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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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ihn in die alte Kunst eingeführt habe, und setzte das Werk, das sein Lehrer in
Leipzig begonnen, dann auf seinem Göttinger Universitätskatheder fort; Lessing
fand, als er in Leipzig studirte, in Christ geradezu den einzigen Mann, dessen
Richtung und Bildung seinen Neigungen entgegenkam, und sprach auch spater
noch mit großer Verehrung von ihm. In dem 27. seiner "Briefe antiquarischen
Inhalts" tritt er den unwürdigen Angriffen, die Klotz sich gegen Christ erlaubt
hatte, mit den Worten entgegen: "Ich mag noch von Christen lesen was ich
will, ich lerne immer etwas. Es sollte mir lieb sein, wenn ich das auch von
denen sagen könnte, die jetzt so verächtlich auf ihn zurückschicken. Wie viel
lieber wollte ich seine kleine Abhandlung super ASininis gedacht und geschrieben,
als zehn solche Büchelchen von dem Nutzen und Gebrauch der alten geschnitte¬
nen Steine zusammengelesen haben."

Mit Winckelmann ist Christ nur in geringe äußere Berührung ge¬
kommen , auch ein Einfluß von Christ's Schriften auf Winckelmann ist nicht
anzunehmen; erst als letzterer im Begriff stand, Deutschland zu verlassen, also
ein Jahr vor Christ's Tode, scheinen sie einander näher getreten zu sein. Um so
inniger war ihre geistige Gemeinschaft. Christ war der erste Alterthumsforscher
der, wie Justi sagt, wie keiner seiner Zeitgenossen die alten Kunstwerke vom
philologischen, technischen, aesthetischen und empirischen Standpunkte zu beur¬
theilen wußte. Freilich hatte dieser Standpunkt eine Schranke, und das ist
es, worin der begüustigtere und genialere Nachfolger diesen seinen "Vorläufer"
überragt. Es gelang ihm noch nicht, wie Hettner bemerkt, die künstlerische
Form als solche, als das eigenartig künstlerische und damit als den Grund
und Kern aller wahrhaft wissenschaftlichen Knnstbetrachtnng zu erkennen; von
der Ansicht ausgehend, daß die Künste das Andenken vergangener Begeben¬
heiten auf die Nachwelt zu bringen gedient hätten, betrachtete er die Kunst¬
werke wesentlich als geschichtliche Denkmale und warf sie unterschiedslos mit
den allerungleichartigsteu Dingen zusammen. "Aber, fiigt Hettner hinzu, wer
wird über diese durchaus unkünstlerische Auffassung der alten Kunst mit ihm
hadern, wenn sogar fast hundert Jahre nach Winckelmann selbst hochberühmte
Archäologen unter dem neuerfundenen Namen monumentaler Philologie genau
in derselben unwissenschaftlichen Weise alte Kunstgeschichte, Epigraphik und
Topographie, d. h. Kunst-, Inschriften- und Ortskuude, als gleichartig und zu¬
sammengehörig unter einander vermischen?"

Hoffentlich versucht es der Verfasser unserer Schrift, bei weiterer Ver¬
tiefung in deu Stoff später auch den schwierigeren Theil seiner Aufgabe noch
zu lösen, nämlich an der Hand der archäologischen Schriften Christ's und
dnrch eine sorgfältige Vergleichung derselben einerseits mit der älteren Literatur
auf archäologischen und kunstgeschichtlichen Gebiete, z. B. mit des Franciscus


ihn in die alte Kunst eingeführt habe, und setzte das Werk, das sein Lehrer in
Leipzig begonnen, dann auf seinem Göttinger Universitätskatheder fort; Lessing
fand, als er in Leipzig studirte, in Christ geradezu den einzigen Mann, dessen
Richtung und Bildung seinen Neigungen entgegenkam, und sprach auch spater
noch mit großer Verehrung von ihm. In dem 27. seiner „Briefe antiquarischen
Inhalts" tritt er den unwürdigen Angriffen, die Klotz sich gegen Christ erlaubt
hatte, mit den Worten entgegen: „Ich mag noch von Christen lesen was ich
will, ich lerne immer etwas. Es sollte mir lieb sein, wenn ich das auch von
denen sagen könnte, die jetzt so verächtlich auf ihn zurückschicken. Wie viel
lieber wollte ich seine kleine Abhandlung super ASininis gedacht und geschrieben,
als zehn solche Büchelchen von dem Nutzen und Gebrauch der alten geschnitte¬
nen Steine zusammengelesen haben."

Mit Winckelmann ist Christ nur in geringe äußere Berührung ge¬
kommen , auch ein Einfluß von Christ's Schriften auf Winckelmann ist nicht
anzunehmen; erst als letzterer im Begriff stand, Deutschland zu verlassen, also
ein Jahr vor Christ's Tode, scheinen sie einander näher getreten zu sein. Um so
inniger war ihre geistige Gemeinschaft. Christ war der erste Alterthumsforscher
der, wie Justi sagt, wie keiner seiner Zeitgenossen die alten Kunstwerke vom
philologischen, technischen, aesthetischen und empirischen Standpunkte zu beur¬
theilen wußte. Freilich hatte dieser Standpunkt eine Schranke, und das ist
es, worin der begüustigtere und genialere Nachfolger diesen seinen „Vorläufer"
überragt. Es gelang ihm noch nicht, wie Hettner bemerkt, die künstlerische
Form als solche, als das eigenartig künstlerische und damit als den Grund
und Kern aller wahrhaft wissenschaftlichen Knnstbetrachtnng zu erkennen; von
der Ansicht ausgehend, daß die Künste das Andenken vergangener Begeben¬
heiten auf die Nachwelt zu bringen gedient hätten, betrachtete er die Kunst¬
werke wesentlich als geschichtliche Denkmale und warf sie unterschiedslos mit
den allerungleichartigsteu Dingen zusammen. „Aber, fiigt Hettner hinzu, wer
wird über diese durchaus unkünstlerische Auffassung der alten Kunst mit ihm
hadern, wenn sogar fast hundert Jahre nach Winckelmann selbst hochberühmte
Archäologen unter dem neuerfundenen Namen monumentaler Philologie genau
in derselben unwissenschaftlichen Weise alte Kunstgeschichte, Epigraphik und
Topographie, d. h. Kunst-, Inschriften- und Ortskuude, als gleichartig und zu¬
sammengehörig unter einander vermischen?"

Hoffentlich versucht es der Verfasser unserer Schrift, bei weiterer Ver¬
tiefung in deu Stoff später auch den schwierigeren Theil seiner Aufgabe noch
zu lösen, nämlich an der Hand der archäologischen Schriften Christ's und
dnrch eine sorgfältige Vergleichung derselben einerseits mit der älteren Literatur
auf archäologischen und kunstgeschichtlichen Gebiete, z. B. mit des Franciscus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/347>, abgerufen am 22.07.2024.