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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Altenglische Wolkslieder am Klavier.

Die Frau Rektorin, ein regsame kleine Fran mit feinem musikalischen
Verständniß und einem hübschen Mezzosopran, hatte uns eben durch deu Ge¬
sang des unvergleichlichen Brahms'schen Liedes: "Wie bist du, meine Königin,
durch sanfte Güte wonnevoll" erfreut, die Frau Superintendentin mit ange¬
nehmer Altstimme das Chopin'sche: "Schön war der Morgen und hell schien
die Sonne" hinzugefügt, Professor E. hatte ein paar Nummern aus den
"Kreisleriana" von Schumann zum Besten gegeben, so trefflich und liebens¬
würdig, wie sie unter Dilettnntenhänden nur immer sich gestalten können, und
ich selber hatte endlich, zusammen mit der erstgenannten Dame, das Schumann'sche
Duett "Großvater und Großmutter" glücklich und ohne Unfall vom Stapel gelassen.
Jetzt kam die Unterhaltung wieder in Fluß.

"Kennen Sie Lieder von dem kürzlich verstorbenen Deprosse?" fragte die
Rektorin. -- "O gewiß," entgegnete ich, "ich habe Ihnen betheuert, daß ich
mich in der Liederliteratur unsrer Zeit redlich umgethan habe und daß mir
auch von den all i^worum Zöiitwui, will sagen von den Geistern dritten und
vierten Ranges nicht leicht irgend ein nennenswerthes Opus entgangen ist.
Gewiß denken Sie an das schöne Suleikalied: "Kind, was thust du so er¬
schrocken" und an" -- "Recht, recht," fiel mir die Rektorin in's Wort, "und
vor allem an das letzte Lied in demselben Hefte -- wie heißt es doch gleich?
Es ist eine kleine Nummer, nur eine Seite lang, aber von entzückender Schön¬
heit." -- Gleichzeitig sprachen wir die Anfangsworte aus, sie aber setzte mit
scherzenden Vorwurf hinzu: "Abscheulich, daß man Ihnen mit nichts Neuem
mehr eine Freude machen kann!" "Ebenso wenig, wie Ihnen," konnte ich nach
meinen bisherigen Erfahrungen mit gutem Rechte zurückgeben. Die Reihe des
Fragens war nun wieder an mir. "Kennen Sie, verehrte Frau, Lieder von
Franz Ries? Eine seltene Erscheinung, dieser Ries. Ist Musikalienhändler
in Dresden und komponirt sich seine Verlagsartikel selber. Ein Heft mit vier
Duetten namentlich -- wir haben ja keinen Ueberfluß an guten Duetten -- empfehle
ich Ihrer freundlichen Beachtung. Die Opuszahl weiß ich im Augenblicke wahrlich
nicht anzugeben, aber das letzte Duett ist über den bekannten Text: "Neuer
Frühling ist gekommen", das läßt sich, denke ich, leicht behalten." -- Diesmal
mußte die Frau Rektorin ihre Unkenntniß eingestehen -- es war das erste
Mal, obgleich die Frage: "Kennen Sie das" und "Kennen Sie jenes?" heute
schon oft genng an sie ergangen war. Denn wo nur immer zwei solche
Liederjäger wie wir an einander gerathen, dann geht es nicht viel anders her,


Altenglische Wolkslieder am Klavier.

Die Frau Rektorin, ein regsame kleine Fran mit feinem musikalischen
Verständniß und einem hübschen Mezzosopran, hatte uns eben durch deu Ge¬
sang des unvergleichlichen Brahms'schen Liedes: „Wie bist du, meine Königin,
durch sanfte Güte wonnevoll" erfreut, die Frau Superintendentin mit ange¬
nehmer Altstimme das Chopin'sche: „Schön war der Morgen und hell schien
die Sonne" hinzugefügt, Professor E. hatte ein paar Nummern aus den
„Kreisleriana" von Schumann zum Besten gegeben, so trefflich und liebens¬
würdig, wie sie unter Dilettnntenhänden nur immer sich gestalten können, und
ich selber hatte endlich, zusammen mit der erstgenannten Dame, das Schumann'sche
Duett „Großvater und Großmutter" glücklich und ohne Unfall vom Stapel gelassen.
Jetzt kam die Unterhaltung wieder in Fluß.

„Kennen Sie Lieder von dem kürzlich verstorbenen Deprosse?" fragte die
Rektorin. — „O gewiß," entgegnete ich, „ich habe Ihnen betheuert, daß ich
mich in der Liederliteratur unsrer Zeit redlich umgethan habe und daß mir
auch von den all i^worum Zöiitwui, will sagen von den Geistern dritten und
vierten Ranges nicht leicht irgend ein nennenswerthes Opus entgangen ist.
Gewiß denken Sie an das schöne Suleikalied: „Kind, was thust du so er¬
schrocken" und an" — „Recht, recht," fiel mir die Rektorin in's Wort, „und
vor allem an das letzte Lied in demselben Hefte — wie heißt es doch gleich?
Es ist eine kleine Nummer, nur eine Seite lang, aber von entzückender Schön¬
heit." — Gleichzeitig sprachen wir die Anfangsworte aus, sie aber setzte mit
scherzenden Vorwurf hinzu: „Abscheulich, daß man Ihnen mit nichts Neuem
mehr eine Freude machen kann!" „Ebenso wenig, wie Ihnen," konnte ich nach
meinen bisherigen Erfahrungen mit gutem Rechte zurückgeben. Die Reihe des
Fragens war nun wieder an mir. „Kennen Sie, verehrte Frau, Lieder von
Franz Ries? Eine seltene Erscheinung, dieser Ries. Ist Musikalienhändler
in Dresden und komponirt sich seine Verlagsartikel selber. Ein Heft mit vier
Duetten namentlich — wir haben ja keinen Ueberfluß an guten Duetten — empfehle
ich Ihrer freundlichen Beachtung. Die Opuszahl weiß ich im Augenblicke wahrlich
nicht anzugeben, aber das letzte Duett ist über den bekannten Text: „Neuer
Frühling ist gekommen", das läßt sich, denke ich, leicht behalten." — Diesmal
mußte die Frau Rektorin ihre Unkenntniß eingestehen — es war das erste
Mal, obgleich die Frage: „Kennen Sie das" und „Kennen Sie jenes?" heute
schon oft genng an sie ergangen war. Denn wo nur immer zwei solche
Liederjäger wie wir an einander gerathen, dann geht es nicht viel anders her,


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[0383] Altenglische Wolkslieder am Klavier. Die Frau Rektorin, ein regsame kleine Fran mit feinem musikalischen Verständniß und einem hübschen Mezzosopran, hatte uns eben durch deu Ge¬ sang des unvergleichlichen Brahms'schen Liedes: „Wie bist du, meine Königin, durch sanfte Güte wonnevoll" erfreut, die Frau Superintendentin mit ange¬ nehmer Altstimme das Chopin'sche: „Schön war der Morgen und hell schien die Sonne" hinzugefügt, Professor E. hatte ein paar Nummern aus den „Kreisleriana" von Schumann zum Besten gegeben, so trefflich und liebens¬ würdig, wie sie unter Dilettnntenhänden nur immer sich gestalten können, und ich selber hatte endlich, zusammen mit der erstgenannten Dame, das Schumann'sche Duett „Großvater und Großmutter" glücklich und ohne Unfall vom Stapel gelassen. Jetzt kam die Unterhaltung wieder in Fluß. „Kennen Sie Lieder von dem kürzlich verstorbenen Deprosse?" fragte die Rektorin. — „O gewiß," entgegnete ich, „ich habe Ihnen betheuert, daß ich mich in der Liederliteratur unsrer Zeit redlich umgethan habe und daß mir auch von den all i^worum Zöiitwui, will sagen von den Geistern dritten und vierten Ranges nicht leicht irgend ein nennenswerthes Opus entgangen ist. Gewiß denken Sie an das schöne Suleikalied: „Kind, was thust du so er¬ schrocken" und an" — „Recht, recht," fiel mir die Rektorin in's Wort, „und vor allem an das letzte Lied in demselben Hefte — wie heißt es doch gleich? Es ist eine kleine Nummer, nur eine Seite lang, aber von entzückender Schön¬ heit." — Gleichzeitig sprachen wir die Anfangsworte aus, sie aber setzte mit scherzenden Vorwurf hinzu: „Abscheulich, daß man Ihnen mit nichts Neuem mehr eine Freude machen kann!" „Ebenso wenig, wie Ihnen," konnte ich nach meinen bisherigen Erfahrungen mit gutem Rechte zurückgeben. Die Reihe des Fragens war nun wieder an mir. „Kennen Sie, verehrte Frau, Lieder von Franz Ries? Eine seltene Erscheinung, dieser Ries. Ist Musikalienhändler in Dresden und komponirt sich seine Verlagsartikel selber. Ein Heft mit vier Duetten namentlich — wir haben ja keinen Ueberfluß an guten Duetten — empfehle ich Ihrer freundlichen Beachtung. Die Opuszahl weiß ich im Augenblicke wahrlich nicht anzugeben, aber das letzte Duett ist über den bekannten Text: „Neuer Frühling ist gekommen", das läßt sich, denke ich, leicht behalten." — Diesmal mußte die Frau Rektorin ihre Unkenntniß eingestehen — es war das erste Mal, obgleich die Frage: „Kennen Sie das" und „Kennen Sie jenes?" heute schon oft genng an sie ergangen war. Denn wo nur immer zwei solche Liederjäger wie wir an einander gerathen, dann geht es nicht viel anders her,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/383>, abgerufen am 22.07.2024.