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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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kerungsantheile; die Mehrzahl der Serben hat dort seit den letzten Jahr¬
hunderten wieder den ursprünglichen Herren des Landes, den Albanesen, weichen
müssen. Die Mehrzahl dieser Nachbarstämme -- namentlich diejenigen, welche
aus der Periode der italienischen Eroberungen auf dieser Seite der Adria,
durch die Nvrmannenfürsten von Apulien und Kalabrien, den römischen Katho¬
lizismus bewahrt haben -- hat bis jetzt ein keineswegs freundliches Verhalten
zu den Montenegrinern bewiesen, so daß die Assimilation dieses neuen Erwerbs
zu einer politischen Einheit die schwierigste Aufgabe für das noch unentwickelte
Staatswesen Montenegro's fein wird. Der Charakter des rauhen Berglandes
wird durch die neuen Erwerbungen im Ganzen nicht wesentlich verändert, denn
der bei weitem größte Theil des neuen Gebietes gehört derselben Formation
des überaus zerrissenen, nackten, wasserarme", unfruchtbaren Kalkgebirges an;
selbst die etwas wasserreicheren Hochthäler der Piwa und der Teune sind zu
eng, um ausgedehnten Anbau zu erlauben. Montenegro erhält durch den Ber¬
liner Frieden auch zum ersten Male eine Stadt, die es bisher nicht besessen,
nämlich Pvdgvritza an der Moratscha. Daß dieselbe bei aller Fruchtbarkeit
seiner Umgebung bisher auf eine Bevölkerungszahl von 6000 bis 7000, ge¬
mischt aus Serben und Albanesen, beschränkt blieb, verschuldete die unmittel¬
bare Nähe der in fast unablässigem Kriegszustande befindlichen Grenze. Statt
des abgelegenen, schwer zugängigen Felsennestes Cetinje mit seinen 50 Häusern
wird Pvdgvritza nun die Hauptstadt des vergrößerten Montenegro werden.

Ebenso wie Montenegro ist nun auch Serbien vollständig unabhängig
von der Türkei geworden und erhält eine Vergrößerung im Südosten seines
bisherigen Besitzes. Die naturgemäßeste Entschädigung und Vergrößerung
würde allerdings im Westen des Landes jenseit der Drina zu suchen gewesen
sein, wo die Bevölkerung rein serbischer Nationalität ist; allem auf diese zu
Bosnien gehörige Landschaft legte Oesterreich Beschlag, welches, eifersüchtig auf
eine Ausdehnung des südslavischen Staates, nach dieser Richtung hin einen
Riegel vorschob. Die 150 Quadratmeilen, welche Serbien dagegen erhielt, um¬
fasse" deu größten Theil des Gebietes der bulgarischen Morawa mit den
Städten Pirol, Risch, Leskowatz und Wranja; es ist das unter dem volksthüm-
lichen Namen Alt-Serbien bekannte Land, einem Namen, dem allerdings Sprache
und Abstammung der sehr gemischten Bevölkerung nur zum geringsten Theile
entsprechen. Denn schon bei": ersten Eindringe" der Türke", "ach der sür
Serbien unglücklichen Schlacht auf den: Amselfeld 1389, noch mehr nach den:
unglücklichen Ausgange der österreichischen Türkenkriege des vorigen Jahrhun¬
derts, hat der größte Theil der serbischen Bevölkerung diesen Boden verlassen
und eine neue Heimat nördlich von der Donau gesucht. An Stelle der Serben
sind, begünstigt durch die damals uoch weitschauende Politik der Sultane, mo-


kerungsantheile; die Mehrzahl der Serben hat dort seit den letzten Jahr¬
hunderten wieder den ursprünglichen Herren des Landes, den Albanesen, weichen
müssen. Die Mehrzahl dieser Nachbarstämme — namentlich diejenigen, welche
aus der Periode der italienischen Eroberungen auf dieser Seite der Adria,
durch die Nvrmannenfürsten von Apulien und Kalabrien, den römischen Katho¬
lizismus bewahrt haben — hat bis jetzt ein keineswegs freundliches Verhalten
zu den Montenegrinern bewiesen, so daß die Assimilation dieses neuen Erwerbs
zu einer politischen Einheit die schwierigste Aufgabe für das noch unentwickelte
Staatswesen Montenegro's fein wird. Der Charakter des rauhen Berglandes
wird durch die neuen Erwerbungen im Ganzen nicht wesentlich verändert, denn
der bei weitem größte Theil des neuen Gebietes gehört derselben Formation
des überaus zerrissenen, nackten, wasserarme», unfruchtbaren Kalkgebirges an;
selbst die etwas wasserreicheren Hochthäler der Piwa und der Teune sind zu
eng, um ausgedehnten Anbau zu erlauben. Montenegro erhält durch den Ber¬
liner Frieden auch zum ersten Male eine Stadt, die es bisher nicht besessen,
nämlich Pvdgvritza an der Moratscha. Daß dieselbe bei aller Fruchtbarkeit
seiner Umgebung bisher auf eine Bevölkerungszahl von 6000 bis 7000, ge¬
mischt aus Serben und Albanesen, beschränkt blieb, verschuldete die unmittel¬
bare Nähe der in fast unablässigem Kriegszustande befindlichen Grenze. Statt
des abgelegenen, schwer zugängigen Felsennestes Cetinje mit seinen 50 Häusern
wird Pvdgvritza nun die Hauptstadt des vergrößerten Montenegro werden.

Ebenso wie Montenegro ist nun auch Serbien vollständig unabhängig
von der Türkei geworden und erhält eine Vergrößerung im Südosten seines
bisherigen Besitzes. Die naturgemäßeste Entschädigung und Vergrößerung
würde allerdings im Westen des Landes jenseit der Drina zu suchen gewesen
sein, wo die Bevölkerung rein serbischer Nationalität ist; allem auf diese zu
Bosnien gehörige Landschaft legte Oesterreich Beschlag, welches, eifersüchtig auf
eine Ausdehnung des südslavischen Staates, nach dieser Richtung hin einen
Riegel vorschob. Die 150 Quadratmeilen, welche Serbien dagegen erhielt, um¬
fasse» deu größten Theil des Gebietes der bulgarischen Morawa mit den
Städten Pirol, Risch, Leskowatz und Wranja; es ist das unter dem volksthüm-
lichen Namen Alt-Serbien bekannte Land, einem Namen, dem allerdings Sprache
und Abstammung der sehr gemischten Bevölkerung nur zum geringsten Theile
entsprechen. Denn schon bei»: ersten Eindringe» der Türke», »ach der sür
Serbien unglücklichen Schlacht auf den: Amselfeld 1389, noch mehr nach den:
unglücklichen Ausgange der österreichischen Türkenkriege des vorigen Jahrhun¬
derts, hat der größte Theil der serbischen Bevölkerung diesen Boden verlassen
und eine neue Heimat nördlich von der Donau gesucht. An Stelle der Serben
sind, begünstigt durch die damals uoch weitschauende Politik der Sultane, mo-


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[0244] kerungsantheile; die Mehrzahl der Serben hat dort seit den letzten Jahr¬ hunderten wieder den ursprünglichen Herren des Landes, den Albanesen, weichen müssen. Die Mehrzahl dieser Nachbarstämme — namentlich diejenigen, welche aus der Periode der italienischen Eroberungen auf dieser Seite der Adria, durch die Nvrmannenfürsten von Apulien und Kalabrien, den römischen Katho¬ lizismus bewahrt haben — hat bis jetzt ein keineswegs freundliches Verhalten zu den Montenegrinern bewiesen, so daß die Assimilation dieses neuen Erwerbs zu einer politischen Einheit die schwierigste Aufgabe für das noch unentwickelte Staatswesen Montenegro's fein wird. Der Charakter des rauhen Berglandes wird durch die neuen Erwerbungen im Ganzen nicht wesentlich verändert, denn der bei weitem größte Theil des neuen Gebietes gehört derselben Formation des überaus zerrissenen, nackten, wasserarme», unfruchtbaren Kalkgebirges an; selbst die etwas wasserreicheren Hochthäler der Piwa und der Teune sind zu eng, um ausgedehnten Anbau zu erlauben. Montenegro erhält durch den Ber¬ liner Frieden auch zum ersten Male eine Stadt, die es bisher nicht besessen, nämlich Pvdgvritza an der Moratscha. Daß dieselbe bei aller Fruchtbarkeit seiner Umgebung bisher auf eine Bevölkerungszahl von 6000 bis 7000, ge¬ mischt aus Serben und Albanesen, beschränkt blieb, verschuldete die unmittel¬ bare Nähe der in fast unablässigem Kriegszustande befindlichen Grenze. Statt des abgelegenen, schwer zugängigen Felsennestes Cetinje mit seinen 50 Häusern wird Pvdgvritza nun die Hauptstadt des vergrößerten Montenegro werden. Ebenso wie Montenegro ist nun auch Serbien vollständig unabhängig von der Türkei geworden und erhält eine Vergrößerung im Südosten seines bisherigen Besitzes. Die naturgemäßeste Entschädigung und Vergrößerung würde allerdings im Westen des Landes jenseit der Drina zu suchen gewesen sein, wo die Bevölkerung rein serbischer Nationalität ist; allem auf diese zu Bosnien gehörige Landschaft legte Oesterreich Beschlag, welches, eifersüchtig auf eine Ausdehnung des südslavischen Staates, nach dieser Richtung hin einen Riegel vorschob. Die 150 Quadratmeilen, welche Serbien dagegen erhielt, um¬ fasse» deu größten Theil des Gebietes der bulgarischen Morawa mit den Städten Pirol, Risch, Leskowatz und Wranja; es ist das unter dem volksthüm- lichen Namen Alt-Serbien bekannte Land, einem Namen, dem allerdings Sprache und Abstammung der sehr gemischten Bevölkerung nur zum geringsten Theile entsprechen. Denn schon bei»: ersten Eindringe» der Türke», »ach der sür Serbien unglücklichen Schlacht auf den: Amselfeld 1389, noch mehr nach den: unglücklichen Ausgange der österreichischen Türkenkriege des vorigen Jahrhun¬ derts, hat der größte Theil der serbischen Bevölkerung diesen Boden verlassen und eine neue Heimat nördlich von der Donau gesucht. An Stelle der Serben sind, begünstigt durch die damals uoch weitschauende Politik der Sultane, mo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/244>, abgerufen am 22.07.2024.