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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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mit alter Liebe durchgeführten Details, den Gerathen, den marmornen Fu߬
böden u. s. w. satt gesehen hat. Ein türkisches Bad mit einer Perle des
Harems und ein zweites, größeres Bad mit einer ganzen Schaar von Oda-
lisken zeigen uns den Meister noch von seiner besten Seite.

Ein dritter Maler, Namens Moreau, ist deshalb hier zu erwähnen, weil
er das Unglück gehabt hat, durch die Berührung mit dem Orient den Verstand
zu verlieren. Nichtsdestoweniger ist er bereits vier Mal dekorirt worden.
Seine Bilder gehören eigentlich mehr in ein Museum für pathologische Ab¬
normitäten als in eine Gemäldegalerie. Er sieht nämlich die Gestalten der
antiken Mythe und des alten Testaments mit den Augen eines Persers an
d. h. er kleidet, wo es etwas zu bekleiden giebt, seine Figuren in die aben¬
teuerlichsten persischen Kostüme, setzt sie in persische Tempel und läßt durch alle
Fenster, Ritzen und sonstigen Oeffnungen Lichtströme in das Innere hinein¬
fließen, die man für Schwefeldämpfe hält. So tanzt z. B. auf einem Bilde
Salome vor Herodes, der auf seinem Throne dasitzt, ausgeputzt und mit Juwelen
behängt wie ein indisches Götzenbild. Und nun stelle man sich den komischen
Eindruck vor, wenn ein Maler von dieser Geschmacksrichtung Herkules im
Kampfe mit der Hydra und Oedipus vor der Sphinx malt, die sich eben an¬
schickt, von dem Felsen herabzuspringen.

Wie Moreau für die gelbe Farbe und den Orient, so schwärmt Le Roux,
ein gleichfalls viermal dekorirter Maler, für die weiße Farbe und das klassische
Alterthum. Nicht zufrieden damit, uns drei Tempelszenen gemalt zu haben,
auf denen es von Priesterinnen in weißen Gewändern wimmelt, sührt er uns
sämmtliche fünfzig Töchter des Danaos in zwei langen, parallel tief in das
Bild hinein laufenden Zügen vor, wie sie eben beschäftigt sind, an dem öden
Felsenufer des Acheron Wasser zu schöpfen und das kecke Faß zu füllen.
Fünfzig weißgekleidete Jungfrauen in zwei langen Reihen nebeneinander!

Die französische Landschaftsmalerei ist auf der Ausstellung nicht besonders
glänzend vertreten. Und doch fehlt nicht ein einziger Träger eines berühmten
Namens. Hätte sie überhaupt, möchte man weiter fragen, besser vertreten sein
können als sie es in der That ist? Ich möchte, auf die Gefahr hin, eine
Ketzerei zu begehen, mit einem vollen Nein! antworten.

In der modernen Landschaftsmalerei Frankreich's hat bekanntlich diejenige
Richtung den Sieg davongetragen, die, von Courbet inaugurirt, von dem jüngst
verstorbenen Daubigny ausgebildet und in ein förmliches System gebracht
worden ist. Diese moderne realistische Schule sieht, um es kurz zu sagen, in
der Natur nicht die Form, das Einzelne, das Wesen, sondern etwas Gestimmtes,
eine Masse, den Schein. Sie verzichtet deshalb auf die Wiedergabe des Ein¬
zelnen, eines Baumes oder eines Felsens, durch die Zeichnung und giebt nur


mit alter Liebe durchgeführten Details, den Gerathen, den marmornen Fu߬
böden u. s. w. satt gesehen hat. Ein türkisches Bad mit einer Perle des
Harems und ein zweites, größeres Bad mit einer ganzen Schaar von Oda-
lisken zeigen uns den Meister noch von seiner besten Seite.

Ein dritter Maler, Namens Moreau, ist deshalb hier zu erwähnen, weil
er das Unglück gehabt hat, durch die Berührung mit dem Orient den Verstand
zu verlieren. Nichtsdestoweniger ist er bereits vier Mal dekorirt worden.
Seine Bilder gehören eigentlich mehr in ein Museum für pathologische Ab¬
normitäten als in eine Gemäldegalerie. Er sieht nämlich die Gestalten der
antiken Mythe und des alten Testaments mit den Augen eines Persers an
d. h. er kleidet, wo es etwas zu bekleiden giebt, seine Figuren in die aben¬
teuerlichsten persischen Kostüme, setzt sie in persische Tempel und läßt durch alle
Fenster, Ritzen und sonstigen Oeffnungen Lichtströme in das Innere hinein¬
fließen, die man für Schwefeldämpfe hält. So tanzt z. B. auf einem Bilde
Salome vor Herodes, der auf seinem Throne dasitzt, ausgeputzt und mit Juwelen
behängt wie ein indisches Götzenbild. Und nun stelle man sich den komischen
Eindruck vor, wenn ein Maler von dieser Geschmacksrichtung Herkules im
Kampfe mit der Hydra und Oedipus vor der Sphinx malt, die sich eben an¬
schickt, von dem Felsen herabzuspringen.

Wie Moreau für die gelbe Farbe und den Orient, so schwärmt Le Roux,
ein gleichfalls viermal dekorirter Maler, für die weiße Farbe und das klassische
Alterthum. Nicht zufrieden damit, uns drei Tempelszenen gemalt zu haben,
auf denen es von Priesterinnen in weißen Gewändern wimmelt, sührt er uns
sämmtliche fünfzig Töchter des Danaos in zwei langen, parallel tief in das
Bild hinein laufenden Zügen vor, wie sie eben beschäftigt sind, an dem öden
Felsenufer des Acheron Wasser zu schöpfen und das kecke Faß zu füllen.
Fünfzig weißgekleidete Jungfrauen in zwei langen Reihen nebeneinander!

Die französische Landschaftsmalerei ist auf der Ausstellung nicht besonders
glänzend vertreten. Und doch fehlt nicht ein einziger Träger eines berühmten
Namens. Hätte sie überhaupt, möchte man weiter fragen, besser vertreten sein
können als sie es in der That ist? Ich möchte, auf die Gefahr hin, eine
Ketzerei zu begehen, mit einem vollen Nein! antworten.

In der modernen Landschaftsmalerei Frankreich's hat bekanntlich diejenige
Richtung den Sieg davongetragen, die, von Courbet inaugurirt, von dem jüngst
verstorbenen Daubigny ausgebildet und in ein förmliches System gebracht
worden ist. Diese moderne realistische Schule sieht, um es kurz zu sagen, in
der Natur nicht die Form, das Einzelne, das Wesen, sondern etwas Gestimmtes,
eine Masse, den Schein. Sie verzichtet deshalb auf die Wiedergabe des Ein¬
zelnen, eines Baumes oder eines Felsens, durch die Zeichnung und giebt nur


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[0356] mit alter Liebe durchgeführten Details, den Gerathen, den marmornen Fu߬ böden u. s. w. satt gesehen hat. Ein türkisches Bad mit einer Perle des Harems und ein zweites, größeres Bad mit einer ganzen Schaar von Oda- lisken zeigen uns den Meister noch von seiner besten Seite. Ein dritter Maler, Namens Moreau, ist deshalb hier zu erwähnen, weil er das Unglück gehabt hat, durch die Berührung mit dem Orient den Verstand zu verlieren. Nichtsdestoweniger ist er bereits vier Mal dekorirt worden. Seine Bilder gehören eigentlich mehr in ein Museum für pathologische Ab¬ normitäten als in eine Gemäldegalerie. Er sieht nämlich die Gestalten der antiken Mythe und des alten Testaments mit den Augen eines Persers an d. h. er kleidet, wo es etwas zu bekleiden giebt, seine Figuren in die aben¬ teuerlichsten persischen Kostüme, setzt sie in persische Tempel und läßt durch alle Fenster, Ritzen und sonstigen Oeffnungen Lichtströme in das Innere hinein¬ fließen, die man für Schwefeldämpfe hält. So tanzt z. B. auf einem Bilde Salome vor Herodes, der auf seinem Throne dasitzt, ausgeputzt und mit Juwelen behängt wie ein indisches Götzenbild. Und nun stelle man sich den komischen Eindruck vor, wenn ein Maler von dieser Geschmacksrichtung Herkules im Kampfe mit der Hydra und Oedipus vor der Sphinx malt, die sich eben an¬ schickt, von dem Felsen herabzuspringen. Wie Moreau für die gelbe Farbe und den Orient, so schwärmt Le Roux, ein gleichfalls viermal dekorirter Maler, für die weiße Farbe und das klassische Alterthum. Nicht zufrieden damit, uns drei Tempelszenen gemalt zu haben, auf denen es von Priesterinnen in weißen Gewändern wimmelt, sührt er uns sämmtliche fünfzig Töchter des Danaos in zwei langen, parallel tief in das Bild hinein laufenden Zügen vor, wie sie eben beschäftigt sind, an dem öden Felsenufer des Acheron Wasser zu schöpfen und das kecke Faß zu füllen. Fünfzig weißgekleidete Jungfrauen in zwei langen Reihen nebeneinander! Die französische Landschaftsmalerei ist auf der Ausstellung nicht besonders glänzend vertreten. Und doch fehlt nicht ein einziger Träger eines berühmten Namens. Hätte sie überhaupt, möchte man weiter fragen, besser vertreten sein können als sie es in der That ist? Ich möchte, auf die Gefahr hin, eine Ketzerei zu begehen, mit einem vollen Nein! antworten. In der modernen Landschaftsmalerei Frankreich's hat bekanntlich diejenige Richtung den Sieg davongetragen, die, von Courbet inaugurirt, von dem jüngst verstorbenen Daubigny ausgebildet und in ein förmliches System gebracht worden ist. Diese moderne realistische Schule sieht, um es kurz zu sagen, in der Natur nicht die Form, das Einzelne, das Wesen, sondern etwas Gestimmtes, eine Masse, den Schein. Sie verzichtet deshalb auf die Wiedergabe des Ein¬ zelnen, eines Baumes oder eines Felsens, durch die Zeichnung und giebt nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/356>, abgerufen am 22.07.2024.