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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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licher Muth durchzogenen, mit allem Schmuck der Rede gezierten Erzählung
eines Gottfried von Strcißbnrg, können die kunst-, ja formlosen Erzeugnisse der
fahrenden Volkssänger nicht im Entferntesten den Vergleich aushalten. Aber
Werke wie Parzifal, wie Tristan und Isolde, wie Iwein oder Erek, ja selbst
die Nibelungen und die Kudrun waren nur für einen exklusiven, engbegrenzten
Kreis innerhalb der deutschen Nation gedichtet, wurden nur unter dem gegen
die Masse des Volkes fest abgeschlossenen Ritterstande, an den Höfen und auf
den Burgen von adligen Herren und galanten Edeldamen gelesen und ver¬
standen. Unter den Bürgern und Bauern des Mittelalters haben diese Pro-
ducte der höfischen Kunst kaum jemals ein Lesepublikum gefunden. Ihrer Ein¬
sicht war die stilvolle Schönheit jener Gedichte verschlossen, ihrer Gefühlsweise
war die Lebensanschauung der ritterlichen Gesellschaft, die sich in jenen Werken
aussprach, völlig fremd und unverständlich. Den literarischen Bedürfnissen der
niederen Stände wurden die wandernden Spielleute mit ihren ausspruchslosen,
zwischen Ernst und Scherz sich bewegenden Mären gerecht. Aehnliche Gedichte
wie "Orendel" "Oswald" und "Morolt" werden massenweise von dem zahl¬
reichen Stande der Fahrenden gefertigt und von Stadt zu Stadt, von Land zu
Land getragen worden sein. Unsre drei aber sind beim Volke ^besonders be¬
liebt, ihr Vortrag für die "Leser" besonders einträglich gewesen. Daher haben
sie sich bis tief in's 15. Jahrhundert hinein auf dem Repertoire der Spielleute
und in ihren Handschriften erhalten und sind so vor der Vernichtung bewahrt
worden.




Die Aufhebung der todten Kant in Kom.

Erst am 19. Juni 1873, also beinahe drei Jahre nach dem Einzuge der
königlichen Truppen durch die Bresche der Porta Pia, wurde das Gesetz er¬
lassen, welches den Grundsatz der Aufhebung der todten Hand auch auf die
Kirchengüter der Stadt und Provinz Rom übertrug. Obschon eine Verwaltung
des Kultusfonds existirte, welche für die in Folge der Aufhebung der religiösen
Körperschaften im Königreich Italien abzuwickelnden Geschäfte zuständig ist, so
schuf man doch für die Stadt Rom, beziehungsweise die 6 suburbikaren Bis-
thümer einen sogenannten "Liquidationsausschuß für das Kirchenvermögen von
Rom". Die Absicht war, ans einem kvnflikteschwangeren Boden mit größter
Vorsicht zu verfahren, und die regelmäßigen Veröffentlichungen des Liquidations-


licher Muth durchzogenen, mit allem Schmuck der Rede gezierten Erzählung
eines Gottfried von Strcißbnrg, können die kunst-, ja formlosen Erzeugnisse der
fahrenden Volkssänger nicht im Entferntesten den Vergleich aushalten. Aber
Werke wie Parzifal, wie Tristan und Isolde, wie Iwein oder Erek, ja selbst
die Nibelungen und die Kudrun waren nur für einen exklusiven, engbegrenzten
Kreis innerhalb der deutschen Nation gedichtet, wurden nur unter dem gegen
die Masse des Volkes fest abgeschlossenen Ritterstande, an den Höfen und auf
den Burgen von adligen Herren und galanten Edeldamen gelesen und ver¬
standen. Unter den Bürgern und Bauern des Mittelalters haben diese Pro-
ducte der höfischen Kunst kaum jemals ein Lesepublikum gefunden. Ihrer Ein¬
sicht war die stilvolle Schönheit jener Gedichte verschlossen, ihrer Gefühlsweise
war die Lebensanschauung der ritterlichen Gesellschaft, die sich in jenen Werken
aussprach, völlig fremd und unverständlich. Den literarischen Bedürfnissen der
niederen Stände wurden die wandernden Spielleute mit ihren ausspruchslosen,
zwischen Ernst und Scherz sich bewegenden Mären gerecht. Aehnliche Gedichte
wie „Orendel" „Oswald" und „Morolt" werden massenweise von dem zahl¬
reichen Stande der Fahrenden gefertigt und von Stadt zu Stadt, von Land zu
Land getragen worden sein. Unsre drei aber sind beim Volke ^besonders be¬
liebt, ihr Vortrag für die „Leser" besonders einträglich gewesen. Daher haben
sie sich bis tief in's 15. Jahrhundert hinein auf dem Repertoire der Spielleute
und in ihren Handschriften erhalten und sind so vor der Vernichtung bewahrt
worden.




Die Aufhebung der todten Kant in Kom.

Erst am 19. Juni 1873, also beinahe drei Jahre nach dem Einzuge der
königlichen Truppen durch die Bresche der Porta Pia, wurde das Gesetz er¬
lassen, welches den Grundsatz der Aufhebung der todten Hand auch auf die
Kirchengüter der Stadt und Provinz Rom übertrug. Obschon eine Verwaltung
des Kultusfonds existirte, welche für die in Folge der Aufhebung der religiösen
Körperschaften im Königreich Italien abzuwickelnden Geschäfte zuständig ist, so
schuf man doch für die Stadt Rom, beziehungsweise die 6 suburbikaren Bis-
thümer einen sogenannten „Liquidationsausschuß für das Kirchenvermögen von
Rom". Die Absicht war, ans einem kvnflikteschwangeren Boden mit größter
Vorsicht zu verfahren, und die regelmäßigen Veröffentlichungen des Liquidations-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/269>, abgerufen am 22.07.2024.