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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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davon geben schon die wenigen zu Anfang erwähnten, die längst auch in
Deutschland volksthümlich geworden sind, hinlängliches Zeugniß. Von der
irischen Melodie "^iloon ^room^ oder, wie sie nach dem bekannten schottischen
Texte gewöhnlich zitirt wird, "Uodin, ^äair", soll Händel gesagt haben, daß
er für den Ruhm, sie geschaffen zu haben, gern die größte seiner Kompositionen
hingeben würde. Und in der That kann man sagen: Wenn manches von diesen
Liedern heute Robert Franz oder Johannes Brahms als seine Komposition
in die Welt schickte, so würden ihre Verehrer in Helles Entzücken gerathen und
um die Wette rufen: "Das kann doch heutzutage niemand außer ihm!" Und
hier liegen diese Perlen unter schlichten, altenglischenVolksliedern versteckt! Sollte
nicht für unsre auf dem Gebiete des Liedes so greisenhaft ersindnngsarme Zeit
aus diesen Volksliedern eine Jnngbrnnnen quellen können?

Ueber die Klavierbegleitung, mit der die obengenannten Mitarbeiter des
Herausgebers die Lieder versehen haben, können wir uns kurz fassen. Meistens
schließt sie in einfachen Akkorden, die mit der Melodie gehen, dieser sich an.
Selten -- vielleicht zu selten -- ist der Versuch gemacht, ein von der Melodie
unabhängiges, bewegtes Begleitungsmotiv zu schaffen. Viele Lieder scheinen
geradezu dazu herauszufordern, bei dem die Bearbeiter sich mit einer schlichten
akkordischen Begleitung begnügt haben. Sichtlich tritt aber überall das Be¬
streben hervor, den eigenthümlichen Charakter des Liedes schonend zu bewahren,
lieber die Melodie nur durch einfache Harmonisirung zu stützen und zu tragen,
als durch ein reicheres, arabeskenartiges Mompagnement etwas in die Lieder
hineinzutragen, was ihnen möglicherweise fremd ist. Für die Bedürfnisse des
kunstliebenden Dilettanten reichen die Begleitungen überall aus; sie sind spielbar,
charakteristisch und verderben nirgends etwas. Eine besonders schwere Sache
ist es bekanntlich, ein gutes Vorspiel und Nachspiel zu einem Liede zu kom-
poniren; aber auch hier haben die Herausgeber Annerkennenswerthes geleistet.
Ihre Präludien und Postludieu siud knapp, bereiten die Stimmung angemessen
vor und lassen sie ebenso angemessen ausklingen. Am meisten haben uns die
Bearbeitungen von starck, weniger die von Kiszner zugesagt. Musikalisch ge¬
bildete Spieler und Sänger werden der lockenden Versuchung nicht widerstehen
können, bei der einen oder andern Weise es selber einmal mit einer etwas
anders harmonisirten oder rhythinisirten Begleitung zu versuchen, als die
Herausgeber sie geboten. --

Das wäre es etwa, was ich aus dem dicken Notenbuche mitzutheilen
hätte. Aber was wird die Frau Rektorin dazu sagen, daß ich die Geheimnisse
ihres "musikalischen Kränzchens" hier profanen Ohren preisgegeben habe?
Nun ich denke, sie wird es mir Dank wissen, daß ich von dem "grünen Bande",
der uns genußreiche Stunden bereitet hat in einer Zeit, wo es auf der Welt


davon geben schon die wenigen zu Anfang erwähnten, die längst auch in
Deutschland volksthümlich geworden sind, hinlängliches Zeugniß. Von der
irischen Melodie „^iloon ^room^ oder, wie sie nach dem bekannten schottischen
Texte gewöhnlich zitirt wird, „Uodin, ^äair", soll Händel gesagt haben, daß
er für den Ruhm, sie geschaffen zu haben, gern die größte seiner Kompositionen
hingeben würde. Und in der That kann man sagen: Wenn manches von diesen
Liedern heute Robert Franz oder Johannes Brahms als seine Komposition
in die Welt schickte, so würden ihre Verehrer in Helles Entzücken gerathen und
um die Wette rufen: „Das kann doch heutzutage niemand außer ihm!" Und
hier liegen diese Perlen unter schlichten, altenglischenVolksliedern versteckt! Sollte
nicht für unsre auf dem Gebiete des Liedes so greisenhaft ersindnngsarme Zeit
aus diesen Volksliedern eine Jnngbrnnnen quellen können?

Ueber die Klavierbegleitung, mit der die obengenannten Mitarbeiter des
Herausgebers die Lieder versehen haben, können wir uns kurz fassen. Meistens
schließt sie in einfachen Akkorden, die mit der Melodie gehen, dieser sich an.
Selten — vielleicht zu selten — ist der Versuch gemacht, ein von der Melodie
unabhängiges, bewegtes Begleitungsmotiv zu schaffen. Viele Lieder scheinen
geradezu dazu herauszufordern, bei dem die Bearbeiter sich mit einer schlichten
akkordischen Begleitung begnügt haben. Sichtlich tritt aber überall das Be¬
streben hervor, den eigenthümlichen Charakter des Liedes schonend zu bewahren,
lieber die Melodie nur durch einfache Harmonisirung zu stützen und zu tragen,
als durch ein reicheres, arabeskenartiges Mompagnement etwas in die Lieder
hineinzutragen, was ihnen möglicherweise fremd ist. Für die Bedürfnisse des
kunstliebenden Dilettanten reichen die Begleitungen überall aus; sie sind spielbar,
charakteristisch und verderben nirgends etwas. Eine besonders schwere Sache
ist es bekanntlich, ein gutes Vorspiel und Nachspiel zu einem Liede zu kom-
poniren; aber auch hier haben die Herausgeber Annerkennenswerthes geleistet.
Ihre Präludien und Postludieu siud knapp, bereiten die Stimmung angemessen
vor und lassen sie ebenso angemessen ausklingen. Am meisten haben uns die
Bearbeitungen von starck, weniger die von Kiszner zugesagt. Musikalisch ge¬
bildete Spieler und Sänger werden der lockenden Versuchung nicht widerstehen
können, bei der einen oder andern Weise es selber einmal mit einer etwas
anders harmonisirten oder rhythinisirten Begleitung zu versuchen, als die
Herausgeber sie geboten. —

Das wäre es etwa, was ich aus dem dicken Notenbuche mitzutheilen
hätte. Aber was wird die Frau Rektorin dazu sagen, daß ich die Geheimnisse
ihres „musikalischen Kränzchens" hier profanen Ohren preisgegeben habe?
Nun ich denke, sie wird es mir Dank wissen, daß ich von dem „grünen Bande",
der uns genußreiche Stunden bereitet hat in einer Zeit, wo es auf der Welt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/398>, abgerufen am 22.07.2024.