Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staaten, daß die Jnaugnrirnng einer reaktionären Politik im Reich lediglich in
dem Wünschen und Hoffen der "der freisinnigen Richtung feindlich gegenüber
stehenden Parteien" zu finden sei. Vor Allen: aber läßt sie die nationale Gesin¬
nung der badischen Regierung im hellsten Lichte erscheinen.

Die Ansicht der Regierung, daß zunächst der Versuch eiuer Verständigung
mit dem bisherigen Reichstag über Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozial¬
demokratin' zu erneuern und erst nach dem Scheitern eines solchen Versuchs zur
Auflösung zu schreiten gewesen sei, steht bekanntlich in vollem Einklang mit der
in national-liberalen Kreisen weitest verbreiteten Auffassung. Speziell in
Baden kam national-liberalerseits der Auslosung so gut wie keine Sympathie
entgegen. Die Ablehnung der Sozialistennovelle achtete man allseits für voll¬
ständig motivirt. "Ein auf gleicher Grundlage ruhender Gesetzentwurf" dagegen,
welcher die zu treffenden sozialistischen Ziele scharf und bestimmt bezeichnet und
dabei einen rasch und sicher arbeitenden Apparat behufs Beseitigung dieser
"Ziele" zur Verfügung gestellt hätte, wäre willkommen gewesen, und man hielt
sich überzeugt, daß ihm in dem jetzt aufgelösten Reichstag ein besseres Schicksal
zu Theil geworden wäre, als die Sozinlistennovelle es zu erfahren hatte.
Solche rückwärts schauende Betrachtung mag jetzt freilich nicht mehr viel nützen,
und die Tagespresse hat auch so ziemlich von ihr abstrahirt. Aber das konnte
nud kann nicht hindern, daß ein Gefühl lebhafter Befriedigung durch das Land
ging, als kund wurde, daß die Regierung dieselbe Auffassung der Lage
theilte. Das in so sorgenschwerer Zeit erneute Bekenntniß der badischen
Regierung zu den Prinzipien der bis dahin befolgten freisinnigen
Politik ist uus die werthvollste Kundgebung unter den mehreren, welche,
seit das Ministerium Turban an die Spitze der Geschäfte getreten ist,
nach dieser Richtung hin ergangen sind. Sie bezeugt den festen Willensentschlnß,
die Fahne freisinniger Politik auch ferner hoch zu halten. Auch im Reich werde
die reaktionäre Aera nicht anbrechen. Befürchtungen in dieser Hinsicht bestehen.
Insbesondere beunruhigt daß, wie die "Neue Frankfurter Presse" kürzlich
bemerkte, klare, fest ausgesprochene Ziele der Reichsregierung betreffs der innern
Politik -- mir denken vor Allem an die Frage der Steuerreform -- dem
größeren Publikum absolut unbekannt sind. Zweifellos sind die Partikular-
regierungen betreffs dieses Punktes soweit orientirt, daß auch in Bezug hierauf
die badische Regierung sich mit gutem Gewissen versichert halten kann, die
Hoffnung der reaktionären Richtung aus Anbrechen ihrer Aera sei unbegründet.
Hierbei möchte freilich sorgsam in: Auge zu behalte" sein, daß wohl auch der
scharfsinnigste Politiker kaum mit Bestimmtheit zu ermessen vermag, welche
einzelne Konsequenzen sich bezüglich der Reichspolitik aus der Reichstagsauf-
lvsnng und den Neuwahlen ergeben. Konservativerseits ist man höchst nnge-


Grcnzboten III. 1878. 5

Staaten, daß die Jnaugnrirnng einer reaktionären Politik im Reich lediglich in
dem Wünschen und Hoffen der „der freisinnigen Richtung feindlich gegenüber
stehenden Parteien" zu finden sei. Vor Allen: aber läßt sie die nationale Gesin¬
nung der badischen Regierung im hellsten Lichte erscheinen.

Die Ansicht der Regierung, daß zunächst der Versuch eiuer Verständigung
mit dem bisherigen Reichstag über Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozial¬
demokratin' zu erneuern und erst nach dem Scheitern eines solchen Versuchs zur
Auflösung zu schreiten gewesen sei, steht bekanntlich in vollem Einklang mit der
in national-liberalen Kreisen weitest verbreiteten Auffassung. Speziell in
Baden kam national-liberalerseits der Auslosung so gut wie keine Sympathie
entgegen. Die Ablehnung der Sozialistennovelle achtete man allseits für voll¬
ständig motivirt. „Ein auf gleicher Grundlage ruhender Gesetzentwurf" dagegen,
welcher die zu treffenden sozialistischen Ziele scharf und bestimmt bezeichnet und
dabei einen rasch und sicher arbeitenden Apparat behufs Beseitigung dieser
„Ziele" zur Verfügung gestellt hätte, wäre willkommen gewesen, und man hielt
sich überzeugt, daß ihm in dem jetzt aufgelösten Reichstag ein besseres Schicksal
zu Theil geworden wäre, als die Sozinlistennovelle es zu erfahren hatte.
Solche rückwärts schauende Betrachtung mag jetzt freilich nicht mehr viel nützen,
und die Tagespresse hat auch so ziemlich von ihr abstrahirt. Aber das konnte
nud kann nicht hindern, daß ein Gefühl lebhafter Befriedigung durch das Land
ging, als kund wurde, daß die Regierung dieselbe Auffassung der Lage
theilte. Das in so sorgenschwerer Zeit erneute Bekenntniß der badischen
Regierung zu den Prinzipien der bis dahin befolgten freisinnigen
Politik ist uus die werthvollste Kundgebung unter den mehreren, welche,
seit das Ministerium Turban an die Spitze der Geschäfte getreten ist,
nach dieser Richtung hin ergangen sind. Sie bezeugt den festen Willensentschlnß,
die Fahne freisinniger Politik auch ferner hoch zu halten. Auch im Reich werde
die reaktionäre Aera nicht anbrechen. Befürchtungen in dieser Hinsicht bestehen.
Insbesondere beunruhigt daß, wie die „Neue Frankfurter Presse" kürzlich
bemerkte, klare, fest ausgesprochene Ziele der Reichsregierung betreffs der innern
Politik — mir denken vor Allem an die Frage der Steuerreform — dem
größeren Publikum absolut unbekannt sind. Zweifellos sind die Partikular-
regierungen betreffs dieses Punktes soweit orientirt, daß auch in Bezug hierauf
die badische Regierung sich mit gutem Gewissen versichert halten kann, die
Hoffnung der reaktionären Richtung aus Anbrechen ihrer Aera sei unbegründet.
Hierbei möchte freilich sorgsam in: Auge zu behalte« sein, daß wohl auch der
scharfsinnigste Politiker kaum mit Bestimmtheit zu ermessen vermag, welche
einzelne Konsequenzen sich bezüglich der Reichspolitik aus der Reichstagsauf-
lvsnng und den Neuwahlen ergeben. Konservativerseits ist man höchst nnge-


Grcnzboten III. 1878. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140392"/>
          <p xml:id="ID_108" prev="#ID_107"> Staaten, daß die Jnaugnrirnng einer reaktionären Politik im Reich lediglich in<lb/>
dem Wünschen und Hoffen der &#x201E;der freisinnigen Richtung feindlich gegenüber<lb/>
stehenden Parteien" zu finden sei. Vor Allen: aber läßt sie die nationale Gesin¬<lb/>
nung der badischen Regierung im hellsten Lichte erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_109" next="#ID_110"> Die Ansicht der Regierung, daß zunächst der Versuch eiuer Verständigung<lb/>
mit dem bisherigen Reichstag über Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozial¬<lb/>
demokratin' zu erneuern und erst nach dem Scheitern eines solchen Versuchs zur<lb/>
Auflösung zu schreiten gewesen sei, steht bekanntlich in vollem Einklang mit der<lb/>
in national-liberalen Kreisen weitest verbreiteten Auffassung. Speziell in<lb/>
Baden kam national-liberalerseits der Auslosung so gut wie keine Sympathie<lb/>
entgegen. Die Ablehnung der Sozialistennovelle achtete man allseits für voll¬<lb/>
ständig motivirt. &#x201E;Ein auf gleicher Grundlage ruhender Gesetzentwurf" dagegen,<lb/>
welcher die zu treffenden sozialistischen Ziele scharf und bestimmt bezeichnet und<lb/>
dabei einen rasch und sicher arbeitenden Apparat behufs Beseitigung dieser<lb/>
&#x201E;Ziele" zur Verfügung gestellt hätte, wäre willkommen gewesen, und man hielt<lb/>
sich überzeugt, daß ihm in dem jetzt aufgelösten Reichstag ein besseres Schicksal<lb/>
zu Theil geworden wäre, als die Sozinlistennovelle es zu erfahren hatte.<lb/>
Solche rückwärts schauende Betrachtung mag jetzt freilich nicht mehr viel nützen,<lb/>
und die Tagespresse hat auch so ziemlich von ihr abstrahirt. Aber das konnte<lb/>
nud kann nicht hindern, daß ein Gefühl lebhafter Befriedigung durch das Land<lb/>
ging, als kund wurde, daß die Regierung dieselbe Auffassung der Lage<lb/>
theilte. Das in so sorgenschwerer Zeit erneute Bekenntniß der badischen<lb/>
Regierung zu den Prinzipien der bis dahin befolgten freisinnigen<lb/>
Politik ist uus die werthvollste Kundgebung unter den mehreren, welche,<lb/>
seit das Ministerium Turban an die Spitze der Geschäfte getreten ist,<lb/>
nach dieser Richtung hin ergangen sind. Sie bezeugt den festen Willensentschlnß,<lb/>
die Fahne freisinniger Politik auch ferner hoch zu halten. Auch im Reich werde<lb/>
die reaktionäre Aera nicht anbrechen. Befürchtungen in dieser Hinsicht bestehen.<lb/>
Insbesondere beunruhigt daß, wie die &#x201E;Neue Frankfurter Presse" kürzlich<lb/>
bemerkte, klare, fest ausgesprochene Ziele der Reichsregierung betreffs der innern<lb/>
Politik &#x2014; mir denken vor Allem an die Frage der Steuerreform &#x2014; dem<lb/>
größeren Publikum absolut unbekannt sind. Zweifellos sind die Partikular-<lb/>
regierungen betreffs dieses Punktes soweit orientirt, daß auch in Bezug hierauf<lb/>
die badische Regierung sich mit gutem Gewissen versichert halten kann, die<lb/>
Hoffnung der reaktionären Richtung aus Anbrechen ihrer Aera sei unbegründet.<lb/>
Hierbei möchte freilich sorgsam in: Auge zu behalte« sein, daß wohl auch der<lb/>
scharfsinnigste Politiker kaum mit Bestimmtheit zu ermessen vermag, welche<lb/>
einzelne Konsequenzen sich bezüglich der Reichspolitik aus der Reichstagsauf-<lb/>
lvsnng und den Neuwahlen ergeben. Konservativerseits ist man höchst nnge-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzboten III. 1878. 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Staaten, daß die Jnaugnrirnng einer reaktionären Politik im Reich lediglich in dem Wünschen und Hoffen der „der freisinnigen Richtung feindlich gegenüber stehenden Parteien" zu finden sei. Vor Allen: aber läßt sie die nationale Gesin¬ nung der badischen Regierung im hellsten Lichte erscheinen. Die Ansicht der Regierung, daß zunächst der Versuch eiuer Verständigung mit dem bisherigen Reichstag über Maßnahmen zur Bekämpfung der Sozial¬ demokratin' zu erneuern und erst nach dem Scheitern eines solchen Versuchs zur Auflösung zu schreiten gewesen sei, steht bekanntlich in vollem Einklang mit der in national-liberalen Kreisen weitest verbreiteten Auffassung. Speziell in Baden kam national-liberalerseits der Auslosung so gut wie keine Sympathie entgegen. Die Ablehnung der Sozialistennovelle achtete man allseits für voll¬ ständig motivirt. „Ein auf gleicher Grundlage ruhender Gesetzentwurf" dagegen, welcher die zu treffenden sozialistischen Ziele scharf und bestimmt bezeichnet und dabei einen rasch und sicher arbeitenden Apparat behufs Beseitigung dieser „Ziele" zur Verfügung gestellt hätte, wäre willkommen gewesen, und man hielt sich überzeugt, daß ihm in dem jetzt aufgelösten Reichstag ein besseres Schicksal zu Theil geworden wäre, als die Sozinlistennovelle es zu erfahren hatte. Solche rückwärts schauende Betrachtung mag jetzt freilich nicht mehr viel nützen, und die Tagespresse hat auch so ziemlich von ihr abstrahirt. Aber das konnte nud kann nicht hindern, daß ein Gefühl lebhafter Befriedigung durch das Land ging, als kund wurde, daß die Regierung dieselbe Auffassung der Lage theilte. Das in so sorgenschwerer Zeit erneute Bekenntniß der badischen Regierung zu den Prinzipien der bis dahin befolgten freisinnigen Politik ist uus die werthvollste Kundgebung unter den mehreren, welche, seit das Ministerium Turban an die Spitze der Geschäfte getreten ist, nach dieser Richtung hin ergangen sind. Sie bezeugt den festen Willensentschlnß, die Fahne freisinniger Politik auch ferner hoch zu halten. Auch im Reich werde die reaktionäre Aera nicht anbrechen. Befürchtungen in dieser Hinsicht bestehen. Insbesondere beunruhigt daß, wie die „Neue Frankfurter Presse" kürzlich bemerkte, klare, fest ausgesprochene Ziele der Reichsregierung betreffs der innern Politik — mir denken vor Allem an die Frage der Steuerreform — dem größeren Publikum absolut unbekannt sind. Zweifellos sind die Partikular- regierungen betreffs dieses Punktes soweit orientirt, daß auch in Bezug hierauf die badische Regierung sich mit gutem Gewissen versichert halten kann, die Hoffnung der reaktionären Richtung aus Anbrechen ihrer Aera sei unbegründet. Hierbei möchte freilich sorgsam in: Auge zu behalte« sein, daß wohl auch der scharfsinnigste Politiker kaum mit Bestimmtheit zu ermessen vermag, welche einzelne Konsequenzen sich bezüglich der Reichspolitik aus der Reichstagsauf- lvsnng und den Neuwahlen ergeben. Konservativerseits ist man höchst nnge- Grcnzboten III. 1878. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/41>, abgerufen am 22.07.2024.