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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Erlösung und Erlöser. Er sieht in Christus wohl die vorzügliche Erschei-
Nttug und Wirksamkeit des erlösenden Gvttesgeistes, zu der wir immer wieder
am liebsten ausschauen, aber genügt dies? Der christliche Glaube fordert, in
Christus die Erscheinung sittlicher Vollkommenheit, die sehllose Verwirklichung
des sittlichen Ideals zu sehen; nicht relative, sondern schlechthin in sich vollendete
Offenbarung des Guten ist ihm Christus. Diese beschränkende Werthschätzung
Christi scheint uns wesentlich dadurch bedingt zu sein, daß Pfleiderer überhaupt
die Erlösung in der Sphäre der Kenntniß sich vollziehen läßt. Das Bewußt¬
sein, daß Gott Vater ist, das besonders kräftig in Christus sich uns darstellt,
das aber auch nach seinem Vorbilde in uus sich erzeugen soll, das ist ihm die
erlösende und versöhnende Macht. Von diesem Gesichtspunkte aus ist aller¬
dings eine schlechthin sittliche Vollkommenheit Christi entbehrlich. Der speku¬
lative Nationalismus stimmt darin ganz mit seinem älteren Bruder überein,
daß wir in Christus das anschauliche Vorbild und Sinnbild dessen, was anch
von uus und an uns geschehen soll, zu erkennen haben, und daß dies Vor¬
bildliche in eiuer sittlich kräftigen religiöse" Erkenntniß zu suchen sei. Nicht
unerwähnt lassen können wir das wegwerfende Urtheil Pfleiderer's über die
evangelischen Wundererzählungen. Er vergleicht sie mit den buddhistischen und
kommt zu dem Resultat, daß die buddhistische Legende, "an Wunderlichkeit durch¬
schnittlich noch darüber hinausgehe" (S. 92). Den Vorwurf der Wunderlichkeit
Pflegen sonst auch die Bestreiter des geschichtlichen Charakters der evangelischen
Wunderberichte nicht gegen sie zu erhebe".

Ausgezeichnet ist der folgende Aufsatz Professor Beyschlag's in Halle:
Ueber die Sündlosigkeit und menschliche Entwickelung Jesu, der gerade das
Gegentheil dessen erhärtet, was die Ansicht Pfleiderer's ist. Während letzterer
sich mit einem Christus begnügen will, der nur eine vorzügliche Erscheinung
des erlösenden Gottesgeistes ist, erklärt Beyschlag: "Wer die Begriffe Gut und
Böse nicht für relative, fließende Unterschiede nimmt, sondern sür absolute
Gegensätze -- und jedes ernste, sittliche Denken wird und muß das thu", --
dem verschwindet doch jeder relative Unterschied des Besseren und schlimmeren
zuletzt gegen den absoluten von Sündig und Heilig, und so bliebe ein irgend¬
wie sündiger Jesus bei aller Sonnenhöhe, in der er über uns stünde, doch von
dem heiligen Gotte schließlich durch dieselbe Fixsternweite getrennt wie wir alle;
anstatt der zu sein, der den Abgrund zwische" uns und Gott überbrückte, der
Heiland, der Erlöser der Menschheit." (S. 113--114.)

Das Wesen des christlichen Glaubens bildet den Gegenstand des letzten
Vortrags. Sein Verfasser ist Professor Nippold i" Bern. Wir können uns
hier sehr kurz fassen. Nippold ist jeder begrifflichen Bestimmtheit in der
Sphäre des religiösen Denkens sehr abhold, in Folge dessen verflüchtigt sich


Erlösung und Erlöser. Er sieht in Christus wohl die vorzügliche Erschei-
Nttug und Wirksamkeit des erlösenden Gvttesgeistes, zu der wir immer wieder
am liebsten ausschauen, aber genügt dies? Der christliche Glaube fordert, in
Christus die Erscheinung sittlicher Vollkommenheit, die sehllose Verwirklichung
des sittlichen Ideals zu sehen; nicht relative, sondern schlechthin in sich vollendete
Offenbarung des Guten ist ihm Christus. Diese beschränkende Werthschätzung
Christi scheint uns wesentlich dadurch bedingt zu sein, daß Pfleiderer überhaupt
die Erlösung in der Sphäre der Kenntniß sich vollziehen läßt. Das Bewußt¬
sein, daß Gott Vater ist, das besonders kräftig in Christus sich uns darstellt,
das aber auch nach seinem Vorbilde in uus sich erzeugen soll, das ist ihm die
erlösende und versöhnende Macht. Von diesem Gesichtspunkte aus ist aller¬
dings eine schlechthin sittliche Vollkommenheit Christi entbehrlich. Der speku¬
lative Nationalismus stimmt darin ganz mit seinem älteren Bruder überein,
daß wir in Christus das anschauliche Vorbild und Sinnbild dessen, was anch
von uus und an uns geschehen soll, zu erkennen haben, und daß dies Vor¬
bildliche in eiuer sittlich kräftigen religiöse» Erkenntniß zu suchen sei. Nicht
unerwähnt lassen können wir das wegwerfende Urtheil Pfleiderer's über die
evangelischen Wundererzählungen. Er vergleicht sie mit den buddhistischen und
kommt zu dem Resultat, daß die buddhistische Legende, „an Wunderlichkeit durch¬
schnittlich noch darüber hinausgehe" (S. 92). Den Vorwurf der Wunderlichkeit
Pflegen sonst auch die Bestreiter des geschichtlichen Charakters der evangelischen
Wunderberichte nicht gegen sie zu erhebe».

Ausgezeichnet ist der folgende Aufsatz Professor Beyschlag's in Halle:
Ueber die Sündlosigkeit und menschliche Entwickelung Jesu, der gerade das
Gegentheil dessen erhärtet, was die Ansicht Pfleiderer's ist. Während letzterer
sich mit einem Christus begnügen will, der nur eine vorzügliche Erscheinung
des erlösenden Gottesgeistes ist, erklärt Beyschlag: „Wer die Begriffe Gut und
Böse nicht für relative, fließende Unterschiede nimmt, sondern sür absolute
Gegensätze — und jedes ernste, sittliche Denken wird und muß das thu», —
dem verschwindet doch jeder relative Unterschied des Besseren und schlimmeren
zuletzt gegen den absoluten von Sündig und Heilig, und so bliebe ein irgend¬
wie sündiger Jesus bei aller Sonnenhöhe, in der er über uns stünde, doch von
dem heiligen Gotte schließlich durch dieselbe Fixsternweite getrennt wie wir alle;
anstatt der zu sein, der den Abgrund zwische» uns und Gott überbrückte, der
Heiland, der Erlöser der Menschheit." (S. 113—114.)

Das Wesen des christlichen Glaubens bildet den Gegenstand des letzten
Vortrags. Sein Verfasser ist Professor Nippold i» Bern. Wir können uns
hier sehr kurz fassen. Nippold ist jeder begrifflichen Bestimmtheit in der
Sphäre des religiösen Denkens sehr abhold, in Folge dessen verflüchtigt sich


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[0427] Erlösung und Erlöser. Er sieht in Christus wohl die vorzügliche Erschei- Nttug und Wirksamkeit des erlösenden Gvttesgeistes, zu der wir immer wieder am liebsten ausschauen, aber genügt dies? Der christliche Glaube fordert, in Christus die Erscheinung sittlicher Vollkommenheit, die sehllose Verwirklichung des sittlichen Ideals zu sehen; nicht relative, sondern schlechthin in sich vollendete Offenbarung des Guten ist ihm Christus. Diese beschränkende Werthschätzung Christi scheint uns wesentlich dadurch bedingt zu sein, daß Pfleiderer überhaupt die Erlösung in der Sphäre der Kenntniß sich vollziehen läßt. Das Bewußt¬ sein, daß Gott Vater ist, das besonders kräftig in Christus sich uns darstellt, das aber auch nach seinem Vorbilde in uus sich erzeugen soll, das ist ihm die erlösende und versöhnende Macht. Von diesem Gesichtspunkte aus ist aller¬ dings eine schlechthin sittliche Vollkommenheit Christi entbehrlich. Der speku¬ lative Nationalismus stimmt darin ganz mit seinem älteren Bruder überein, daß wir in Christus das anschauliche Vorbild und Sinnbild dessen, was anch von uus und an uns geschehen soll, zu erkennen haben, und daß dies Vor¬ bildliche in eiuer sittlich kräftigen religiöse» Erkenntniß zu suchen sei. Nicht unerwähnt lassen können wir das wegwerfende Urtheil Pfleiderer's über die evangelischen Wundererzählungen. Er vergleicht sie mit den buddhistischen und kommt zu dem Resultat, daß die buddhistische Legende, „an Wunderlichkeit durch¬ schnittlich noch darüber hinausgehe" (S. 92). Den Vorwurf der Wunderlichkeit Pflegen sonst auch die Bestreiter des geschichtlichen Charakters der evangelischen Wunderberichte nicht gegen sie zu erhebe». Ausgezeichnet ist der folgende Aufsatz Professor Beyschlag's in Halle: Ueber die Sündlosigkeit und menschliche Entwickelung Jesu, der gerade das Gegentheil dessen erhärtet, was die Ansicht Pfleiderer's ist. Während letzterer sich mit einem Christus begnügen will, der nur eine vorzügliche Erscheinung des erlösenden Gottesgeistes ist, erklärt Beyschlag: „Wer die Begriffe Gut und Böse nicht für relative, fließende Unterschiede nimmt, sondern sür absolute Gegensätze — und jedes ernste, sittliche Denken wird und muß das thu», — dem verschwindet doch jeder relative Unterschied des Besseren und schlimmeren zuletzt gegen den absoluten von Sündig und Heilig, und so bliebe ein irgend¬ wie sündiger Jesus bei aller Sonnenhöhe, in der er über uns stünde, doch von dem heiligen Gotte schließlich durch dieselbe Fixsternweite getrennt wie wir alle; anstatt der zu sein, der den Abgrund zwische» uns und Gott überbrückte, der Heiland, der Erlöser der Menschheit." (S. 113—114.) Das Wesen des christlichen Glaubens bildet den Gegenstand des letzten Vortrags. Sein Verfasser ist Professor Nippold i» Bern. Wir können uns hier sehr kurz fassen. Nippold ist jeder begrifflichen Bestimmtheit in der Sphäre des religiösen Denkens sehr abhold, in Folge dessen verflüchtigt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/427>, abgerufen am 22.07.2024.