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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Volksfreiheit, ein Bischen "gesunde Reaktion" angezeigt? So wogte es hin und
her in dem tief erregten Volksgemüthe. Klug waren die Führer der deutsch-kon¬
servativen Bewegung bemüht, diese Stimmung für ihre Zwecke zu benutzen,
indem sie dieselbe planmäßig und raffinirt zum lichten Haß gegen den Libera¬
lismus zu steigern suchten.*) "Wir stehen -- so proklamirte ihr Wahlaufruf --
jetzt vor einem Wendepunkt, welcher für unsere Zukunft, für das Wohl und
Wehe des deutschen Volkes entscheidend sein wird." Dieser Wendepunkt sollte
im Sinne des deutsch-konservativen Programms herbeigeführt werden. Daß
die Reichsregierung mit diesem Programm völlig einig sei, wurde unablässig
versichert, und zum Beweise dafür mußte der "deutsch-konservative" Graf Moltke
fast in jeder Nummer der "Bad. Landpost" aufmarschiren. Auch nach Stützen
in den höchsten Regionen unseres Landes sah man sich um, leider nicht ver¬
geblich. Prinz Wilhelm, der Bruder unseres Großherzogs, der Vertreter des
Wahlkreises Karlsruhe in dem vorletzten Reichstage und als solcher zur deut¬
schen Reichspartei zählend, wurde für die deutsch-konservative Kandidatur im
I. Wahlkreise (Konstanz) gewonnen. Prinz Wilhelm hatte seiner Zeit im Kampfe
gegen das Konkordat sich Verdienste erworben und war auch später uoch als
Vorkämpfer des nationalen und liberalen Gedankens thätig gewesen. Seine
aktive Theilnahme an dem Feldzuge der Jahre 1870 und 1871 hatte ihn in
weiten Volkskreisen populär gemacht. Es hat peinlich, berührt ein Mitglied
unseres großherzoglichen Hauses und gerade dieses Mitglied ans dem nicht
durchweg reinlichen Boden des deutsch-konservativen Parteiprogramms Posto
fassen zu sehen, um so mehr, als allbekannt war, daß die Ausstellung dieser
Kandidatur nicht lediglich politischen Motiven entstammte, sondern zum Theil
recht kleinlichen Konstanzer städtischen Nörgeleien. Der Schein der Regierungs¬
freundlichkeit (in Bezug auf die Landesregierung), der Uebereinstimmung mit
den Intentionen unseres Fürstenhauses konnte mit der prinzlichen Kandidatur
nicht erlangt werden. Die "Karlsr. Zeit." säumte nicht, es für "ebenso unzu¬
lässig als unbegründet" zu erklären, die Aufstellung der besagten Kandidatur
in eine Verbindung mit der Person des Landesherrn zu bringen. "Es ist un¬
zulässig, die über den Parteien stehende und allen Landesangehörigen mit gleicher
Fürsorge zugewandte Person des Landesherrn in den Parteikampf herabzu¬
ziehen und für eine bestimmte Partei in Anspruch nehmen. Und es ist unde-



*) Im Wahlkreise Karlsruhe-Vruchsal wurde wenige Tage vor der Stichwahl von dem
deutsch-konservativen Ausschüsse als Beilage zu einem gedruckten, "ganz vertraulichen" An¬
schreiben an die konservativen Vertrauensmänner nnter anderem ein rother Streifen ver¬
sendet, welcher die Aufschrift "Gelogen!" trug. Derselbe sollte über ein von liberaler Seite
ausgegebenes weißes Plakat geklebt werden, könne aber anch -- so lautete wörtlich die In¬
struktion -- "bei sonstigen liberalen Plataeer getrost angewendet werden". Getrost! Welches
Gewissen!

Volksfreiheit, ein Bischen „gesunde Reaktion" angezeigt? So wogte es hin und
her in dem tief erregten Volksgemüthe. Klug waren die Führer der deutsch-kon¬
servativen Bewegung bemüht, diese Stimmung für ihre Zwecke zu benutzen,
indem sie dieselbe planmäßig und raffinirt zum lichten Haß gegen den Libera¬
lismus zu steigern suchten.*) „Wir stehen — so proklamirte ihr Wahlaufruf —
jetzt vor einem Wendepunkt, welcher für unsere Zukunft, für das Wohl und
Wehe des deutschen Volkes entscheidend sein wird." Dieser Wendepunkt sollte
im Sinne des deutsch-konservativen Programms herbeigeführt werden. Daß
die Reichsregierung mit diesem Programm völlig einig sei, wurde unablässig
versichert, und zum Beweise dafür mußte der „deutsch-konservative" Graf Moltke
fast in jeder Nummer der „Bad. Landpost" aufmarschiren. Auch nach Stützen
in den höchsten Regionen unseres Landes sah man sich um, leider nicht ver¬
geblich. Prinz Wilhelm, der Bruder unseres Großherzogs, der Vertreter des
Wahlkreises Karlsruhe in dem vorletzten Reichstage und als solcher zur deut¬
schen Reichspartei zählend, wurde für die deutsch-konservative Kandidatur im
I. Wahlkreise (Konstanz) gewonnen. Prinz Wilhelm hatte seiner Zeit im Kampfe
gegen das Konkordat sich Verdienste erworben und war auch später uoch als
Vorkämpfer des nationalen und liberalen Gedankens thätig gewesen. Seine
aktive Theilnahme an dem Feldzuge der Jahre 1870 und 1871 hatte ihn in
weiten Volkskreisen populär gemacht. Es hat peinlich, berührt ein Mitglied
unseres großherzoglichen Hauses und gerade dieses Mitglied ans dem nicht
durchweg reinlichen Boden des deutsch-konservativen Parteiprogramms Posto
fassen zu sehen, um so mehr, als allbekannt war, daß die Ausstellung dieser
Kandidatur nicht lediglich politischen Motiven entstammte, sondern zum Theil
recht kleinlichen Konstanzer städtischen Nörgeleien. Der Schein der Regierungs¬
freundlichkeit (in Bezug auf die Landesregierung), der Uebereinstimmung mit
den Intentionen unseres Fürstenhauses konnte mit der prinzlichen Kandidatur
nicht erlangt werden. Die „Karlsr. Zeit." säumte nicht, es für „ebenso unzu¬
lässig als unbegründet" zu erklären, die Aufstellung der besagten Kandidatur
in eine Verbindung mit der Person des Landesherrn zu bringen. „Es ist un¬
zulässig, die über den Parteien stehende und allen Landesangehörigen mit gleicher
Fürsorge zugewandte Person des Landesherrn in den Parteikampf herabzu¬
ziehen und für eine bestimmte Partei in Anspruch nehmen. Und es ist unde-



*) Im Wahlkreise Karlsruhe-Vruchsal wurde wenige Tage vor der Stichwahl von dem
deutsch-konservativen Ausschüsse als Beilage zu einem gedruckten, „ganz vertraulichen" An¬
schreiben an die konservativen Vertrauensmänner nnter anderem ein rother Streifen ver¬
sendet, welcher die Aufschrift „Gelogen!" trug. Derselbe sollte über ein von liberaler Seite
ausgegebenes weißes Plakat geklebt werden, könne aber anch — so lautete wörtlich die In¬
struktion — „bei sonstigen liberalen Plataeer getrost angewendet werden". Getrost! Welches
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/402>, abgerufen am 22.07.2024.