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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Titel verräth die Tendenz der Sammlung! es galt, das Volkslied salonfähig
zu machen, in den gebildeten Kreisen, uuter den Konsumenten des damals
noch sür vornehm geltenden Theegetränks Interesse dafür zu erwecken. Ramsay
verfuhr bei der Herausgabe ziemlich unkritisch. Nicht nur, daß er es unterließ,
nach Alter und Herkunft der Lieder zu fragen, er trug auch kein Bedenken,
die aufgenommenen Lieder gelegentlich nach eigenem Gutdünken zu verändern,
zu verkürzen oder zu erweitern. Glücklicherweise ist es ziemlich gelungen, die
von ihm umgemodelten Lieder herauszufinden und in ihrer ursprünglichen
Gestalt wiederherzustellen, ebenso die von Ramsay selbst und seinen Mitarbeitern
frei geschaffenen, die in seiner Sammlung mitten unten den Erzeugnissen des
echten, alten Vvlksgesanges ihren Platz gefunden hatten, als solche zu bezeichnen.
Jedenfalls gebührt Ramsay das Verdienst, zuerst in den vornehmen Kreisen
England's für die Schönheiten der einheimischen Volkslyrik Verständniß und
Geschmack geweckt zu haben.

Eine zweite Sammlung, die mehr für den Alterthumsforscher berechnet
war und daher weniger populär wurde, ist die 1766 von David Herd unter
dem Titel "^.lioivnt auel raoäsrn LoottiLk Lou^s, Hörnle L^II^als ceo."
herausgegebene. Im vollen Sinne des Wortes aber wurden wiederum Eigen¬
thum des Volkes die beiden großartigen Sammlungen, von denen die eine in
den Jahren 1787--1803 James Johnson unter dem Titel "Loots Nusielü
Nusöuin" in sechs Bänden, die andere, ,Ms Nslocliss ok LootlanÄ", George
Thomson seit 1792 in fünf Bänden veröffentlichte. Von der letzteren erschien
1831 noch eine neue Ausgabe; das musikalische Arrangement der Lieder stammte
zum Theil von Pleyel, Haydn, Beethoven, Weber und Händel. Diese beiden
Sammlungen sind vor allem wegen des Antheils wichtig, den Robert Burns
an ihrer Herstellung hat, denn seine weltberühmten "Lieder und Balladen"
sind nichts anderes als Texte, die er zu alten, in jene Sammlungen aufge¬
nommenen Volksmelodieen dichtete.

Burus hatte sich schon in früher Jugend beim Pflügen auf dem Felde
oder beim Herumschlendern durch Wald und Flur daran ergötzt, die oder jene alte
Melodie vor sich herzupfeifen und zu ihrem Rhythmus neue Verse zu ersinnen.
Später kam System in diese Liebhaberei: Johnson sowohl wie Thomson gingen
ihn darum an, die für ihre Volksliederpublikativnen sich nöthig machenden
Textverbesseruugen, beziehentlich Texterneuernngen vorzunehmen. Für das
"Lvots NnZical MlLvnm" wurde Burns 1787 nach dem Erscheinen des ersten
Bandes gewonnen; er schrieb die Vorrede zum zweiten Bande und steuerte
im Laufe der folgenden nenn Jahre bis zu seinem Tode (1796) im Ganzen
160 Dichtungen bei. Sein gleichzeitiger Antheil an der Thomson'schen Sanim-
luug erklärt sich daher, daß das "Museum" anfangs nicht recht populär werdeu


Titel verräth die Tendenz der Sammlung! es galt, das Volkslied salonfähig
zu machen, in den gebildeten Kreisen, uuter den Konsumenten des damals
noch sür vornehm geltenden Theegetränks Interesse dafür zu erwecken. Ramsay
verfuhr bei der Herausgabe ziemlich unkritisch. Nicht nur, daß er es unterließ,
nach Alter und Herkunft der Lieder zu fragen, er trug auch kein Bedenken,
die aufgenommenen Lieder gelegentlich nach eigenem Gutdünken zu verändern,
zu verkürzen oder zu erweitern. Glücklicherweise ist es ziemlich gelungen, die
von ihm umgemodelten Lieder herauszufinden und in ihrer ursprünglichen
Gestalt wiederherzustellen, ebenso die von Ramsay selbst und seinen Mitarbeitern
frei geschaffenen, die in seiner Sammlung mitten unten den Erzeugnissen des
echten, alten Vvlksgesanges ihren Platz gefunden hatten, als solche zu bezeichnen.
Jedenfalls gebührt Ramsay das Verdienst, zuerst in den vornehmen Kreisen
England's für die Schönheiten der einheimischen Volkslyrik Verständniß und
Geschmack geweckt zu haben.

Eine zweite Sammlung, die mehr für den Alterthumsforscher berechnet
war und daher weniger populär wurde, ist die 1766 von David Herd unter
dem Titel „^.lioivnt auel raoäsrn LoottiLk Lou^s, Hörnle L^II^als ceo."
herausgegebene. Im vollen Sinne des Wortes aber wurden wiederum Eigen¬
thum des Volkes die beiden großartigen Sammlungen, von denen die eine in
den Jahren 1787—1803 James Johnson unter dem Titel „Loots Nusielü
Nusöuin" in sechs Bänden, die andere, ,Ms Nslocliss ok LootlanÄ", George
Thomson seit 1792 in fünf Bänden veröffentlichte. Von der letzteren erschien
1831 noch eine neue Ausgabe; das musikalische Arrangement der Lieder stammte
zum Theil von Pleyel, Haydn, Beethoven, Weber und Händel. Diese beiden
Sammlungen sind vor allem wegen des Antheils wichtig, den Robert Burns
an ihrer Herstellung hat, denn seine weltberühmten „Lieder und Balladen"
sind nichts anderes als Texte, die er zu alten, in jene Sammlungen aufge¬
nommenen Volksmelodieen dichtete.

Burus hatte sich schon in früher Jugend beim Pflügen auf dem Felde
oder beim Herumschlendern durch Wald und Flur daran ergötzt, die oder jene alte
Melodie vor sich herzupfeifen und zu ihrem Rhythmus neue Verse zu ersinnen.
Später kam System in diese Liebhaberei: Johnson sowohl wie Thomson gingen
ihn darum an, die für ihre Volksliederpublikativnen sich nöthig machenden
Textverbesseruugen, beziehentlich Texterneuernngen vorzunehmen. Für das
„Lvots NnZical MlLvnm" wurde Burns 1787 nach dem Erscheinen des ersten
Bandes gewonnen; er schrieb die Vorrede zum zweiten Bande und steuerte
im Laufe der folgenden nenn Jahre bis zu seinem Tode (1796) im Ganzen
160 Dichtungen bei. Sein gleichzeitiger Antheil an der Thomson'schen Sanim-
luug erklärt sich daher, daß das „Museum" anfangs nicht recht populär werdeu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/386>, abgerufen am 22.07.2024.