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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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diese englischen Ortsnamen in deutschem Liedertexte ein Haar anders? Ganz
abgesehen davon, daß ihre richtige Aussprache uns oft unbekannt, und wenn
bekannt, für deutsche Sprachwerkzeuge nicht ganz leicht ist und gesungen sich
dann entschieden doppelt seltsam ausnimmt.

Ein gewisser Ueberfluß an Namen berührt uns selbst in der englischen
Liebeslyrik fremdartig. Das deutsche volkstümliche Liebeslied kennt wohl auch
eine kleine Reihe männlicher und weiblicher Personennamen, die für den Ge¬
liebten und die Geliebte gleichsam typisch geworden sind. Aber das sind doch
immer unsre uns vertrauten Namen, und sie werden verhältnißmäßig selten an¬
gewendet; in den meisten Fällen verschweigt das Lied den Namen der geliebten
Person. Ganz anders z. B. in der schottischen Volkspoesie. Dort wimmelt es
unter den Liedern, die den Burschen in den Mund gelegt werden, von Annie's
und Nannie's, von Maggie's und Peggy's, von Jamie's und Jeanie's, und in
denen, die von den Dirnen gesungen werden sollen, von Colin's und Donald's,
von Davie's und Tammy's, von Johnie's und Jockie's. Und oft ist's mit
dem Vornamen noch gar nicht abgethan. Da singt ein Bursche: "Wer wäre
nicht verliebt in Maggie Lander, die Süße?" ein anderer: "Dort war's wo
Annie Laune mir treue Liebe schwur", und ein dritter geht sogar mit so um¬
ständlicher Genauigkeit zu Wege, daß er Vornamen, Zunamen und auch noch
die Heimat des Mädchens angiebt und singt: "O hast du gehört von Kalb
Kearney in den blühenden Auen von Killarney?" Freilich will der letztere seine
Genossen vor den verführerischen Augen, dem arglistig lächelnden Munde und
dem todbringenden Hauche seiner Geliebten warnen, und so ist die steckbrief¬
artige Genauigkeit seiner Angaben hier wohl am Platze. Die deutsche Lyrik
kennt auch ihr "Aermchen von Tharan", aber wie vereinzelt steht diese
der Gründlichkeit gegenüber, mit der das schottische Liebeslied hier verfährt!
Hinzu kommt, daß auch diese Namen mitten im deutschen Texte immer nur eine
komische, und gesungen eine doppelt komische Wirkung hervorbringen können.
Gelegentlich hat dies denn auch der Herausgeber selbst gefühlt und hat gewagt,
anstatt der englischen, deutsche Namen in den Text einzusetzen. Bei den Zeilen


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hilft er sich mit der Uebersetzung:


Wenn Fritz und Jörg und Annmarie
Einst aufgewachsen sind.

Aber dieses Beispiel steht vereinzelt den zahllosen anderen gegenüber, in denen
der fremde Name beibehalten ist.

Fremdartig berührt uns natürlich anch der ganze Kreis von Sitten, Ge¬
wohnheiten, Anschauungen, der in dieser Lyrik uns entgegentritt. Das kann


Grenzboten III. 1873. 49

diese englischen Ortsnamen in deutschem Liedertexte ein Haar anders? Ganz
abgesehen davon, daß ihre richtige Aussprache uns oft unbekannt, und wenn
bekannt, für deutsche Sprachwerkzeuge nicht ganz leicht ist und gesungen sich
dann entschieden doppelt seltsam ausnimmt.

Ein gewisser Ueberfluß an Namen berührt uns selbst in der englischen
Liebeslyrik fremdartig. Das deutsche volkstümliche Liebeslied kennt wohl auch
eine kleine Reihe männlicher und weiblicher Personennamen, die für den Ge¬
liebten und die Geliebte gleichsam typisch geworden sind. Aber das sind doch
immer unsre uns vertrauten Namen, und sie werden verhältnißmäßig selten an¬
gewendet; in den meisten Fällen verschweigt das Lied den Namen der geliebten
Person. Ganz anders z. B. in der schottischen Volkspoesie. Dort wimmelt es
unter den Liedern, die den Burschen in den Mund gelegt werden, von Annie's
und Nannie's, von Maggie's und Peggy's, von Jamie's und Jeanie's, und in
denen, die von den Dirnen gesungen werden sollen, von Colin's und Donald's,
von Davie's und Tammy's, von Johnie's und Jockie's. Und oft ist's mit
dem Vornamen noch gar nicht abgethan. Da singt ein Bursche: „Wer wäre
nicht verliebt in Maggie Lander, die Süße?" ein anderer: „Dort war's wo
Annie Laune mir treue Liebe schwur", und ein dritter geht sogar mit so um¬
ständlicher Genauigkeit zu Wege, daß er Vornamen, Zunamen und auch noch
die Heimat des Mädchens angiebt und singt: „O hast du gehört von Kalb
Kearney in den blühenden Auen von Killarney?" Freilich will der letztere seine
Genossen vor den verführerischen Augen, dem arglistig lächelnden Munde und
dem todbringenden Hauche seiner Geliebten warnen, und so ist die steckbrief¬
artige Genauigkeit seiner Angaben hier wohl am Platze. Die deutsche Lyrik
kennt auch ihr „Aermchen von Tharan", aber wie vereinzelt steht diese
der Gründlichkeit gegenüber, mit der das schottische Liebeslied hier verfährt!
Hinzu kommt, daß auch diese Namen mitten im deutschen Texte immer nur eine
komische, und gesungen eine doppelt komische Wirkung hervorbringen können.
Gelegentlich hat dies denn auch der Herausgeber selbst gefühlt und hat gewagt,
anstatt der englischen, deutsche Namen in den Text einzusetzen. Bei den Zeilen


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hilft er sich mit der Uebersetzung:


Wenn Fritz und Jörg und Annmarie
Einst aufgewachsen sind.

Aber dieses Beispiel steht vereinzelt den zahllosen anderen gegenüber, in denen
der fremde Name beibehalten ist.

Fremdartig berührt uns natürlich anch der ganze Kreis von Sitten, Ge¬
wohnheiten, Anschauungen, der in dieser Lyrik uns entgegentritt. Das kann


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[0393] diese englischen Ortsnamen in deutschem Liedertexte ein Haar anders? Ganz abgesehen davon, daß ihre richtige Aussprache uns oft unbekannt, und wenn bekannt, für deutsche Sprachwerkzeuge nicht ganz leicht ist und gesungen sich dann entschieden doppelt seltsam ausnimmt. Ein gewisser Ueberfluß an Namen berührt uns selbst in der englischen Liebeslyrik fremdartig. Das deutsche volkstümliche Liebeslied kennt wohl auch eine kleine Reihe männlicher und weiblicher Personennamen, die für den Ge¬ liebten und die Geliebte gleichsam typisch geworden sind. Aber das sind doch immer unsre uns vertrauten Namen, und sie werden verhältnißmäßig selten an¬ gewendet; in den meisten Fällen verschweigt das Lied den Namen der geliebten Person. Ganz anders z. B. in der schottischen Volkspoesie. Dort wimmelt es unter den Liedern, die den Burschen in den Mund gelegt werden, von Annie's und Nannie's, von Maggie's und Peggy's, von Jamie's und Jeanie's, und in denen, die von den Dirnen gesungen werden sollen, von Colin's und Donald's, von Davie's und Tammy's, von Johnie's und Jockie's. Und oft ist's mit dem Vornamen noch gar nicht abgethan. Da singt ein Bursche: „Wer wäre nicht verliebt in Maggie Lander, die Süße?" ein anderer: „Dort war's wo Annie Laune mir treue Liebe schwur", und ein dritter geht sogar mit so um¬ ständlicher Genauigkeit zu Wege, daß er Vornamen, Zunamen und auch noch die Heimat des Mädchens angiebt und singt: „O hast du gehört von Kalb Kearney in den blühenden Auen von Killarney?" Freilich will der letztere seine Genossen vor den verführerischen Augen, dem arglistig lächelnden Munde und dem todbringenden Hauche seiner Geliebten warnen, und so ist die steckbrief¬ artige Genauigkeit seiner Angaben hier wohl am Platze. Die deutsche Lyrik kennt auch ihr „Aermchen von Tharan", aber wie vereinzelt steht diese der Gründlichkeit gegenüber, mit der das schottische Liebeslied hier verfährt! Hinzu kommt, daß auch diese Namen mitten im deutschen Texte immer nur eine komische, und gesungen eine doppelt komische Wirkung hervorbringen können. Gelegentlich hat dies denn auch der Herausgeber selbst gefühlt und hat gewagt, anstatt der englischen, deutsche Namen in den Text einzusetzen. Bei den Zeilen 'WAen ^ook s>na Zkuetis ^,re ux s,na Zotten 1hö,r hilft er sich mit der Uebersetzung: Wenn Fritz und Jörg und Annmarie Einst aufgewachsen sind. Aber dieses Beispiel steht vereinzelt den zahllosen anderen gegenüber, in denen der fremde Name beibehalten ist. Fremdartig berührt uns natürlich anch der ganze Kreis von Sitten, Ge¬ wohnheiten, Anschauungen, der in dieser Lyrik uns entgegentritt. Das kann Grenzboten III. 1873. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/393>, abgerufen am 22.07.2024.