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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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"im Panzerhemde und mit gutem Schwert bewaffnet" an den Eingang der
Burg und bewacht die Pforte, bis Orendel die Heiden und die treulosen
Mannen, welche drinnen sind, erschlagen hat. Danach lebte "das königliche
Paar Noch zwei Tage und halbes Jahr," nach Gottes Gebot sich weltlicher
Minne enthaltend, ebensolange Meister Eise und der alte Unsitte. Und am
Schlüsse heißt es:


Die Engel von dem Himmel keinen,
Die vier Seelen sie nahmen,
Und führten sie zu Gotte gleich
In dus schöne Himmelreich.

Das Gedicht, dessen Inhalt wir eben in Kürze angegeben, ist aus den
verschiedensten Stoffeu zusammengesetzt; den Hauptbestandtheil aber und den
Grundstock der Erzählung bildet eine alte sagenhafte Ueberlieferung, ein ur-
germanischer Schiffermythus, den der rheinische Spielmann in seiner Heimat
vorfand und in sein Gedicht verarbeitete. Die alte Volkssage ist durch die
rohe Willkür des Sängers allerdings arg zertrümmert; aber sie kann dennoch
durch Verbindung der zerstreuten Theile und nach Abzug der wunderlichen
Erfindungen des Spielmanns unschwer wieder hergestellt werden.*)

Schon der Name Orendel bezeichnet den Helden als einen ans dem Meere
hin und herschweifenden, als einen seebefahrenen Mann. Er ist ein sagen¬
hafter Seeheld, in dem ursprünglichen Gefüge der Sage ein deutscher Odhsseus,
welcher, wie jener griechische Seekönig aus weiter Ferne nach der Heimat zu¬
rückstrebt und genau wie jener durch widrige Schicksale und feindliche Mächte
wider Willen vom geliebten Vaterlande und der theuren Gattin ferngehalten
wird. Das Klebermeer, das der Spielmann in den Orient verlegt, suchte die
deutsche Sage nördlich von den Orkaden um deu Polarkreis; jenseits desselben
wohnt Meister Eise, der Eisriese und Beherrscher des winterlichen Meeres.
Die thnrmreiche Burg, von der unser Dichter zu erzählen weiß, ist nur ein
Bild der aufgethürmten Eismassen, die sein Herrschaftsgebiet bilden. In dem
harten Dienste dieses Gewaltigen befindet sich der Seekönig Oreudel, wie auch
Odysseus bei der Kalhpso auf Ogygia sieben Jahre, von Heimweh gequält, ver¬
trauern muß. Diese Erkenntniß von der meerbeherrschenden, göttlichen Macht
des Meister Eise macht auch jenen wunderbar klingenden Bericht des Spiel¬
manns, nach welchem der "Herzog" Eise die am italischen Strande umher¬
laufenden Rosse ohne Umstände jagt und fängt, in seiner mythischen Bedeutung
verständlich. Denn der Meerriese, der Herr der Fluthen, hat wie der griechische
Poseidon auch die Gewalt und die freie Verfügung über die Rosse. Deshalb
ist anch anzunehmen, daß in der ursprünglichen Fnssuug der Sage es nicht



') Äergl, ,<L. Müllenhvff a> a, O S 3L ff.

„im Panzerhemde und mit gutem Schwert bewaffnet" an den Eingang der
Burg und bewacht die Pforte, bis Orendel die Heiden und die treulosen
Mannen, welche drinnen sind, erschlagen hat. Danach lebte „das königliche
Paar Noch zwei Tage und halbes Jahr," nach Gottes Gebot sich weltlicher
Minne enthaltend, ebensolange Meister Eise und der alte Unsitte. Und am
Schlüsse heißt es:


Die Engel von dem Himmel keinen,
Die vier Seelen sie nahmen,
Und führten sie zu Gotte gleich
In dus schöne Himmelreich.

Das Gedicht, dessen Inhalt wir eben in Kürze angegeben, ist aus den
verschiedensten Stoffeu zusammengesetzt; den Hauptbestandtheil aber und den
Grundstock der Erzählung bildet eine alte sagenhafte Ueberlieferung, ein ur-
germanischer Schiffermythus, den der rheinische Spielmann in seiner Heimat
vorfand und in sein Gedicht verarbeitete. Die alte Volkssage ist durch die
rohe Willkür des Sängers allerdings arg zertrümmert; aber sie kann dennoch
durch Verbindung der zerstreuten Theile und nach Abzug der wunderlichen
Erfindungen des Spielmanns unschwer wieder hergestellt werden.*)

Schon der Name Orendel bezeichnet den Helden als einen ans dem Meere
hin und herschweifenden, als einen seebefahrenen Mann. Er ist ein sagen¬
hafter Seeheld, in dem ursprünglichen Gefüge der Sage ein deutscher Odhsseus,
welcher, wie jener griechische Seekönig aus weiter Ferne nach der Heimat zu¬
rückstrebt und genau wie jener durch widrige Schicksale und feindliche Mächte
wider Willen vom geliebten Vaterlande und der theuren Gattin ferngehalten
wird. Das Klebermeer, das der Spielmann in den Orient verlegt, suchte die
deutsche Sage nördlich von den Orkaden um deu Polarkreis; jenseits desselben
wohnt Meister Eise, der Eisriese und Beherrscher des winterlichen Meeres.
Die thnrmreiche Burg, von der unser Dichter zu erzählen weiß, ist nur ein
Bild der aufgethürmten Eismassen, die sein Herrschaftsgebiet bilden. In dem
harten Dienste dieses Gewaltigen befindet sich der Seekönig Oreudel, wie auch
Odysseus bei der Kalhpso auf Ogygia sieben Jahre, von Heimweh gequält, ver¬
trauern muß. Diese Erkenntniß von der meerbeherrschenden, göttlichen Macht
des Meister Eise macht auch jenen wunderbar klingenden Bericht des Spiel¬
manns, nach welchem der „Herzog" Eise die am italischen Strande umher¬
laufenden Rosse ohne Umstände jagt und fängt, in seiner mythischen Bedeutung
verständlich. Denn der Meerriese, der Herr der Fluthen, hat wie der griechische
Poseidon auch die Gewalt und die freie Verfügung über die Rosse. Deshalb
ist anch anzunehmen, daß in der ursprünglichen Fnssuug der Sage es nicht



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[0231] „im Panzerhemde und mit gutem Schwert bewaffnet" an den Eingang der Burg und bewacht die Pforte, bis Orendel die Heiden und die treulosen Mannen, welche drinnen sind, erschlagen hat. Danach lebte „das königliche Paar Noch zwei Tage und halbes Jahr," nach Gottes Gebot sich weltlicher Minne enthaltend, ebensolange Meister Eise und der alte Unsitte. Und am Schlüsse heißt es: Die Engel von dem Himmel keinen, Die vier Seelen sie nahmen, Und führten sie zu Gotte gleich In dus schöne Himmelreich. Das Gedicht, dessen Inhalt wir eben in Kürze angegeben, ist aus den verschiedensten Stoffeu zusammengesetzt; den Hauptbestandtheil aber und den Grundstock der Erzählung bildet eine alte sagenhafte Ueberlieferung, ein ur- germanischer Schiffermythus, den der rheinische Spielmann in seiner Heimat vorfand und in sein Gedicht verarbeitete. Die alte Volkssage ist durch die rohe Willkür des Sängers allerdings arg zertrümmert; aber sie kann dennoch durch Verbindung der zerstreuten Theile und nach Abzug der wunderlichen Erfindungen des Spielmanns unschwer wieder hergestellt werden.*) Schon der Name Orendel bezeichnet den Helden als einen ans dem Meere hin und herschweifenden, als einen seebefahrenen Mann. Er ist ein sagen¬ hafter Seeheld, in dem ursprünglichen Gefüge der Sage ein deutscher Odhsseus, welcher, wie jener griechische Seekönig aus weiter Ferne nach der Heimat zu¬ rückstrebt und genau wie jener durch widrige Schicksale und feindliche Mächte wider Willen vom geliebten Vaterlande und der theuren Gattin ferngehalten wird. Das Klebermeer, das der Spielmann in den Orient verlegt, suchte die deutsche Sage nördlich von den Orkaden um deu Polarkreis; jenseits desselben wohnt Meister Eise, der Eisriese und Beherrscher des winterlichen Meeres. Die thnrmreiche Burg, von der unser Dichter zu erzählen weiß, ist nur ein Bild der aufgethürmten Eismassen, die sein Herrschaftsgebiet bilden. In dem harten Dienste dieses Gewaltigen befindet sich der Seekönig Oreudel, wie auch Odysseus bei der Kalhpso auf Ogygia sieben Jahre, von Heimweh gequält, ver¬ trauern muß. Diese Erkenntniß von der meerbeherrschenden, göttlichen Macht des Meister Eise macht auch jenen wunderbar klingenden Bericht des Spiel¬ manns, nach welchem der „Herzog" Eise die am italischen Strande umher¬ laufenden Rosse ohne Umstände jagt und fängt, in seiner mythischen Bedeutung verständlich. Denn der Meerriese, der Herr der Fluthen, hat wie der griechische Poseidon auch die Gewalt und die freie Verfügung über die Rosse. Deshalb ist anch anzunehmen, daß in der ursprünglichen Fnssuug der Sage es nicht ') Äergl, ,<L. Müllenhvff a> a, O S 3L ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/231>, abgerufen am 22.07.2024.