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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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blicken wie gewöhnlich scharf und durchdringend, aber mit gramvollen Aus¬
druck vorwärts. Ans diesen pergamentenen Zügen liest man die Geschichte eines
kummervollen Jahrzehnts: man fühlt, daß man vor dem Bilde einer historischen
Größe, mithin vor einem echten Historienbilde steht, einem Bilde von so über¬
wältigender Wahrheit, wie es vielleicht kein zweites unter den zweitausend Ge¬
mälden auf dem Marsfelde giebt. Mit großer Selbstverleugnung hat der
Maler auf jeden Effekt verzichtet: ein schwarzer, bis obenhin zugeknöpfter Ueber¬
rock, ein dunkelvioletter Fond, und nur auf den grandiosen Kopf fällt von
oben herab ein volles, aber mildes Licht.

Der Nimbus, der heute das Haupt des Staatsmannes umstrahlt, ist selbst¬
verständlich noch um vieles Heller als vor einem Jahre. Man hat dem Bilde,
das den Typus seines Angesichts ein für allemal festgestellt nud volksthümlich
gemacht hat, einen Platz, den besten, in dem Ehrensaale der Kunsthalle auf
dem Marsfelde angewiesen, dort wo die Bilder Meissouier's des Großen in
langer Reihe neben einander hängen. Wenn man aus dem reizenden Blumen¬
garten, der den Pavillon der Stadt Paris umgiebt, durch das monumentale Portal
in die Kunsthalle tritt, fällt der Blick des Eintretenden zuerst auf das ehrwür¬
dige Gesicht, das sich wie ein leuchtendes Gestirn vom dunklen Firmamente abhebt.

Leider ist der Mann, vor dem, sowie er uns hier entgegentritt, selbst der¬
jenige Ehrfurcht und Bewunderung empfinden wird, der sein politischer Gegner
gewesen ist, nicht in die beste Gesellschaft gerathen. Nicht durch seine Schuld,
sondern vielmehr durch die seines Malers, der es nicht verschmäht hat, seineu
Pinsel einem so übelberufeuen Manne wie Don Carlos dienstbar zu machen.
So kam es, daß einer der persönlich unbescholtensten Männer der neueren Ge¬
schichte in denselben Saal mit einem verabscheuungswürdigen Abenteurer ge¬
kommen ist, weil der Maler nach dem Grundsatze: Kor sist! die Dukaten des
letzteren mit Behagen eingestrichen hat, vielleicht auch das pikante Sujet be¬
nutzen wollte, um in der internationalen Gesellschaft von Paris ein bischen
Sensation zu machen. Es läßt sich, wie man sieht, die Geschichte kaum eiues
großen, französischen Künstlers erzählen, ohne daß ein häßlicher Flecken sein
Charakterbild entstellt.

Die Modemaler, die auf der Wiener Weltausstellung so viel Aufsehen er¬
regten, sind auffällig zurückgegangen. Carolus Duran, der gefeiertste unter
ihnen, hat sich eine brutale Mache angewöhnt, die sich in den schreiendsten
Farbenkontrasten bewegt. Das tollste Beispiel dafür ist das sutant KIsu, rich¬
tiger hieße es l'siMut törrMs, das auf dem "Salon" von 1873 den Schrecken
der Besucher bildete: ein etwa fünfjähriger Knabe in dunkelblauem Kleide, der
sich von einer himmelblauen Wand abhebt und auf einem zeistggrünen Teppich
steht. Auch Neue Jacquemart, die durch die Portraits des damaligen Unter-


blicken wie gewöhnlich scharf und durchdringend, aber mit gramvollen Aus¬
druck vorwärts. Ans diesen pergamentenen Zügen liest man die Geschichte eines
kummervollen Jahrzehnts: man fühlt, daß man vor dem Bilde einer historischen
Größe, mithin vor einem echten Historienbilde steht, einem Bilde von so über¬
wältigender Wahrheit, wie es vielleicht kein zweites unter den zweitausend Ge¬
mälden auf dem Marsfelde giebt. Mit großer Selbstverleugnung hat der
Maler auf jeden Effekt verzichtet: ein schwarzer, bis obenhin zugeknöpfter Ueber¬
rock, ein dunkelvioletter Fond, und nur auf den grandiosen Kopf fällt von
oben herab ein volles, aber mildes Licht.

Der Nimbus, der heute das Haupt des Staatsmannes umstrahlt, ist selbst¬
verständlich noch um vieles Heller als vor einem Jahre. Man hat dem Bilde,
das den Typus seines Angesichts ein für allemal festgestellt nud volksthümlich
gemacht hat, einen Platz, den besten, in dem Ehrensaale der Kunsthalle auf
dem Marsfelde angewiesen, dort wo die Bilder Meissouier's des Großen in
langer Reihe neben einander hängen. Wenn man aus dem reizenden Blumen¬
garten, der den Pavillon der Stadt Paris umgiebt, durch das monumentale Portal
in die Kunsthalle tritt, fällt der Blick des Eintretenden zuerst auf das ehrwür¬
dige Gesicht, das sich wie ein leuchtendes Gestirn vom dunklen Firmamente abhebt.

Leider ist der Mann, vor dem, sowie er uns hier entgegentritt, selbst der¬
jenige Ehrfurcht und Bewunderung empfinden wird, der sein politischer Gegner
gewesen ist, nicht in die beste Gesellschaft gerathen. Nicht durch seine Schuld,
sondern vielmehr durch die seines Malers, der es nicht verschmäht hat, seineu
Pinsel einem so übelberufeuen Manne wie Don Carlos dienstbar zu machen.
So kam es, daß einer der persönlich unbescholtensten Männer der neueren Ge¬
schichte in denselben Saal mit einem verabscheuungswürdigen Abenteurer ge¬
kommen ist, weil der Maler nach dem Grundsatze: Kor sist! die Dukaten des
letzteren mit Behagen eingestrichen hat, vielleicht auch das pikante Sujet be¬
nutzen wollte, um in der internationalen Gesellschaft von Paris ein bischen
Sensation zu machen. Es läßt sich, wie man sieht, die Geschichte kaum eiues
großen, französischen Künstlers erzählen, ohne daß ein häßlicher Flecken sein
Charakterbild entstellt.

Die Modemaler, die auf der Wiener Weltausstellung so viel Aufsehen er¬
regten, sind auffällig zurückgegangen. Carolus Duran, der gefeiertste unter
ihnen, hat sich eine brutale Mache angewöhnt, die sich in den schreiendsten
Farbenkontrasten bewegt. Das tollste Beispiel dafür ist das sutant KIsu, rich¬
tiger hieße es l'siMut törrMs, das auf dem „Salon" von 1873 den Schrecken
der Besucher bildete: ein etwa fünfjähriger Knabe in dunkelblauem Kleide, der
sich von einer himmelblauen Wand abhebt und auf einem zeistggrünen Teppich
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[0351] blicken wie gewöhnlich scharf und durchdringend, aber mit gramvollen Aus¬ druck vorwärts. Ans diesen pergamentenen Zügen liest man die Geschichte eines kummervollen Jahrzehnts: man fühlt, daß man vor dem Bilde einer historischen Größe, mithin vor einem echten Historienbilde steht, einem Bilde von so über¬ wältigender Wahrheit, wie es vielleicht kein zweites unter den zweitausend Ge¬ mälden auf dem Marsfelde giebt. Mit großer Selbstverleugnung hat der Maler auf jeden Effekt verzichtet: ein schwarzer, bis obenhin zugeknöpfter Ueber¬ rock, ein dunkelvioletter Fond, und nur auf den grandiosen Kopf fällt von oben herab ein volles, aber mildes Licht. Der Nimbus, der heute das Haupt des Staatsmannes umstrahlt, ist selbst¬ verständlich noch um vieles Heller als vor einem Jahre. Man hat dem Bilde, das den Typus seines Angesichts ein für allemal festgestellt nud volksthümlich gemacht hat, einen Platz, den besten, in dem Ehrensaale der Kunsthalle auf dem Marsfelde angewiesen, dort wo die Bilder Meissouier's des Großen in langer Reihe neben einander hängen. Wenn man aus dem reizenden Blumen¬ garten, der den Pavillon der Stadt Paris umgiebt, durch das monumentale Portal in die Kunsthalle tritt, fällt der Blick des Eintretenden zuerst auf das ehrwür¬ dige Gesicht, das sich wie ein leuchtendes Gestirn vom dunklen Firmamente abhebt. Leider ist der Mann, vor dem, sowie er uns hier entgegentritt, selbst der¬ jenige Ehrfurcht und Bewunderung empfinden wird, der sein politischer Gegner gewesen ist, nicht in die beste Gesellschaft gerathen. Nicht durch seine Schuld, sondern vielmehr durch die seines Malers, der es nicht verschmäht hat, seineu Pinsel einem so übelberufeuen Manne wie Don Carlos dienstbar zu machen. So kam es, daß einer der persönlich unbescholtensten Männer der neueren Ge¬ schichte in denselben Saal mit einem verabscheuungswürdigen Abenteurer ge¬ kommen ist, weil der Maler nach dem Grundsatze: Kor sist! die Dukaten des letzteren mit Behagen eingestrichen hat, vielleicht auch das pikante Sujet be¬ nutzen wollte, um in der internationalen Gesellschaft von Paris ein bischen Sensation zu machen. Es läßt sich, wie man sieht, die Geschichte kaum eiues großen, französischen Künstlers erzählen, ohne daß ein häßlicher Flecken sein Charakterbild entstellt. Die Modemaler, die auf der Wiener Weltausstellung so viel Aufsehen er¬ regten, sind auffällig zurückgegangen. Carolus Duran, der gefeiertste unter ihnen, hat sich eine brutale Mache angewöhnt, die sich in den schreiendsten Farbenkontrasten bewegt. Das tollste Beispiel dafür ist das sutant KIsu, rich¬ tiger hieße es l'siMut törrMs, das auf dem „Salon" von 1873 den Schrecken der Besucher bildete: ein etwa fünfjähriger Knabe in dunkelblauem Kleide, der sich von einer himmelblauen Wand abhebt und auf einem zeistggrünen Teppich steht. Auch Neue Jacquemart, die durch die Portraits des damaligen Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/351>, abgerufen am 22.07.2024.