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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Junius Werke "of xiotrun vstsruw", das bis auf Winckelmann ja so ziem¬
lich als das archäologische Fundamentalwerk galt, und andrerseits mit Winckel-
mann's Schriften die Stellung Christ's innerhalb der geschichtlichen Entwicklung
der Alterthumswissenschaft genauer zu prücisiren. Denn das ist es wohl vor
Allem, was Justi im Auge hatte, wenn er schrieb: "Christ verdiente eine
Monographie." --

Noch eine seitab liegende Bemerkung mag hier ausgesprochen sein, die bei
der Lectüre der vorliegenden Schrift sich uns aufgedrängt hat. Das Büchlein,
dem die vorstehenden Auszüge entlehnt sind, ist eine von der Universität
Leipzig approbirte philologische Doktordissertation -- "nur eine Doktordisser¬
tation", um die Worte zu zitiren, mit denen einst ein Professor im Kolleg die
Erstlingsschrift eines jungen Gelehrten erwähnte. Auf einen großen Theil
jener LpsciroinÄ sriMtionis, die Jahr aus Jahr ein als "Dissertationen"
in die Welt geschickt werden, paßt der geringschätzige Ausdruck allerdings.
Seit in der philologischen Wissenschaft die sprachwissenschaftliche Richtung
präponderirt, dreht sich ein starker Bruchtheil aller philologischen Dissertationen
um jene statistischen Untersuchungen auf dem Gebiete der griechischen und
lateinischen Grammatik, der Formenlehre sowohl wie der Syntax, die dem
Studenten oft ganze Jahre seiner kostbaren Studienzeit kosten und deren Resultat
schließlich in der Regel sich in zwei Zeilen zusammenfassen läßt. Schon vom
zweiten oder dritten Semester an verrennt sich jetzt ein guter Theil unserer
Philologiestudirenden in der einseitigsten Weise in derartige grammatische
Specialstudien, anstatt sich vor allen Dingen in sämmtlichen philologischen
Disziplinen gehörig umzusehen, sich in der Geschichte, der Cultur-, Literatur-
und Kunstgeschichte der Völker des klassischen Alterthums heimisch zu machen
und viel, möglichst viel von den alten Autoren selbst zu lesen. Wenn
man bedenkt, daß mindestens neun Zehntel aller Philologiestudirenden später
Lehrer werden, und nur dem kleinen Rest es gelingt, das höchste aller irdischen
Ziele zu erreichen und "sich zu habilitiren", so ist diese Thatsache im Interesse
der Betreffenden selbst, vor allem aber auch im Interesse der Schule tief zu
beklagen. Kann es als die Vorbereitung auf ein zukünftiges Lehramt betrachtet
werden, wenn der Student vier, fünf Semester lang alle freie Zeit, die ihm
vom Kollegienhören übrig bleibt, -- und wie viel hört denn solch ein stolzer
Jüngling noch Kollegien, dem schon die "Doktorarbeit" im Kopfe und die
Visitenkarte mit dem Dr. xtul. vor dem Namen in der Brieftasche steckt? --
darüber versitzt, daß er statistische Untersuchungen über die Rettion irgend
einer griechischen Präposition oder einer lateinischen Cvnjnnttion anstellt?
Doetorss werden ans diese Weise wohl fertig, aber leider keine ?rg,6esxt0i'6L.
Im Schulamte gehen dann den jungen Doktoren erst die Angen auf über das,


Junius Werke „of xiotrun vstsruw", das bis auf Winckelmann ja so ziem¬
lich als das archäologische Fundamentalwerk galt, und andrerseits mit Winckel-
mann's Schriften die Stellung Christ's innerhalb der geschichtlichen Entwicklung
der Alterthumswissenschaft genauer zu prücisiren. Denn das ist es wohl vor
Allem, was Justi im Auge hatte, wenn er schrieb: „Christ verdiente eine
Monographie." —

Noch eine seitab liegende Bemerkung mag hier ausgesprochen sein, die bei
der Lectüre der vorliegenden Schrift sich uns aufgedrängt hat. Das Büchlein,
dem die vorstehenden Auszüge entlehnt sind, ist eine von der Universität
Leipzig approbirte philologische Doktordissertation — „nur eine Doktordisser¬
tation", um die Worte zu zitiren, mit denen einst ein Professor im Kolleg die
Erstlingsschrift eines jungen Gelehrten erwähnte. Auf einen großen Theil
jener LpsciroinÄ sriMtionis, die Jahr aus Jahr ein als „Dissertationen"
in die Welt geschickt werden, paßt der geringschätzige Ausdruck allerdings.
Seit in der philologischen Wissenschaft die sprachwissenschaftliche Richtung
präponderirt, dreht sich ein starker Bruchtheil aller philologischen Dissertationen
um jene statistischen Untersuchungen auf dem Gebiete der griechischen und
lateinischen Grammatik, der Formenlehre sowohl wie der Syntax, die dem
Studenten oft ganze Jahre seiner kostbaren Studienzeit kosten und deren Resultat
schließlich in der Regel sich in zwei Zeilen zusammenfassen läßt. Schon vom
zweiten oder dritten Semester an verrennt sich jetzt ein guter Theil unserer
Philologiestudirenden in der einseitigsten Weise in derartige grammatische
Specialstudien, anstatt sich vor allen Dingen in sämmtlichen philologischen
Disziplinen gehörig umzusehen, sich in der Geschichte, der Cultur-, Literatur-
und Kunstgeschichte der Völker des klassischen Alterthums heimisch zu machen
und viel, möglichst viel von den alten Autoren selbst zu lesen. Wenn
man bedenkt, daß mindestens neun Zehntel aller Philologiestudirenden später
Lehrer werden, und nur dem kleinen Rest es gelingt, das höchste aller irdischen
Ziele zu erreichen und „sich zu habilitiren", so ist diese Thatsache im Interesse
der Betreffenden selbst, vor allem aber auch im Interesse der Schule tief zu
beklagen. Kann es als die Vorbereitung auf ein zukünftiges Lehramt betrachtet
werden, wenn der Student vier, fünf Semester lang alle freie Zeit, die ihm
vom Kollegienhören übrig bleibt, — und wie viel hört denn solch ein stolzer
Jüngling noch Kollegien, dem schon die „Doktorarbeit" im Kopfe und die
Visitenkarte mit dem Dr. xtul. vor dem Namen in der Brieftasche steckt? —
darüber versitzt, daß er statistische Untersuchungen über die Rettion irgend
einer griechischen Präposition oder einer lateinischen Cvnjnnttion anstellt?
Doetorss werden ans diese Weise wohl fertig, aber leider keine ?rg,6esxt0i'6L.
Im Schulamte gehen dann den jungen Doktoren erst die Angen auf über das,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/348>, abgerufen am 22.07.2024.