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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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graue Rock, in welchem der Held heimkehrt und die argen Bedränger seines
Hauses siegreich besteht, jener wunderthätige "heilige Rock" Christi sei, der seit
Anfang des 12. Jahrhunderts in Trier aufbewahrt wurde.

Die obige Angabe über die Entstehungszeit des Gedichtes (um 1190) kann
als sicher und unbestreitbar angesehen werden. Denn verschiedene im Gedichte
erwähnte Thatsachen, viele Einzelheiten der Schilderung weisen deutlich auf
die letzten Geschicke des jerusalemitischen Reiches, auf die Zeit kurz vor der
Eroberung der heiligen Stadt durch Saladin, auf den Beginn des dritten
Kreuzzuges hin. Während der Regierung Baldur's IV., welchen ein
böser Aussatz an jeder energischen Unternehmung hinderte, war das christliche
Reich in argen Verfall und unheilvolle Zerrüttung gerathen. Unter den vielen
Würdenträgern und Landherren herrschte gemeine Eifersucht und kleinliche
Zwietracht, welche die Widerstandskraft der christlichen Ritter gegen das An¬
dringen der Muhamedaner lähmten und ein kriegerisches Vorgehen fast zur
Unmöglichkeit machten. Man war froh, 1185 mit Saladin einen Waffenstill¬
stand abschließen zu können. Auch im Anfange unserer Dichtung finden wir
die Heiden im friedlichen Verkehr mit den Christen und heidnische Fürsten als
Teilnehmer an den Festlichkeiten des Hofes. Nach dem Tode des kranken
Königs wurde im Jahre 1186 dessen Schwester Sibylla durch den Seneschall
Joseelin nach Jerusalem gerufen, um sich der Herrschaft zu bemächtigen. Ihre
Gestalt und ihre Geschichte lieferte dem Spielmann eine Reihe vou Zügen für
die Frau Breite seines Gedichtes'''). Sibylla's königliche Würde fand nicht
überall Anerkennung. Dem Großmeister der Hospitaliter mußte der eine der
drei für die Krönung nothwendigen Schlüssel zum heiligen Grabe, deren zwei
andere der Patriarch von Jerusalem und die Templer in Verwahrung hatten,
mit Gewalt entrissen werden. An diesen Widerspenstigen erinnert der Käm¬
merer unserer Dichtung, welchen Fran Breite, als sie Orendel mit dem
Schwerte David's begaben will, erst durch harte Züchtigung zwingt, die Lade,
welche jene Waffe barg, mit drei Schlüsseln zu öffnen. Als Balduin's Schwester
ans des Patriarchen Händen die Krone empfing, setzte sie dieselbe sofort ihrem
Gemahl, dem Veit von Lusignan, aufs Haupt, trotz des Widerspruches der
Tempelherren, welche diesem Ritter die Königswürde mißgönnten und von der
Königin verlangten, sich einen würdigeren Gatten zu wählen. Einen gleichen
Widerwillen zeigen die "Tempelherren" des Spielmannsgedichts gegen die
Thronbesteigung Orendel's. Der Zwerg Alban endlich, welcher das Königs¬
paar verrathen will, aber durch einen Engel daran verhindert wird, verdankt,
wenn nicht sein Dasein im Gedichte, so doch sicher seinen Namen jenem ver-



Vergl. Zeitschrift für deutsches Alterthum, Bd. xir,, S. "37 fg.
Grenzboten III. 1"78. 29

graue Rock, in welchem der Held heimkehrt und die argen Bedränger seines
Hauses siegreich besteht, jener wunderthätige „heilige Rock" Christi sei, der seit
Anfang des 12. Jahrhunderts in Trier aufbewahrt wurde.

Die obige Angabe über die Entstehungszeit des Gedichtes (um 1190) kann
als sicher und unbestreitbar angesehen werden. Denn verschiedene im Gedichte
erwähnte Thatsachen, viele Einzelheiten der Schilderung weisen deutlich auf
die letzten Geschicke des jerusalemitischen Reiches, auf die Zeit kurz vor der
Eroberung der heiligen Stadt durch Saladin, auf den Beginn des dritten
Kreuzzuges hin. Während der Regierung Baldur's IV., welchen ein
böser Aussatz an jeder energischen Unternehmung hinderte, war das christliche
Reich in argen Verfall und unheilvolle Zerrüttung gerathen. Unter den vielen
Würdenträgern und Landherren herrschte gemeine Eifersucht und kleinliche
Zwietracht, welche die Widerstandskraft der christlichen Ritter gegen das An¬
dringen der Muhamedaner lähmten und ein kriegerisches Vorgehen fast zur
Unmöglichkeit machten. Man war froh, 1185 mit Saladin einen Waffenstill¬
stand abschließen zu können. Auch im Anfange unserer Dichtung finden wir
die Heiden im friedlichen Verkehr mit den Christen und heidnische Fürsten als
Teilnehmer an den Festlichkeiten des Hofes. Nach dem Tode des kranken
Königs wurde im Jahre 1186 dessen Schwester Sibylla durch den Seneschall
Joseelin nach Jerusalem gerufen, um sich der Herrschaft zu bemächtigen. Ihre
Gestalt und ihre Geschichte lieferte dem Spielmann eine Reihe vou Zügen für
die Frau Breite seines Gedichtes'''). Sibylla's königliche Würde fand nicht
überall Anerkennung. Dem Großmeister der Hospitaliter mußte der eine der
drei für die Krönung nothwendigen Schlüssel zum heiligen Grabe, deren zwei
andere der Patriarch von Jerusalem und die Templer in Verwahrung hatten,
mit Gewalt entrissen werden. An diesen Widerspenstigen erinnert der Käm¬
merer unserer Dichtung, welchen Fran Breite, als sie Orendel mit dem
Schwerte David's begaben will, erst durch harte Züchtigung zwingt, die Lade,
welche jene Waffe barg, mit drei Schlüsseln zu öffnen. Als Balduin's Schwester
ans des Patriarchen Händen die Krone empfing, setzte sie dieselbe sofort ihrem
Gemahl, dem Veit von Lusignan, aufs Haupt, trotz des Widerspruches der
Tempelherren, welche diesem Ritter die Königswürde mißgönnten und von der
Königin verlangten, sich einen würdigeren Gatten zu wählen. Einen gleichen
Widerwillen zeigen die „Tempelherren" des Spielmannsgedichts gegen die
Thronbesteigung Orendel's. Der Zwerg Alban endlich, welcher das Königs¬
paar verrathen will, aber durch einen Engel daran verhindert wird, verdankt,
wenn nicht sein Dasein im Gedichte, so doch sicher seinen Namen jenem ver-



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[0233] graue Rock, in welchem der Held heimkehrt und die argen Bedränger seines Hauses siegreich besteht, jener wunderthätige „heilige Rock" Christi sei, der seit Anfang des 12. Jahrhunderts in Trier aufbewahrt wurde. Die obige Angabe über die Entstehungszeit des Gedichtes (um 1190) kann als sicher und unbestreitbar angesehen werden. Denn verschiedene im Gedichte erwähnte Thatsachen, viele Einzelheiten der Schilderung weisen deutlich auf die letzten Geschicke des jerusalemitischen Reiches, auf die Zeit kurz vor der Eroberung der heiligen Stadt durch Saladin, auf den Beginn des dritten Kreuzzuges hin. Während der Regierung Baldur's IV., welchen ein böser Aussatz an jeder energischen Unternehmung hinderte, war das christliche Reich in argen Verfall und unheilvolle Zerrüttung gerathen. Unter den vielen Würdenträgern und Landherren herrschte gemeine Eifersucht und kleinliche Zwietracht, welche die Widerstandskraft der christlichen Ritter gegen das An¬ dringen der Muhamedaner lähmten und ein kriegerisches Vorgehen fast zur Unmöglichkeit machten. Man war froh, 1185 mit Saladin einen Waffenstill¬ stand abschließen zu können. Auch im Anfange unserer Dichtung finden wir die Heiden im friedlichen Verkehr mit den Christen und heidnische Fürsten als Teilnehmer an den Festlichkeiten des Hofes. Nach dem Tode des kranken Königs wurde im Jahre 1186 dessen Schwester Sibylla durch den Seneschall Joseelin nach Jerusalem gerufen, um sich der Herrschaft zu bemächtigen. Ihre Gestalt und ihre Geschichte lieferte dem Spielmann eine Reihe vou Zügen für die Frau Breite seines Gedichtes'''). Sibylla's königliche Würde fand nicht überall Anerkennung. Dem Großmeister der Hospitaliter mußte der eine der drei für die Krönung nothwendigen Schlüssel zum heiligen Grabe, deren zwei andere der Patriarch von Jerusalem und die Templer in Verwahrung hatten, mit Gewalt entrissen werden. An diesen Widerspenstigen erinnert der Käm¬ merer unserer Dichtung, welchen Fran Breite, als sie Orendel mit dem Schwerte David's begaben will, erst durch harte Züchtigung zwingt, die Lade, welche jene Waffe barg, mit drei Schlüsseln zu öffnen. Als Balduin's Schwester ans des Patriarchen Händen die Krone empfing, setzte sie dieselbe sofort ihrem Gemahl, dem Veit von Lusignan, aufs Haupt, trotz des Widerspruches der Tempelherren, welche diesem Ritter die Königswürde mißgönnten und von der Königin verlangten, sich einen würdigeren Gatten zu wählen. Einen gleichen Widerwillen zeigen die „Tempelherren" des Spielmannsgedichts gegen die Thronbesteigung Orendel's. Der Zwerg Alban endlich, welcher das Königs¬ paar verrathen will, aber durch einen Engel daran verhindert wird, verdankt, wenn nicht sein Dasein im Gedichte, so doch sicher seinen Namen jenem ver- Vergl. Zeitschrift für deutsches Alterthum, Bd. xir,, S. »37 fg. Grenzboten III. 1»78. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/233>, abgerufen am 22.07.2024.