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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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mal, wieder so in den Vordergrund drängte. Um die Sache weniger auffällig
zu machen, leitete man vorher seitens der Konservativen eine Korrespondenz
mit den liberalen Kandidaten von Nürnberg und Dinkelsbühl ein und suchte
diese durch vier vom Zaune gebrochene Fragen nach ihrer kirchlichen Stellung,
namentlich zur Schulfrage, aus der, obwohl sie gar uicht vor das Forum des
Reichstags gehört, unsre Konservativen gegenwärtig Kapital schlagen, wie sie
es ehedem mit der Zivilehe gemacht, zu provoziren und zu bindenden Erklä¬
rungen herauszulocken. Natürlich erhielten die Frager die verdiente entschie¬
dene Antwort, und nun war das konservative Gewissen erleichtert: die Herren von
Feder und Günther wollen nur und ausschließlich die Kandidaten der Liberalen
sein, also Ihr "Gläubigen sammelt euch um das unfehlbare konservative
Banner!" Daß dieses als das allein heilbringende hingestellt wurde, dafür
sorgte man reichlich durch Flugblätter, Agitationsreisen der mannigfachsten Art,
die sich auf die kleinsten Dörfer erstreckten und von Adeligen und Pfarrern
angeführt wurden, und überall erscholl die Predigt von den Sünden des
Liberalismus, wie dieser alle Misere der Gegenwart verschuldet, und wie allein
Rettung in der totalen "Umkehr" zu finden sei. Mit eigenthümlich veränderter
Taktik zog man diesmal in's Feld: selten wurden die konservativen Wortführer
Persönlich, meist waren ihre Ausführungen maßvoll und objektiv, wenig war
von der "Gründer- und Judenhetze", die man vor zwei Jahren getrieben, zu
hören; immer sagte man nur, daß es "anders werden" müsse, ohne aber das
Wie? anzugeben -- und so kam es denn, daß schließlich in sämmtlichen
bayrischen Wahlkreisen die konservativen Stimmen um einen guten Prozentsatz
gegen die letzte Wahl angewachsen waren, aber zur Majorität konnten sie es
doch in keinem einzigen bringen. Gerade auf dem platten Lande, wo doch die
Geistlichkeit am meisten thätig war und an manchen Orten die ultramontanen
Pfarrherren ihre protestantischen Kollegen um ihren Wahl- und Wühleifer hätten
beneiden können, war man diesmal den konservativen Vorspiegelungen weniger
zugänglich, als früher; dagegen fanden in den kleineren Städten, wo ohnehin
Lokal- und Partikularinteressen sich mehr geltend machen, die Angriffe gegen
das Freizügigkeitsgesetz, die Klagen über die sozialen und wirthschaftlichen Mi߬
stände mehr Gehör und günstigeren Boden. Daß aber selbst in größeren
Kommunen, ja sogar in der Hauptstadt München, die letztgenannten Faktoren
mitspielten, das zeigte deutlich der schlimme Ausgang der Wahl im ersten
Münchener Wahlkreise, die unerwartete Niederlage Stauffenberg's.

Seitdem der deutsche Reichstag besteht, hatte München I einen liberalen
Vertreter, und heute tönt das Jubelgeschrei der vereinten Ultramontanen, Sozial¬
demokraten und Volksparteiler in ihm wieder, daß die "Zwingburg und
Tyrannei des Liberalismus gefallen". Es war ein wüstes Treiben in deu dem


mal, wieder so in den Vordergrund drängte. Um die Sache weniger auffällig
zu machen, leitete man vorher seitens der Konservativen eine Korrespondenz
mit den liberalen Kandidaten von Nürnberg und Dinkelsbühl ein und suchte
diese durch vier vom Zaune gebrochene Fragen nach ihrer kirchlichen Stellung,
namentlich zur Schulfrage, aus der, obwohl sie gar uicht vor das Forum des
Reichstags gehört, unsre Konservativen gegenwärtig Kapital schlagen, wie sie
es ehedem mit der Zivilehe gemacht, zu provoziren und zu bindenden Erklä¬
rungen herauszulocken. Natürlich erhielten die Frager die verdiente entschie¬
dene Antwort, und nun war das konservative Gewissen erleichtert: die Herren von
Feder und Günther wollen nur und ausschließlich die Kandidaten der Liberalen
sein, also Ihr „Gläubigen sammelt euch um das unfehlbare konservative
Banner!" Daß dieses als das allein heilbringende hingestellt wurde, dafür
sorgte man reichlich durch Flugblätter, Agitationsreisen der mannigfachsten Art,
die sich auf die kleinsten Dörfer erstreckten und von Adeligen und Pfarrern
angeführt wurden, und überall erscholl die Predigt von den Sünden des
Liberalismus, wie dieser alle Misere der Gegenwart verschuldet, und wie allein
Rettung in der totalen „Umkehr" zu finden sei. Mit eigenthümlich veränderter
Taktik zog man diesmal in's Feld: selten wurden die konservativen Wortführer
Persönlich, meist waren ihre Ausführungen maßvoll und objektiv, wenig war
von der „Gründer- und Judenhetze", die man vor zwei Jahren getrieben, zu
hören; immer sagte man nur, daß es „anders werden" müsse, ohne aber das
Wie? anzugeben — und so kam es denn, daß schließlich in sämmtlichen
bayrischen Wahlkreisen die konservativen Stimmen um einen guten Prozentsatz
gegen die letzte Wahl angewachsen waren, aber zur Majorität konnten sie es
doch in keinem einzigen bringen. Gerade auf dem platten Lande, wo doch die
Geistlichkeit am meisten thätig war und an manchen Orten die ultramontanen
Pfarrherren ihre protestantischen Kollegen um ihren Wahl- und Wühleifer hätten
beneiden können, war man diesmal den konservativen Vorspiegelungen weniger
zugänglich, als früher; dagegen fanden in den kleineren Städten, wo ohnehin
Lokal- und Partikularinteressen sich mehr geltend machen, die Angriffe gegen
das Freizügigkeitsgesetz, die Klagen über die sozialen und wirthschaftlichen Mi߬
stände mehr Gehör und günstigeren Boden. Daß aber selbst in größeren
Kommunen, ja sogar in der Hauptstadt München, die letztgenannten Faktoren
mitspielten, das zeigte deutlich der schlimme Ausgang der Wahl im ersten
Münchener Wahlkreise, die unerwartete Niederlage Stauffenberg's.

Seitdem der deutsche Reichstag besteht, hatte München I einen liberalen
Vertreter, und heute tönt das Jubelgeschrei der vereinten Ultramontanen, Sozial¬
demokraten und Volksparteiler in ihm wieder, daß die „Zwingburg und
Tyrannei des Liberalismus gefallen". Es war ein wüstes Treiben in deu dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/367>, abgerufen am 22.07.2024.