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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Zeug im Werth von 9 Mark gekauft und wandelt sofort in die Küche. Der
Rest des Tags vergeht auf der einen Seite in Nichtsthun, Vorsichhinbrüten,
Träumen und Schelten, auf der anderen in Arbeit. Der Abend sinkt hernieder
in aller Pracht eines tropischen Sonnenuntergangs, aber was sieht der Ver¬
bannte davon, er hat nur Sinn für die mächtigen Fleischhaufen anf seinem
Tisch; -- lange aß er nur Huhn und immer wieder Huhn, er darf sich wohl
freuen! In allen möglichen Weisen wurde der Ziegenbock zubereitet, als Suppe,
geröstet, gebraten, geschmort, in den verschiedensten Saucen. Fast das ganze
Thier ist schon verarbeitet, nur noch ein kleiner Rest blieb für den morgigen
Mittagstisch zurück. Das ist nöthig, denn in rohem Zustande würde das
Fleisch bei den hiesigen Temperaturverhältnissen am nächsten Abend schon
riechen. Einige Tage zehrt der Weiße davon, bis die Verwesung der Fleisch¬
speisen dieselben ungenießbar macht. Nach dein.j^utar -- Abendbrod -- noch
ein el^-irr" und -- Trinken, Trinken! Eine Stunde verrinnt, noch eine viel¬
leicht, der Verlassene weiß es nicht, seine Uhr steht schon seit lange still, er
kümmert sich auch nicht darum; eine schwarze Gestalt huscht dnrch den Raum
in das Schlafzimmer -- das Weib! Wartenden Schrittes macht er noch
einen Rundgang durch das Gehöft, daun sucht der Händler sein Lager auf.

Das ist ein Tag, der folgende und alle übrigen gleichen ihm; hin und
wieder ein bischen mehr Prügelstrafe, etwas mehr oder weniger Handel, Streit
mit deu Eingeborenen, Fieberanfälle! Mehr und mehr verkommt der Weiße,
einsam lebt er auf seinem Posten, handelnd, sich nährend, vegetirend, schlafend,
ohne Juteresse für all' die fremdartige Natur, die sich umsonst schmückt, freudlos
die langsam vorüberzögernden Tage zählend, rechnend, wann ihm die Erlösung
komme. Aber doch nur im Anfang, mehr und mehr gewöhnt er sich an dieses
Dasein, bis er zu denken aufhört und nur instinktmäßig die übernommenen
Pflichten erfüllt. Wer wird sich auch wundern, daß der Verbannte binnen
Jahresfrist verwildert und sich in seinem Wünschen, Begehren, Thun und
Denken den verachteten Schwarzen gleichstellt? Nur ein gestählter Charakter
könnte dem Einfluß eiues solche" -- dürfen wir "Leben" sagen? -- Wider¬
stand leisten. -- Erst wenn ihm das Evangelium kommt, daß seine Verbannung
aufgehoben und ihm eine den übrigen näher gelegene Faktorei übergeben werde,
dann erwacht er wieder zum Leben, wenn er dann nicht schon so tief gesunken
ist, daß er sich nicht mehr freuen und glücklich sein kann! --




Zeug im Werth von 9 Mark gekauft und wandelt sofort in die Küche. Der
Rest des Tags vergeht auf der einen Seite in Nichtsthun, Vorsichhinbrüten,
Träumen und Schelten, auf der anderen in Arbeit. Der Abend sinkt hernieder
in aller Pracht eines tropischen Sonnenuntergangs, aber was sieht der Ver¬
bannte davon, er hat nur Sinn für die mächtigen Fleischhaufen anf seinem
Tisch; — lange aß er nur Huhn und immer wieder Huhn, er darf sich wohl
freuen! In allen möglichen Weisen wurde der Ziegenbock zubereitet, als Suppe,
geröstet, gebraten, geschmort, in den verschiedensten Saucen. Fast das ganze
Thier ist schon verarbeitet, nur noch ein kleiner Rest blieb für den morgigen
Mittagstisch zurück. Das ist nöthig, denn in rohem Zustande würde das
Fleisch bei den hiesigen Temperaturverhältnissen am nächsten Abend schon
riechen. Einige Tage zehrt der Weiße davon, bis die Verwesung der Fleisch¬
speisen dieselben ungenießbar macht. Nach dein.j^utar — Abendbrod — noch
ein el^-irr» und — Trinken, Trinken! Eine Stunde verrinnt, noch eine viel¬
leicht, der Verlassene weiß es nicht, seine Uhr steht schon seit lange still, er
kümmert sich auch nicht darum; eine schwarze Gestalt huscht dnrch den Raum
in das Schlafzimmer — das Weib! Wartenden Schrittes macht er noch
einen Rundgang durch das Gehöft, daun sucht der Händler sein Lager auf.

Das ist ein Tag, der folgende und alle übrigen gleichen ihm; hin und
wieder ein bischen mehr Prügelstrafe, etwas mehr oder weniger Handel, Streit
mit deu Eingeborenen, Fieberanfälle! Mehr und mehr verkommt der Weiße,
einsam lebt er auf seinem Posten, handelnd, sich nährend, vegetirend, schlafend,
ohne Juteresse für all' die fremdartige Natur, die sich umsonst schmückt, freudlos
die langsam vorüberzögernden Tage zählend, rechnend, wann ihm die Erlösung
komme. Aber doch nur im Anfang, mehr und mehr gewöhnt er sich an dieses
Dasein, bis er zu denken aufhört und nur instinktmäßig die übernommenen
Pflichten erfüllt. Wer wird sich auch wundern, daß der Verbannte binnen
Jahresfrist verwildert und sich in seinem Wünschen, Begehren, Thun und
Denken den verachteten Schwarzen gleichstellt? Nur ein gestählter Charakter
könnte dem Einfluß eiues solche« — dürfen wir „Leben" sagen? — Wider¬
stand leisten. — Erst wenn ihm das Evangelium kommt, daß seine Verbannung
aufgehoben und ihm eine den übrigen näher gelegene Faktorei übergeben werde,
dann erwacht er wieder zum Leben, wenn er dann nicht schon so tief gesunken
ist, daß er sich nicht mehr freuen und glücklich sein kann! —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/32>, abgerufen am 22.07.2024.