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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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setzt ernstes Studium, ja vielfach geradezu ein gelehrt-archäologisches Interesse
voraus. Wer musizirt, nur um sich zu vergnügen, der bleibe diesen Liedern
fern; es wäre ihm nicht zu verübeln, wenn er ihnen keinen Geschmack abge¬
winnen konnte. Wie man beim Gange durch eine Gemäldegalerie, wenn man
nicht speziell kunstgeschichtliche Zwecke verfolgt, am liebsten vor denjenigen
Bildern verweilt, die im ersten Momente der Betrachtung sich von selber aus¬
sprechen, bei denen aber, die zu ihrem Verständniß eines weitläufigen Kommen¬
tars bedürfen, am liebsten vorübergeht, so ist man auch, wenn man sich an's
Klavier setzt, um Lieder zu singen, im allgemeinen gewiß wenig geneigt, ge¬
lehrte Anmerkungen zum Verständniß derselben entgegenzunehmen. Ohne
solche aber geht es hier in vielen Fällen nicht ab. Zahlreiche dieser altenglischen
Lieder beziehen sich auf Ereignisse der englischen Sage und Geschichte, die uus
gänzlich fernliegen, und bei denen, wenn die Dichtung für uns nicht eine bloße
Anhäufung von Namen sein soll, der Herausgeber schlechterdings durch An¬
merkungen nachhelfen mußte.

Unter den "Liedern von der grünen Insel" z. B. ist eines, das mit den
Worten beginnt: "Sei, Erin, vergangener Tage gedenk." In diesem Liede
werden ein gewisser Malachi, ferner der Orden der Rothzweigritter und end¬
lich ein sagenhafter See erwähnt. Nothgedrungen spendet der Herausgeber
dazu folgende Anmerkungen: "1. Malachi, Monarch Irlands im zehnten Jahr¬
hundert, besiegte im Einzelkampf zwei dänische Helden und nahm als Trophäe
die goldene Halskette des Einen und das Schwert des Andern mit sich.
(Warner's Geschichte Irlands, Bd. I. Buch 9.) -- 2. Der See Longh Neagh
war der Sage nach ursprünglich eine Quelle, durch deren plötzliches Ueber-
strömen eine ganze Landschaft -- gleich der Atlantis des Plato -- versenkt
wurde. Die Fischer pflegten bei Hellem Wetter Fremden noch die hohen Kirch¬
thürme unter dem Wasser zu bezeichnen. -- 3. Der Ritterorden "vom rothen
Zweig" bestand in Ulster schon lange vor Christi Geburt. (O' Halloran's
Geschichte Irlands.^" -- In demselben Hefte befindet sich ein Kriegslied:
"König Brien Borohme und die Schlacht bei Clontarf. Die darin vorkommen¬
den Namen nöthigen wiederum den Herausgeber zu folgendem Commentar:
"Brien (sprich Brei-en), berühmter irischer König, fiel zu Anfang des 11. Jahr¬
hunderts in der Schlacht bei Clontarf, nachdem er die Dünen in 25 Kämpfen
besiegt hatte. -- Kinkora war Brien's Palast. -- Die in der Schlacht von
Clontarf verwundeten Dalgais, Brien's Lieblingstrnppen, baten, trotz ihrer
Schwäche weiter fechten zu dürfen. "Laßt uns -- sagten sie -- an Pfühle
gebunden und von diesen gestützt in den Reihen stehen, Jeder zur Seite eines
gesunden Mannes". "Zwischen 700 bis 800 wunder Krieger," fügt o'Hallorau,
der Geschichtsschreiber, hinzu, "bleich, abgezehrt, erschienen ans diese Weise ge-


setzt ernstes Studium, ja vielfach geradezu ein gelehrt-archäologisches Interesse
voraus. Wer musizirt, nur um sich zu vergnügen, der bleibe diesen Liedern
fern; es wäre ihm nicht zu verübeln, wenn er ihnen keinen Geschmack abge¬
winnen konnte. Wie man beim Gange durch eine Gemäldegalerie, wenn man
nicht speziell kunstgeschichtliche Zwecke verfolgt, am liebsten vor denjenigen
Bildern verweilt, die im ersten Momente der Betrachtung sich von selber aus¬
sprechen, bei denen aber, die zu ihrem Verständniß eines weitläufigen Kommen¬
tars bedürfen, am liebsten vorübergeht, so ist man auch, wenn man sich an's
Klavier setzt, um Lieder zu singen, im allgemeinen gewiß wenig geneigt, ge¬
lehrte Anmerkungen zum Verständniß derselben entgegenzunehmen. Ohne
solche aber geht es hier in vielen Fällen nicht ab. Zahlreiche dieser altenglischen
Lieder beziehen sich auf Ereignisse der englischen Sage und Geschichte, die uus
gänzlich fernliegen, und bei denen, wenn die Dichtung für uns nicht eine bloße
Anhäufung von Namen sein soll, der Herausgeber schlechterdings durch An¬
merkungen nachhelfen mußte.

Unter den „Liedern von der grünen Insel" z. B. ist eines, das mit den
Worten beginnt: „Sei, Erin, vergangener Tage gedenk." In diesem Liede
werden ein gewisser Malachi, ferner der Orden der Rothzweigritter und end¬
lich ein sagenhafter See erwähnt. Nothgedrungen spendet der Herausgeber
dazu folgende Anmerkungen: „1. Malachi, Monarch Irlands im zehnten Jahr¬
hundert, besiegte im Einzelkampf zwei dänische Helden und nahm als Trophäe
die goldene Halskette des Einen und das Schwert des Andern mit sich.
(Warner's Geschichte Irlands, Bd. I. Buch 9.) — 2. Der See Longh Neagh
war der Sage nach ursprünglich eine Quelle, durch deren plötzliches Ueber-
strömen eine ganze Landschaft — gleich der Atlantis des Plato — versenkt
wurde. Die Fischer pflegten bei Hellem Wetter Fremden noch die hohen Kirch¬
thürme unter dem Wasser zu bezeichnen. — 3. Der Ritterorden „vom rothen
Zweig" bestand in Ulster schon lange vor Christi Geburt. (O' Halloran's
Geschichte Irlands.^" — In demselben Hefte befindet sich ein Kriegslied:
„König Brien Borohme und die Schlacht bei Clontarf. Die darin vorkommen¬
den Namen nöthigen wiederum den Herausgeber zu folgendem Commentar:
„Brien (sprich Brei-en), berühmter irischer König, fiel zu Anfang des 11. Jahr¬
hunderts in der Schlacht bei Clontarf, nachdem er die Dünen in 25 Kämpfen
besiegt hatte. — Kinkora war Brien's Palast. — Die in der Schlacht von
Clontarf verwundeten Dalgais, Brien's Lieblingstrnppen, baten, trotz ihrer
Schwäche weiter fechten zu dürfen. „Laßt uns — sagten sie — an Pfühle
gebunden und von diesen gestützt in den Reihen stehen, Jeder zur Seite eines
gesunden Mannes". „Zwischen 700 bis 800 wunder Krieger," fügt o'Hallorau,
der Geschichtsschreiber, hinzu, „bleich, abgezehrt, erschienen ans diese Weise ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/391>, abgerufen am 22.07.2024.