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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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uns Goethe's Dorothea denken, Mäher, die sich zur Mittagsruhe auf eine saft¬
grüne Wiese gestreckt haben, während das Sonnenlicht durch die schützenden
Zweige aus die Schläfer sällt, eine heimkehrende Schnitterin, die von der Abend¬
sonne beleuchtet wird, Fischer am Strande des mittelländischen Meeres -- fast
alle in Figuren wenig unter Lebensgröße, die von einem feinen Schönheits¬
gefühl und von einer vornehmen, poetischen Auffassung der Natur zeugen.

Obwohl, wie wir in der Schilderung der Schreckensherrschaft in der fran¬
zösischen Historienmalerei gesehen haben, die Bekanntschaft mit dem Orient den
meisten Malern zum Verderben ausgeschlagen hat, fehlt es auf der anderen
Seite auch nicht an solchen, die reelle Vortheile für ihre Kunst, insbesondere
sür ihre Palette mitgebracht haben. Zu ihnen gehört in erster Linie L. Leloir,
ein junger Künstler, dessen Name bisher nicht über die Bannmeile von Paris
hinausgedrungen war und der nun mit einem Male in aller Munde ist. Es sind
sechs kleine Blätter in Aquarell, denen er seinen schnell erworbenen Weltruhm
verdankt, sechs Portraits von Odalisken, die der Maler jedoch, der Gewohnheit
seiner Kollegen zuwider, vollständig kostümirt hat. Es sind, wenn man will'
sechs Apotheosen des süßen Nichtsthuns, diese süßen, pikanten Blumen des
Orients, die einen förmlich berauschenden Duft ausströmen. Die eine spielt
mit weißen Mäusen, die andere mit einem blauen Vogel, die dritte bläst die
Flöte -- alle lagern sie auf schwellenden Divans, von einem Schwall von Seide,
Mousselin, Brokat und köstlichem Geschmeide umgeben. Mit der Schärfe des
Zeichenstifts hat Leloir's geistreicher Pinsel die verschiedenartigen Komplexionen
dieser Geschöpfe charakterisirt und zugleich eine Leuchtkraft der Farbe entfaltet,
die ihm einen Platz uuter den ersten Aquarellisten des Marsseldes -- und das
sind die ersten Aquarellisten der Welt -- anweist.

Daß Leloir ein ebenso gewandter Oelmaler ist, zeigt eine Reihe kleiner
Genrebilder, von denen das originellste eine Versuchung des heiligen Antonius,
das farbenreichste ein Taufgang mit Figuren in Kostümen des vorigen Jahr¬
hunderts ist. Der alte Einsiedler wird nicht wie auf deu Bildern des alten
Breughel und Teniers von allerhand phantastischem Höllenspuk geplagt, sondern
zwei verteufelt hübsche Mädchen, denen man ihre höllische Provenienz nicht im
geringsten ansieht, machen sich um den Alten zu schaffen, der kaum noch Wider¬
stand zu leisten vermag und sich wie ein Verzweifelter an ein in den Boden
getriebenes Kreuz festklammert.

Neben diesem neu aufgetauchten, glänzenden Gestirn verbleicht selbst der
alte Orientmaler Gerome, noch einer von der klassischen Tradition, ein Schüler
von Delaroche. Seine glatten, sauberen Bildchen zeigen zwar noch den alten
Farbenglanz, die alte Fähigkeit, ungemein zart und fein zu modelliren, aber
zugleich eine akademische Kälte, die empfindlich wirkt, wenn man sich an den


uns Goethe's Dorothea denken, Mäher, die sich zur Mittagsruhe auf eine saft¬
grüne Wiese gestreckt haben, während das Sonnenlicht durch die schützenden
Zweige aus die Schläfer sällt, eine heimkehrende Schnitterin, die von der Abend¬
sonne beleuchtet wird, Fischer am Strande des mittelländischen Meeres — fast
alle in Figuren wenig unter Lebensgröße, die von einem feinen Schönheits¬
gefühl und von einer vornehmen, poetischen Auffassung der Natur zeugen.

Obwohl, wie wir in der Schilderung der Schreckensherrschaft in der fran¬
zösischen Historienmalerei gesehen haben, die Bekanntschaft mit dem Orient den
meisten Malern zum Verderben ausgeschlagen hat, fehlt es auf der anderen
Seite auch nicht an solchen, die reelle Vortheile für ihre Kunst, insbesondere
sür ihre Palette mitgebracht haben. Zu ihnen gehört in erster Linie L. Leloir,
ein junger Künstler, dessen Name bisher nicht über die Bannmeile von Paris
hinausgedrungen war und der nun mit einem Male in aller Munde ist. Es sind
sechs kleine Blätter in Aquarell, denen er seinen schnell erworbenen Weltruhm
verdankt, sechs Portraits von Odalisken, die der Maler jedoch, der Gewohnheit
seiner Kollegen zuwider, vollständig kostümirt hat. Es sind, wenn man will'
sechs Apotheosen des süßen Nichtsthuns, diese süßen, pikanten Blumen des
Orients, die einen förmlich berauschenden Duft ausströmen. Die eine spielt
mit weißen Mäusen, die andere mit einem blauen Vogel, die dritte bläst die
Flöte — alle lagern sie auf schwellenden Divans, von einem Schwall von Seide,
Mousselin, Brokat und köstlichem Geschmeide umgeben. Mit der Schärfe des
Zeichenstifts hat Leloir's geistreicher Pinsel die verschiedenartigen Komplexionen
dieser Geschöpfe charakterisirt und zugleich eine Leuchtkraft der Farbe entfaltet,
die ihm einen Platz uuter den ersten Aquarellisten des Marsseldes — und das
sind die ersten Aquarellisten der Welt — anweist.

Daß Leloir ein ebenso gewandter Oelmaler ist, zeigt eine Reihe kleiner
Genrebilder, von denen das originellste eine Versuchung des heiligen Antonius,
das farbenreichste ein Taufgang mit Figuren in Kostümen des vorigen Jahr¬
hunderts ist. Der alte Einsiedler wird nicht wie auf deu Bildern des alten
Breughel und Teniers von allerhand phantastischem Höllenspuk geplagt, sondern
zwei verteufelt hübsche Mädchen, denen man ihre höllische Provenienz nicht im
geringsten ansieht, machen sich um den Alten zu schaffen, der kaum noch Wider¬
stand zu leisten vermag und sich wie ein Verzweifelter an ein in den Boden
getriebenes Kreuz festklammert.

Neben diesem neu aufgetauchten, glänzenden Gestirn verbleicht selbst der
alte Orientmaler Gerome, noch einer von der klassischen Tradition, ein Schüler
von Delaroche. Seine glatten, sauberen Bildchen zeigen zwar noch den alten
Farbenglanz, die alte Fähigkeit, ungemein zart und fein zu modelliren, aber
zugleich eine akademische Kälte, die empfindlich wirkt, wenn man sich an den


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[0355] uns Goethe's Dorothea denken, Mäher, die sich zur Mittagsruhe auf eine saft¬ grüne Wiese gestreckt haben, während das Sonnenlicht durch die schützenden Zweige aus die Schläfer sällt, eine heimkehrende Schnitterin, die von der Abend¬ sonne beleuchtet wird, Fischer am Strande des mittelländischen Meeres — fast alle in Figuren wenig unter Lebensgröße, die von einem feinen Schönheits¬ gefühl und von einer vornehmen, poetischen Auffassung der Natur zeugen. Obwohl, wie wir in der Schilderung der Schreckensherrschaft in der fran¬ zösischen Historienmalerei gesehen haben, die Bekanntschaft mit dem Orient den meisten Malern zum Verderben ausgeschlagen hat, fehlt es auf der anderen Seite auch nicht an solchen, die reelle Vortheile für ihre Kunst, insbesondere sür ihre Palette mitgebracht haben. Zu ihnen gehört in erster Linie L. Leloir, ein junger Künstler, dessen Name bisher nicht über die Bannmeile von Paris hinausgedrungen war und der nun mit einem Male in aller Munde ist. Es sind sechs kleine Blätter in Aquarell, denen er seinen schnell erworbenen Weltruhm verdankt, sechs Portraits von Odalisken, die der Maler jedoch, der Gewohnheit seiner Kollegen zuwider, vollständig kostümirt hat. Es sind, wenn man will' sechs Apotheosen des süßen Nichtsthuns, diese süßen, pikanten Blumen des Orients, die einen förmlich berauschenden Duft ausströmen. Die eine spielt mit weißen Mäusen, die andere mit einem blauen Vogel, die dritte bläst die Flöte — alle lagern sie auf schwellenden Divans, von einem Schwall von Seide, Mousselin, Brokat und köstlichem Geschmeide umgeben. Mit der Schärfe des Zeichenstifts hat Leloir's geistreicher Pinsel die verschiedenartigen Komplexionen dieser Geschöpfe charakterisirt und zugleich eine Leuchtkraft der Farbe entfaltet, die ihm einen Platz uuter den ersten Aquarellisten des Marsseldes — und das sind die ersten Aquarellisten der Welt — anweist. Daß Leloir ein ebenso gewandter Oelmaler ist, zeigt eine Reihe kleiner Genrebilder, von denen das originellste eine Versuchung des heiligen Antonius, das farbenreichste ein Taufgang mit Figuren in Kostümen des vorigen Jahr¬ hunderts ist. Der alte Einsiedler wird nicht wie auf deu Bildern des alten Breughel und Teniers von allerhand phantastischem Höllenspuk geplagt, sondern zwei verteufelt hübsche Mädchen, denen man ihre höllische Provenienz nicht im geringsten ansieht, machen sich um den Alten zu schaffen, der kaum noch Wider¬ stand zu leisten vermag und sich wie ein Verzweifelter an ein in den Boden getriebenes Kreuz festklammert. Neben diesem neu aufgetauchten, glänzenden Gestirn verbleicht selbst der alte Orientmaler Gerome, noch einer von der klassischen Tradition, ein Schüler von Delaroche. Seine glatten, sauberen Bildchen zeigen zwar noch den alten Farbenglanz, die alte Fähigkeit, ungemein zart und fein zu modelliren, aber zugleich eine akademische Kälte, die empfindlich wirkt, wenn man sich an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/355>, abgerufen am 22.07.2024.