeckt ihm das Unzureichende seines Standpunktes, den wir als den des sentimen¬ talen Rationalismus bezeichnen können. Sehen wir vou diesen: letzten Vortrage ab, der nicht auf kräftiger Ge¬ dankenarbeit ruht, so müssen wir es als einen Vorzug dieser Sammlung an¬ sehen, daß die in ihr verbundenen Aufsätze durch Gediegenheit, sowie durch Klarheit und Schönheit der Form sich auszeichnen. 3. Der Vortrag Henne's liefert den Beweis, daß die früher beliebte Art der Geschichtschreibung, welche die Entwickelung der Ereignisse im Lichte zufäl¬ liger persönlicher Sympathien und Antipathien beurtheilte, immer noch nicht ausgestorben ist. Diese Historiker dringen in den Kern der Sache, in die ob¬ jektiven Tendenzen des geschichtlichen Lebens nicht ein, ihre Mißstimmung über die inadäquate Form, welche den Ideen gegeben ist, über die bedenklichen Mittel, deren sich die Streitenden bedienen, über die UnWürdigkeit der einzelnen leitenden Persönlichkeiten macht sie unfähig, das wahrhaft Werthvolle, das Wesentliche, den inneren Gehalt der Entwickelung zu erkennen. Daß ein Mann, der, wie Hanne, zur Tübinger Schule gehört, eine andere Geschichtsbetrachtung sich nicht angeeignet hat, nimmt uns Wunder. Wir hätten gewünscht, daß der Verfasser vor der Ausarbeitung feines Vortrags die Darstellung der dogmati¬ schen Kämpfe des vierten Jahrhunderts in der Kirchengeschichte von F. Eh. Baur studirt hätte. Er würde da unter anderem Folgendes gelesen haben: „Der «manische Streit hat eine sehr tiefe Bedeutung, greift in das innerste Wesen des Christenthums ein, und man beurtheilt ihn nur sehr einseitig und äußerlich, wenn man meint, es habe sich in ihm nur um die Lehre!von der Gottheit des Sohnes gehandelt. Der Begriff, welchen beide Theile über die Gottheit des Sohnes aufstellten, war nur der in diese Form gefaßte Ausdruck ihrer Ansicht von dem Wesen und Charakter des Christenthums überhaupt. Die Hauptfrage war, ob das Christenthum die höchste absolute Offenbarung Gottes ist, und zwar eine solche, durch welche sich dem Menschen in dem Sohn Gottes das an sich seiende absolute Wesen Gottes ausschließt und so mittheilt, daß er durch den Sohn mit Gott wahrhaft Eins wird und in eine solche Wesensgemeinschaft mit ihm kommt, in welcher er seiner Begnadigung und Be¬ seligung auf absolute Weise gewiß sein kann.--Während also nach Athanasius das Christenthum die Religion der Einheit Gottes und des Meuscheu ist, kann nach Arius das Wesen der christlichen Offenbarung nur darin bestehen, daß der Mensch des Unterschieds sich bewußt wird, welcher ihn wie alles End¬ liche von dem absoluten Wesen Gottes trennt. Welchen Werth hat aber, muß man fragen, fo betrachtet, das Christenthum, wenn es, statt den Menschen Gott

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/428>, abgerufen am 22.07.2024.