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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Der Generalkommissar Krautz und das Heer seiner Unterbeamten haben gezeigt,
daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren, und wenn trotzdem so Großes
gelungen ist, so ist es mehr dem Eifer der fremden Kommissare zu danken als
der Initiative der französischen, die nirgends zu Ende kommen konnten. Da¬
durch daß die früher gemachten Erfahrungen prinzipiell ignorirt wurden, hat
am meisten das Publikum gelitten, also derjenige Theil, auf den das Budget
der Weltausstellung die größten Hoffnungen gesetzt hatte.

Der Turnierplatz der Arbeit sollte den Schaubuden, den Cafe chantcmts,
den Restaurationen keinen Raum gewähren. Was letztere anlangt, die nicht
gut ganz und gar von dem Marsfelde ausgeschlossen werden konnten, so hat
mau sich auf die denkbar geringste Zahl beschränkt. Die einzelnen Restaurants
liegen fast eine halbe Stunde Weges von einander entfernt. Im Laufe der
Zeit sah sich Herr Kreutz allerdings genöthigt, dem Drängen der Presse und
des Publikums nachzugeben und weitere Installationen zu gestatten. Die
Musik war Anfangs offiziell völlig aus der Umfriedigung des Ausstellungs¬
raumes verbannt. Eine Zigeunerbande, wie sie in Oesterreich und Ungarn
aus Märkten und Gassen aufzuspielen Pflegt, siedelte sich in einer ungarischen
Czarda an und spielte Tag für Tag unverdrossen ihre Tänze und Märsche.
Was unter gewöhnlichen Umständen unbeachtet geblieben wäre, wurde auf
dem Marsfelde, wo das Ohr im Uebrigen nur auf das Rasseln der Maschinen
und auf das fürchterliche Getöse eines Schweizer Glockenspiels angewiesen war,
das immer und ewig Weisen ans der,M11v alö Naclamv ^Q^ot" ableierte, zum
Ereigniß des Tages. Ganz Paris -- und das darf sich Herr Kreutz auch
auf sein Sündenregister schreiben -- litt vierzehn Tage lang am Zigeuner¬
schwindel. Der Prinz von Wales, der gern auf eigene Hand die Weltaus¬
stellung durchstreifte, verschmähte es nicht, sich mit seiner Gemahlin auf einem
Balken vor der ungarischen Czarda niederzulassen und eine Weile den Klängen
der Zigeunermusik zu lauschen. Damit war das Signal gegeben. Die In¬
haber der Konzertlokale eröffneten einen Sturmlauf gegen die braunen Musikanten.
Die unglücklichen Söhne der Pnßta wurden durch die vornehmsten Salons
gezogen und mit Champagner und Austern gefüttert, ja sie mußten -- und
das war das Schlimmste, das ihnen widerfahren konnte -- den Redakteuren
des "Figaro" als unfreiwillige Reklame dienen, die in ihrem glänzenden Hause
in der Rue de l'Hotel Drouot ein rauschendes Fest gaben, dessen Mittelpunkt
die Zigeuner bildeten.

Acht Tage darauf waren die Helden ^des Tages vergessen. Anfang
Juni wurden erst die offiziellen Concerte eröffnet, die allwöchentlich mehrere
Male im Festsaale des Trocaderopcilastes gegen besonderes Entree stattfinden
werden. Diese Concerte waren mit einer Emphase, von der sich unsere werthen


Der Generalkommissar Krautz und das Heer seiner Unterbeamten haben gezeigt,
daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren, und wenn trotzdem so Großes
gelungen ist, so ist es mehr dem Eifer der fremden Kommissare zu danken als
der Initiative der französischen, die nirgends zu Ende kommen konnten. Da¬
durch daß die früher gemachten Erfahrungen prinzipiell ignorirt wurden, hat
am meisten das Publikum gelitten, also derjenige Theil, auf den das Budget
der Weltausstellung die größten Hoffnungen gesetzt hatte.

Der Turnierplatz der Arbeit sollte den Schaubuden, den Cafe chantcmts,
den Restaurationen keinen Raum gewähren. Was letztere anlangt, die nicht
gut ganz und gar von dem Marsfelde ausgeschlossen werden konnten, so hat
mau sich auf die denkbar geringste Zahl beschränkt. Die einzelnen Restaurants
liegen fast eine halbe Stunde Weges von einander entfernt. Im Laufe der
Zeit sah sich Herr Kreutz allerdings genöthigt, dem Drängen der Presse und
des Publikums nachzugeben und weitere Installationen zu gestatten. Die
Musik war Anfangs offiziell völlig aus der Umfriedigung des Ausstellungs¬
raumes verbannt. Eine Zigeunerbande, wie sie in Oesterreich und Ungarn
aus Märkten und Gassen aufzuspielen Pflegt, siedelte sich in einer ungarischen
Czarda an und spielte Tag für Tag unverdrossen ihre Tänze und Märsche.
Was unter gewöhnlichen Umständen unbeachtet geblieben wäre, wurde auf
dem Marsfelde, wo das Ohr im Uebrigen nur auf das Rasseln der Maschinen
und auf das fürchterliche Getöse eines Schweizer Glockenspiels angewiesen war,
das immer und ewig Weisen ans der,M11v alö Naclamv ^Q^ot" ableierte, zum
Ereigniß des Tages. Ganz Paris — und das darf sich Herr Kreutz auch
auf sein Sündenregister schreiben — litt vierzehn Tage lang am Zigeuner¬
schwindel. Der Prinz von Wales, der gern auf eigene Hand die Weltaus¬
stellung durchstreifte, verschmähte es nicht, sich mit seiner Gemahlin auf einem
Balken vor der ungarischen Czarda niederzulassen und eine Weile den Klängen
der Zigeunermusik zu lauschen. Damit war das Signal gegeben. Die In¬
haber der Konzertlokale eröffneten einen Sturmlauf gegen die braunen Musikanten.
Die unglücklichen Söhne der Pnßta wurden durch die vornehmsten Salons
gezogen und mit Champagner und Austern gefüttert, ja sie mußten — und
das war das Schlimmste, das ihnen widerfahren konnte — den Redakteuren
des „Figaro" als unfreiwillige Reklame dienen, die in ihrem glänzenden Hause
in der Rue de l'Hotel Drouot ein rauschendes Fest gaben, dessen Mittelpunkt
die Zigeuner bildeten.

Acht Tage darauf waren die Helden ^des Tages vergessen. Anfang
Juni wurden erst die offiziellen Concerte eröffnet, die allwöchentlich mehrere
Male im Festsaale des Trocaderopcilastes gegen besonderes Entree stattfinden
werden. Diese Concerte waren mit einer Emphase, von der sich unsere werthen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/36>, abgerufen am 05.02.2025.