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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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lieben Gedankengang scheint Herr v. Marschall angestellt zu haben, als er sich
nach Bruchsal ausmachte, um vor Herrn Lender die Aufnahmeprüfung zu be¬
stehen. Er bestand sie 3umwa ouni Imräs, wurde rezipirt, und dieselbe Partei,
welche noch am 5. Juli ihre Angehörigen ernstlich vor Kandidaten gewarnt
hatte, die einem Ausnahmegesetze ihre Zustimmung geben würden, empfahl am
20. Juli denselben Wählern Herrn v. Marschall, also einen Mann, der von
vornherein die Absicht kundgegeben hatte, der Reichsregierung in Betreff dieses
Punktes zu Willen zu sein." So die "Bad. Korresp." Herr v. Marschall
ist am vorläufigen Ziel seiner Wünsche angelangt. Vielleicht bringt er es auch
fertig, auf seinem lediglich mit Hilfe der Ultramontanen gewonnenen Reichs¬
tagssitz auszuharren, ohne die Nadelstiche zu fühlen, die einem nicht gleich fein-
geschulten Politiker auf solchem Sitz sich mit brennendem Schmerze in's Fleisch
bohren würden. Im 4. und 13. Wahlkreise hat das ultramontau-konservative
Bündniß, im ersteren Kreise durch den bisherigen ultramontanen Zählkandidaten
"mit gutem Gewissen" empfohlen, nicht die gleichen Früchte getragen, insofern
diese beiden Wahlkreise an ihren bisherigen national-liberalen Vertretern fest¬
hielten und so die betreffenden deutsch-konservativen Freiherren ähnlichen Ver¬
legenheiten, wie sie Herrn v. Marschall sich bieten werden, enthoben haben.
Im 1. Wahlkreise Konstanz) wurde die Unterstützung der Kandidatur des
Prinzen Wilhelm ultramontaner Seits nicht anbefohlen, aber offiziös gewährt,
mit dein Erfolg, daß der bisherige national-liberale Abgeordnete Heilig bei der
Stichwahl mit einem Mehr von 655 Stimmen siegte. Ein noch in zwei Wahl¬
kreisen aufgestellter deutsch-konservativer "Zählkandidat" erhielt verhältnißmäßig
wenige Stimmen. Die deutsch-konservativen Lorbeeren wurden spärlich gepflückt,
und die darin sitzenden Stacheln geben ihnen ein recht häßliches Ansehen.

Eine spezielle Erwähnung erheischen noch die Wahlen im 5. und I I.
Wahlkreise. Die beideu Sitze gingen der national-liberalen Partei verloren,
der erstere Wahlkreis (Freiburg) entsendet einen Ultramontanen, der zweite
(Mannheim) einen Demokraten. Bei dem Ausblick auf die Wahlen nannten
wir Freiburg ein national-liberales Sorgenkind/') jetzt ist es wohl auf lauge
hinaus ein betrauertes Schmerzenskind. Mit bedeutendem Mehr (9895 gegen
6893) siegte der ultramontane v. Wärter gegen den national-liberalen von
Bodmann, in einem Wahlkreise, der das vorigemal bei der, nachträglich aller¬
dings für ungiltig erklärten Stichwahl einen National-Liberalen erkoren hatte.
Es möge hier unerörtert bleiben, wo die Grüude dieses auffälligen Rückganges
zu suchen siud, ob in kleinlichen Parteieifersüchteleien unter den Liberalen der
Stadt Freiburg oder, wie mehrfach behauptet wird, in dem Umstände, daß die



Grenzboten 1873 Ur, 27.

lieben Gedankengang scheint Herr v. Marschall angestellt zu haben, als er sich
nach Bruchsal ausmachte, um vor Herrn Lender die Aufnahmeprüfung zu be¬
stehen. Er bestand sie 3umwa ouni Imräs, wurde rezipirt, und dieselbe Partei,
welche noch am 5. Juli ihre Angehörigen ernstlich vor Kandidaten gewarnt
hatte, die einem Ausnahmegesetze ihre Zustimmung geben würden, empfahl am
20. Juli denselben Wählern Herrn v. Marschall, also einen Mann, der von
vornherein die Absicht kundgegeben hatte, der Reichsregierung in Betreff dieses
Punktes zu Willen zu sein." So die „Bad. Korresp." Herr v. Marschall
ist am vorläufigen Ziel seiner Wünsche angelangt. Vielleicht bringt er es auch
fertig, auf seinem lediglich mit Hilfe der Ultramontanen gewonnenen Reichs¬
tagssitz auszuharren, ohne die Nadelstiche zu fühlen, die einem nicht gleich fein-
geschulten Politiker auf solchem Sitz sich mit brennendem Schmerze in's Fleisch
bohren würden. Im 4. und 13. Wahlkreise hat das ultramontau-konservative
Bündniß, im ersteren Kreise durch den bisherigen ultramontanen Zählkandidaten
„mit gutem Gewissen" empfohlen, nicht die gleichen Früchte getragen, insofern
diese beiden Wahlkreise an ihren bisherigen national-liberalen Vertretern fest¬
hielten und so die betreffenden deutsch-konservativen Freiherren ähnlichen Ver¬
legenheiten, wie sie Herrn v. Marschall sich bieten werden, enthoben haben.
Im 1. Wahlkreise Konstanz) wurde die Unterstützung der Kandidatur des
Prinzen Wilhelm ultramontaner Seits nicht anbefohlen, aber offiziös gewährt,
mit dein Erfolg, daß der bisherige national-liberale Abgeordnete Heilig bei der
Stichwahl mit einem Mehr von 655 Stimmen siegte. Ein noch in zwei Wahl¬
kreisen aufgestellter deutsch-konservativer „Zählkandidat" erhielt verhältnißmäßig
wenige Stimmen. Die deutsch-konservativen Lorbeeren wurden spärlich gepflückt,
und die darin sitzenden Stacheln geben ihnen ein recht häßliches Ansehen.

Eine spezielle Erwähnung erheischen noch die Wahlen im 5. und I I.
Wahlkreise. Die beideu Sitze gingen der national-liberalen Partei verloren,
der erstere Wahlkreis (Freiburg) entsendet einen Ultramontanen, der zweite
(Mannheim) einen Demokraten. Bei dem Ausblick auf die Wahlen nannten
wir Freiburg ein national-liberales Sorgenkind/') jetzt ist es wohl auf lauge
hinaus ein betrauertes Schmerzenskind. Mit bedeutendem Mehr (9895 gegen
6893) siegte der ultramontane v. Wärter gegen den national-liberalen von
Bodmann, in einem Wahlkreise, der das vorigemal bei der, nachträglich aller¬
dings für ungiltig erklärten Stichwahl einen National-Liberalen erkoren hatte.
Es möge hier unerörtert bleiben, wo die Grüude dieses auffälligen Rückganges
zu suchen siud, ob in kleinlichen Parteieifersüchteleien unter den Liberalen der
Stadt Freiburg oder, wie mehrfach behauptet wird, in dem Umstände, daß die



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[0404] lieben Gedankengang scheint Herr v. Marschall angestellt zu haben, als er sich nach Bruchsal ausmachte, um vor Herrn Lender die Aufnahmeprüfung zu be¬ stehen. Er bestand sie 3umwa ouni Imräs, wurde rezipirt, und dieselbe Partei, welche noch am 5. Juli ihre Angehörigen ernstlich vor Kandidaten gewarnt hatte, die einem Ausnahmegesetze ihre Zustimmung geben würden, empfahl am 20. Juli denselben Wählern Herrn v. Marschall, also einen Mann, der von vornherein die Absicht kundgegeben hatte, der Reichsregierung in Betreff dieses Punktes zu Willen zu sein." So die „Bad. Korresp." Herr v. Marschall ist am vorläufigen Ziel seiner Wünsche angelangt. Vielleicht bringt er es auch fertig, auf seinem lediglich mit Hilfe der Ultramontanen gewonnenen Reichs¬ tagssitz auszuharren, ohne die Nadelstiche zu fühlen, die einem nicht gleich fein- geschulten Politiker auf solchem Sitz sich mit brennendem Schmerze in's Fleisch bohren würden. Im 4. und 13. Wahlkreise hat das ultramontau-konservative Bündniß, im ersteren Kreise durch den bisherigen ultramontanen Zählkandidaten „mit gutem Gewissen" empfohlen, nicht die gleichen Früchte getragen, insofern diese beiden Wahlkreise an ihren bisherigen national-liberalen Vertretern fest¬ hielten und so die betreffenden deutsch-konservativen Freiherren ähnlichen Ver¬ legenheiten, wie sie Herrn v. Marschall sich bieten werden, enthoben haben. Im 1. Wahlkreise Konstanz) wurde die Unterstützung der Kandidatur des Prinzen Wilhelm ultramontaner Seits nicht anbefohlen, aber offiziös gewährt, mit dein Erfolg, daß der bisherige national-liberale Abgeordnete Heilig bei der Stichwahl mit einem Mehr von 655 Stimmen siegte. Ein noch in zwei Wahl¬ kreisen aufgestellter deutsch-konservativer „Zählkandidat" erhielt verhältnißmäßig wenige Stimmen. Die deutsch-konservativen Lorbeeren wurden spärlich gepflückt, und die darin sitzenden Stacheln geben ihnen ein recht häßliches Ansehen. Eine spezielle Erwähnung erheischen noch die Wahlen im 5. und I I. Wahlkreise. Die beideu Sitze gingen der national-liberalen Partei verloren, der erstere Wahlkreis (Freiburg) entsendet einen Ultramontanen, der zweite (Mannheim) einen Demokraten. Bei dem Ausblick auf die Wahlen nannten wir Freiburg ein national-liberales Sorgenkind/') jetzt ist es wohl auf lauge hinaus ein betrauertes Schmerzenskind. Mit bedeutendem Mehr (9895 gegen 6893) siegte der ultramontane v. Wärter gegen den national-liberalen von Bodmann, in einem Wahlkreise, der das vorigemal bei der, nachträglich aller¬ dings für ungiltig erklärten Stichwahl einen National-Liberalen erkoren hatte. Es möge hier unerörtert bleiben, wo die Grüude dieses auffälligen Rückganges zu suchen siud, ob in kleinlichen Parteieifersüchteleien unter den Liberalen der Stadt Freiburg oder, wie mehrfach behauptet wird, in dem Umstände, daß die Grenzboten 1873 Ur, 27.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/404>, abgerufen am 22.07.2024.