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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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die Dauer nicht zu tragen vermochte. Und wenn auch wirklich Rom gefallen
wäre: nimmer hätte an seiner Statt Karthago die Welt beherrschen können;
denn auch in politischer Beziehung Hütte seine Volkskraft nicht ausgereicht.

Neben dem Unterschiede der beiden Wehrverfassungen übte zu Rom's
Gunsten der italische Kriegsschauplatz seiner Natur wie seiner Einrichtung nach
den bedeutsamsten Einfluß. Die Lage Rom's trennte den Süden vom Norden,
trennte im entscheidenden Augenblick den Hasdrubal vom Hannibal. Die außer¬
ordentlich große Anzahl fester Plätze und die von ihnen gehüteten Heerstraßen
sind ein entscheidendes Moment in dem Kampfe mit Hannibal geworden. Be¬
fremden muß es, daß Karthago auf die Unterstützung Hannibal's in Süditalien
durchaus verzichtete. Es waren ja freilich Gründe für ein solches Verhalten
vorhanden: die Rückschläge in Spanien, die Ereignisse aus Sizilien; indeß ent¬
scheidend waren alle diese Momente nicht, vielmehr blieb es allezeit die Hoff¬
nung auf die gallischen Hilfskräfte, welche für den Angriff von Norditalien
aus entschieden, und dieser Umstand beweist abermals, wie sehr Karthago in
dem Material für seine Heere beschränkt war.

Schwieriger zu erklären ist der fast völlige Verzicht der Pnnier auf den
Seekrieg. Schon im ersten punischen Kriege nahm er nicht diejenige Stelle
ein, welche man bei dem hohen Rufe der Phöniker als Seebeherrscher für ihn
erwarten mußte. Im hannibalischeu Kriege aber tritt er ganz zurück. Keine
einzige große Seeschlacht fand statt. Auch die Zahl der Schiffe, welche Rom
an den ausgedehnten Küsten von Spanien, Ligurien, Corsica und Sardinien,
im tyrrhenischen, im adriatischen und im ionischen Meere verwendete, belief sich
in keinem Jahre auf die Höhe der Flotte, welche allein bei Eknomos kämpfte;
und während im ersten punischen Kriege die Fünfruderer herrschten, ist jetzt
meist von Dreirnderern die Rede. Rom war am Ende zu Lande angegriffen,
und es erscheint somit begreiflich, daß es alle Kräfte für den Landkrieg zusammen¬
hielt; weshalb aber Karthago seiue Flotte vernachlässigte und seine Überlegen¬
heit als Meerbeherrscherin nicht benutzte, das ist, bei dem Mangel pnnischer
Quellen, unaufgeklärt.

Endlich aber ist als eines Grundes des Triumphes der Römer auch ihrer
Taktik zu gedenken. Der Stand der Tatik ist ein Barometer für die intellektuelle
und moralische Stufe eines Volkes. Wohl hatte die Legion vielfach schwere
Niederlagen erlitten, aber durch die Reiterei der Punier und durch das geniale
Benutzen der Oertlichkeit seitens Hannibal's, nicht etwa durch die phalangitische
Fechtweise der Karthager. Der Reitersturm der Afrikaner war ein taktisches
Moment, dem die Römer allerdings nichts ähnliches entgegenzusetzen hatten und
dem sie erst zu begegnen vermochten, seit sie sich selbst durch ihre Bündnisse
mit den nomadischen Fürsten diese Reiterschaaren geworben hatten. Die ge-


die Dauer nicht zu tragen vermochte. Und wenn auch wirklich Rom gefallen
wäre: nimmer hätte an seiner Statt Karthago die Welt beherrschen können;
denn auch in politischer Beziehung Hütte seine Volkskraft nicht ausgereicht.

Neben dem Unterschiede der beiden Wehrverfassungen übte zu Rom's
Gunsten der italische Kriegsschauplatz seiner Natur wie seiner Einrichtung nach
den bedeutsamsten Einfluß. Die Lage Rom's trennte den Süden vom Norden,
trennte im entscheidenden Augenblick den Hasdrubal vom Hannibal. Die außer¬
ordentlich große Anzahl fester Plätze und die von ihnen gehüteten Heerstraßen
sind ein entscheidendes Moment in dem Kampfe mit Hannibal geworden. Be¬
fremden muß es, daß Karthago auf die Unterstützung Hannibal's in Süditalien
durchaus verzichtete. Es waren ja freilich Gründe für ein solches Verhalten
vorhanden: die Rückschläge in Spanien, die Ereignisse aus Sizilien; indeß ent¬
scheidend waren alle diese Momente nicht, vielmehr blieb es allezeit die Hoff¬
nung auf die gallischen Hilfskräfte, welche für den Angriff von Norditalien
aus entschieden, und dieser Umstand beweist abermals, wie sehr Karthago in
dem Material für seine Heere beschränkt war.

Schwieriger zu erklären ist der fast völlige Verzicht der Pnnier auf den
Seekrieg. Schon im ersten punischen Kriege nahm er nicht diejenige Stelle
ein, welche man bei dem hohen Rufe der Phöniker als Seebeherrscher für ihn
erwarten mußte. Im hannibalischeu Kriege aber tritt er ganz zurück. Keine
einzige große Seeschlacht fand statt. Auch die Zahl der Schiffe, welche Rom
an den ausgedehnten Küsten von Spanien, Ligurien, Corsica und Sardinien,
im tyrrhenischen, im adriatischen und im ionischen Meere verwendete, belief sich
in keinem Jahre auf die Höhe der Flotte, welche allein bei Eknomos kämpfte;
und während im ersten punischen Kriege die Fünfruderer herrschten, ist jetzt
meist von Dreirnderern die Rede. Rom war am Ende zu Lande angegriffen,
und es erscheint somit begreiflich, daß es alle Kräfte für den Landkrieg zusammen¬
hielt; weshalb aber Karthago seiue Flotte vernachlässigte und seine Überlegen¬
heit als Meerbeherrscherin nicht benutzte, das ist, bei dem Mangel pnnischer
Quellen, unaufgeklärt.

Endlich aber ist als eines Grundes des Triumphes der Römer auch ihrer
Taktik zu gedenken. Der Stand der Tatik ist ein Barometer für die intellektuelle
und moralische Stufe eines Volkes. Wohl hatte die Legion vielfach schwere
Niederlagen erlitten, aber durch die Reiterei der Punier und durch das geniale
Benutzen der Oertlichkeit seitens Hannibal's, nicht etwa durch die phalangitische
Fechtweise der Karthager. Der Reitersturm der Afrikaner war ein taktisches
Moment, dem die Römer allerdings nichts ähnliches entgegenzusetzen hatten und
dem sie erst zu begegnen vermochten, seit sie sich selbst durch ihre Bündnisse
mit den nomadischen Fürsten diese Reiterschaaren geworben hatten. Die ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/330>, abgerufen am 22.07.2024.