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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der Todte im weißen Sterbegewcinde, die Brust mit zahlreichen Orden bedeckt.
Das scharfe, charakteristische Profil des Verblichenen ist dem Beschauer zuge¬
kehrt. Zu Häupten des Katafalks steht der Genius des Ruhms und der Un¬
sterblichkeit, welcher der Seele des Dahingeschiedenen den Weg zu den Sternen
weist. Er ist durch eine nackte Frauengestalt von jener weichlichen und sü߬
lichen Eleganz dargestellt, die nachgerade für die Behandlung des weiblichen
Körpers in der französischen Malerei so typisch geworden ist, daß sie kaum
mehr als eine zierliche Phrase, als einen kalligraphischen Schnörkel bedeutet.
Dem Fußende des Paradebettes naht sich das trauernde Frankreich, eine ganz
in Flor gehüllte Gestalt, und breitet die Trikolore über den Todten aus.

Unter dem Genius des Ruhms liegt, in Halbdunkel gehüllt, eine nieder¬
geschmetterte, verwundete Frauengestalt. Ein rother Mantel umfängt ihre
derben Glieder, eine phrygische Mütze hängt in den zerzausten, schwarzen Haaren,
und neben ihr liegt am Boden eine düster glühende Fackel, die dem Verlöschen
nahe ist. Diese Repräsentantin der Kommune bildet in ihrer widerlichen Ge¬
meinheit einen wirksamen Gegensatz zu der hehren Lichtgestalt des Ruhms, die
über ihr schwebt. Die ernste, imponirende Wirkung dieser Gruppe wird leider
durch eine Trivialität, durch eine Konzession wieder aufgehoben, welche der
Historienmaler dem Kleinmaler gemacht hat. Aus dem Hintergrunde links,
hinter der trauernden Republik, bewegt sich der feierliche Leichenzug mit seinem
ganzen ebenso prunkvollen wie bizarren Zeremoniell, so wie er in Wirklichkeit
ablief, auf den Beschauer zu, eine unbegreifliche Geschmacklosigkeit, ja, noch
mehr, eine Parodie auf die ernste Gruppe im Vordergründe. Von dem "großen
Todten" kommt man wieder auf den kleinen Thiers.

Viel besser harmonirt mit der stilvollen Würde des Vordergrundes der
Zug nebelhafter Gestalten, die über dem Katafalke durch die ganze Breite des
Bildes dahinziehen, eine Art wildes Heer, eine gewaltige Geisterparade: die
Heere des Konsulats und des Kaiserreichs, deren Thaten der Verstorbene in
seinen berühmten Geschichtswerken gefeiert.


Da kommen auf luftigen Pferden
Die todten Reiter herbei,
Die blutigen alten Schwadronen
In Waffen mancherlei.

Fahnen und Standarten wallen im Pulverdampf, Schüsse blitzen auf, und
dunkelrothe Flammen umzüngeln die gespenstische Reiterei. Dann sieht man
noch unmittelbar daneben -- merkwürdig genug -- ein Panorama von der
Belagerung von Paris und die Eröffnung der ersten französischen National¬
versammlung dnrch Thiers. Diese zahllosen Figürchen, die sich um die große
Mittelgruppe schlingen, gleichen den Noten zu dem Texte eines Klassikers. Ein


der Todte im weißen Sterbegewcinde, die Brust mit zahlreichen Orden bedeckt.
Das scharfe, charakteristische Profil des Verblichenen ist dem Beschauer zuge¬
kehrt. Zu Häupten des Katafalks steht der Genius des Ruhms und der Un¬
sterblichkeit, welcher der Seele des Dahingeschiedenen den Weg zu den Sternen
weist. Er ist durch eine nackte Frauengestalt von jener weichlichen und sü߬
lichen Eleganz dargestellt, die nachgerade für die Behandlung des weiblichen
Körpers in der französischen Malerei so typisch geworden ist, daß sie kaum
mehr als eine zierliche Phrase, als einen kalligraphischen Schnörkel bedeutet.
Dem Fußende des Paradebettes naht sich das trauernde Frankreich, eine ganz
in Flor gehüllte Gestalt, und breitet die Trikolore über den Todten aus.

Unter dem Genius des Ruhms liegt, in Halbdunkel gehüllt, eine nieder¬
geschmetterte, verwundete Frauengestalt. Ein rother Mantel umfängt ihre
derben Glieder, eine phrygische Mütze hängt in den zerzausten, schwarzen Haaren,
und neben ihr liegt am Boden eine düster glühende Fackel, die dem Verlöschen
nahe ist. Diese Repräsentantin der Kommune bildet in ihrer widerlichen Ge¬
meinheit einen wirksamen Gegensatz zu der hehren Lichtgestalt des Ruhms, die
über ihr schwebt. Die ernste, imponirende Wirkung dieser Gruppe wird leider
durch eine Trivialität, durch eine Konzession wieder aufgehoben, welche der
Historienmaler dem Kleinmaler gemacht hat. Aus dem Hintergrunde links,
hinter der trauernden Republik, bewegt sich der feierliche Leichenzug mit seinem
ganzen ebenso prunkvollen wie bizarren Zeremoniell, so wie er in Wirklichkeit
ablief, auf den Beschauer zu, eine unbegreifliche Geschmacklosigkeit, ja, noch
mehr, eine Parodie auf die ernste Gruppe im Vordergründe. Von dem „großen
Todten" kommt man wieder auf den kleinen Thiers.

Viel besser harmonirt mit der stilvollen Würde des Vordergrundes der
Zug nebelhafter Gestalten, die über dem Katafalke durch die ganze Breite des
Bildes dahinziehen, eine Art wildes Heer, eine gewaltige Geisterparade: die
Heere des Konsulats und des Kaiserreichs, deren Thaten der Verstorbene in
seinen berühmten Geschichtswerken gefeiert.


Da kommen auf luftigen Pferden
Die todten Reiter herbei,
Die blutigen alten Schwadronen
In Waffen mancherlei.

Fahnen und Standarten wallen im Pulverdampf, Schüsse blitzen auf, und
dunkelrothe Flammen umzüngeln die gespenstische Reiterei. Dann sieht man
noch unmittelbar daneben — merkwürdig genug — ein Panorama von der
Belagerung von Paris und die Eröffnung der ersten französischen National¬
versammlung dnrch Thiers. Diese zahllosen Figürchen, die sich um die große
Mittelgruppe schlingen, gleichen den Noten zu dem Texte eines Klassikers. Ein


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[0286] der Todte im weißen Sterbegewcinde, die Brust mit zahlreichen Orden bedeckt. Das scharfe, charakteristische Profil des Verblichenen ist dem Beschauer zuge¬ kehrt. Zu Häupten des Katafalks steht der Genius des Ruhms und der Un¬ sterblichkeit, welcher der Seele des Dahingeschiedenen den Weg zu den Sternen weist. Er ist durch eine nackte Frauengestalt von jener weichlichen und sü߬ lichen Eleganz dargestellt, die nachgerade für die Behandlung des weiblichen Körpers in der französischen Malerei so typisch geworden ist, daß sie kaum mehr als eine zierliche Phrase, als einen kalligraphischen Schnörkel bedeutet. Dem Fußende des Paradebettes naht sich das trauernde Frankreich, eine ganz in Flor gehüllte Gestalt, und breitet die Trikolore über den Todten aus. Unter dem Genius des Ruhms liegt, in Halbdunkel gehüllt, eine nieder¬ geschmetterte, verwundete Frauengestalt. Ein rother Mantel umfängt ihre derben Glieder, eine phrygische Mütze hängt in den zerzausten, schwarzen Haaren, und neben ihr liegt am Boden eine düster glühende Fackel, die dem Verlöschen nahe ist. Diese Repräsentantin der Kommune bildet in ihrer widerlichen Ge¬ meinheit einen wirksamen Gegensatz zu der hehren Lichtgestalt des Ruhms, die über ihr schwebt. Die ernste, imponirende Wirkung dieser Gruppe wird leider durch eine Trivialität, durch eine Konzession wieder aufgehoben, welche der Historienmaler dem Kleinmaler gemacht hat. Aus dem Hintergrunde links, hinter der trauernden Republik, bewegt sich der feierliche Leichenzug mit seinem ganzen ebenso prunkvollen wie bizarren Zeremoniell, so wie er in Wirklichkeit ablief, auf den Beschauer zu, eine unbegreifliche Geschmacklosigkeit, ja, noch mehr, eine Parodie auf die ernste Gruppe im Vordergründe. Von dem „großen Todten" kommt man wieder auf den kleinen Thiers. Viel besser harmonirt mit der stilvollen Würde des Vordergrundes der Zug nebelhafter Gestalten, die über dem Katafalke durch die ganze Breite des Bildes dahinziehen, eine Art wildes Heer, eine gewaltige Geisterparade: die Heere des Konsulats und des Kaiserreichs, deren Thaten der Verstorbene in seinen berühmten Geschichtswerken gefeiert. Da kommen auf luftigen Pferden Die todten Reiter herbei, Die blutigen alten Schwadronen In Waffen mancherlei. Fahnen und Standarten wallen im Pulverdampf, Schüsse blitzen auf, und dunkelrothe Flammen umzüngeln die gespenstische Reiterei. Dann sieht man noch unmittelbar daneben — merkwürdig genug — ein Panorama von der Belagerung von Paris und die Eröffnung der ersten französischen National¬ versammlung dnrch Thiers. Diese zahllosen Figürchen, die sich um die große Mittelgruppe schlingen, gleichen den Noten zu dem Texte eines Klassikers. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/286>, abgerufen am 22.07.2024.